Seine Stirn war von der Seeluft gebräunt; in eigentümlicher Mischung schaute in ihm der Scharfblick des Matrosen aus den treuherzigen Augen des Bauern. Wuchtig hielt er die Ruder in seinen beiden Fäusten fest. Er hatte etwas Kindliches. Im Gürtel trug er ein Dolchmesser, zwei Pistolen und einen Rosenkranz.

– Wer sind Sie? fragte der Greis. – Sie haben es gehört.

– Und was wollen Sie von mir?

Der Mann ließ die Ruder los, kreuzte die Arme und sagte:

– Sie umbringen.

– Sie können es, sagte der Greis.

– Halten Sie sich bereit, sprach der Mann mit erhobener Stimme.

– Bereit wozu?

– Zu sterben.

– Warum? fragte der Greis.

Es entstand eine Pause. Der Mann schien ein paar Augenblicke über die Frage zu staunen. Dann erwiderte er:

– Sie haben's gehört: ich will Sie umbringen.

– Und ich frage Sie, warum?

In den Augen des Matrosen erglänzte ein flüchtiger Blitz:

– Weil Sie meinen Bruder umgebracht haben.

Der Greis entgegnete ruhig: Nachdem ich ihm zuvor das Leben gerettet.

– Das ist wahr; Sie haben ihn zuerst gerettet und dann umgebracht.

– Nicht ich.

– Wer denn sonst?

– Seine Schuld.

Mit noch größerem Staunen als zuvor sah der Matrose den Greis an; aber bald darauf zog sich seine Stirne wieder in drohende Falten zusammen.

– Wie heißen Sie? fragte der Greis.

– Ich heiße Halmalo, doch meinen Namen brauchen Sie nicht zu wissen, um von mir umgebracht zu werden.

In diesem Augenblick ging die Sonne auf. Ein heller Strahl fiel auf den Matrosen und leuchtete ihm ins trotzige Gesicht. Forschend betrachtete ihn der Greis. Das Geschützfeuer grollte noch immer aus der Ferne, aber mit Unterbrechungen und stoßweise wie in letzten Zuckungen. Ueber den Horizont senkte sich eine dichte Dampfwolke. Das Boot trieb, von keinem Ruderer mehr gelenkt, willenlos ins Weite. Der Matrose zog mit der rechten Hand eine seiner Pistolen und mit der Linken seinen Rosenkranz aus dem Gürtel. Aufstehend, hoch emporgerichtet fragte der Greis:

– Glaubst du an einen Gott?

– Unseren Vater im Himmel, versetzte der Matrose und schlug ein Kreuz.

– Hast du deine Mutter noch?

– Ja. Und er bekreuzte sich nochmals. Dann sagte er:

– Es muß sein. Ich schenke Ihnen nur noch eine Minute, gnädiger Herr. Und er schob den Hahn an seinem Pistol zurück.

 

Es muß sein, ich schenke Ihnen nur noch eine Minute, gnädiger Herr!

 

– Warum hast du »gnädiger Herr« zu mir gesagt?

– Weil Sie ein Herr sind; das sieht man Ihnen an.

– Hast du einen Herrn?

– Ja, und einen Großen. Einen Herrn muß doch Jeder haben.

– Wo ist er, dein Herr?

– Das weiß ich nicht. Fort. Er heißt der Herr Marquis von Lantenac; er ist auch noch Vikomte von Fontenay und Fürst und Herr von Sept-Forêts. Gesehen habe ich ihn zwar nie, aber deshalb bleibt er nicht minder mein Herr.

– Und wenn du ihn sähst, würdest du ihm wohl gehorchen?

– Sicherlich. Wär ich doch ein Heide, wenn ich ihm nicht gehorchen wollte! Zuerst ist man Gott Gehorsam schuldig, dann dem König, weil er Gott am nächsten steht, und dann dem Herrn, weil er dem König am nächsten steht. Aber davon ist jetzt die Rede nicht: Sie haben meinen Bruder umgebracht und darum müssen jetzt auch Sie umgebracht werden.

– Daß ich ihn umgebracht habe, antwortete der Greis, daran that ich recht.

Der Matrose preßte die Finger krampfhaft um sein Pistol und sagte:

– Machen wir ein Ende.

– Meinetwegen, erwiderte der Greis, und setzte ruhig hinzu:

– Wo ist der Priester?

Der Matrose sah ihn fragend an:

– Der Priester?

– Ja wohl, der Priester. Deinen Bruder habe ich nicht ohne Beichte sterben lassen; den Priester bist du mir schuldig.

– Ja, wenn ich ihn hätte, entgegnete der Matrose, und fuhr dann fort:

– Als ob man hier auf offener See einen Priester holen könnte! Immer dumpfer ertönte der konvulsivische Geschützdonner des fernen Todeskampfes.

– Die, welche dort drüben sterben, haben einen, sagte der Greis.

– Schon wahr, murmelte der Matrose. Sie haben den Herrn Schiffsprediger.

Der Greis fuhr fort:

– Du vergreifst dich am Heil meiner Seele, und das fällt schwer ins Gewicht. Der Matrose schaute sinnend vor sich nieder.

– Und mit meinem Seelenheil, sagte der Greis, vernichtest du zugleich auch dein eigenes. Höre mich an: du dauerst mich. Nachher kannst du's ja noch immer halten, wie du willst. Ich habe der Pflicht die Ehre gegeben, sowohl als ich vorhin deinem Bruder das Leben rettete, wie auch als ich es ihm wieder nahm, und jetzt gebe ich abermals der Pflicht die Ehre, wenn ich versuche, dir dein Seelenheil zu retten.