Ringsum ist Alles eine große Schießerei. Ich weiß nicht, was sie gegen einander haben. Meinen Mann haben sie mir umgebracht. Weiter versteh ich nichts davon.

Der Sergeant stampfte mit seinem Flintenkolben auf die Erde, daß es klirrte: – Ja, ein dummer Krieg, hol mich der Teufel!

– Gestern Nacht, fuhr das Weib fort, haben wir uns in einer Höhlung schlafen gelegt.

– Selb Vieren?

– Selb Vieren.

– Schlafen gelegt?

– Schlafen gelegt.

– Also aufrecht schlafen gelegt, bemerkte der Sergeant. Und zu den Soldaten gewendet:

– Kameraden, sagte er, eine Höhlung heißt in der Sprache dieser Eingeborenen ein alter, hohler, abgestorbener Baum, in den ein Mensch nur hineinschlüpfen kann wie ein Säbel in die Scheide. Aber was ist da zu machen? Es gehört einmal nicht zu den Naturnotwendigkeiten, daß Jeder in Paris geboren wird.

– In einem Baumstamm übernachten! staunte die Marketenderin, und dazu mit drei Kindern!

– Und wenn nun die Heulerei der Kleinen losging, fuhr der Sergeant fort, muß es den Leuten, die ihr Weg vorüberführte und die gar nichts sehen konnten, ganz schnurrig vorgekommen sein, einen Baum »Papa« und »Mama!« schreien zu hören.

– Es ist noch Sommer, gottlob! seufzte das Weib. Und sie starrte zu Boden, in Ergebung, mit dem Staunen der Geschöpfe, die einer Naturgewalt unterliegen.

Schweigend umstanden die Soldaten dieses Elend: eine Wittwe, drei Waisen, auf der Flucht, ausgestoßen, preisgegeben dem ringsum grollenden Krieg, dem Hunger, dem Durst, ohne eine andere Nahrung als das Gras des Feldes, ein anderes Obdach als den freien Himmel. Der Sergeant trat näher und betrachtete den Säugling. Da ließ die Kleine die Mutterbrust los, wendete langsam das Köpfchen um und schaute mit einem Lächeln aus seinen schönen blauen Augen in das unheimlich wilde, struppige, borstige Gesicht, das sich hinbeugte über sie. Der Sergeant richtete sich wieder auf: es rann ihm eine große Thräne längs der Wange herab und blieb wie eine Perle an der Spitze seines Schnurrbarts hängen. Mit fester Stimme sprach er:

– Kameraden, aus der ganzen Bescheerung läßt sich schließen, daß dem Bataillon Vaterfreuden bevorstehen. Alles einverstanden? Die drei Kleinen werden an Kindesstatt angenommen.

– Die Republik hoch! riefen die Grenadiere.

– Abgemacht, sagte der Sergeant und streckte beide Arme über die Mutter und die Kleinen aus:

– Hier seht ihr also die Kinder des Bataillons Bonnetrouge.

Die Marketenderin sprang vor Freude in die Höhe und rief:

– Recht so, drei Köpfe unter einer Kappe. Dann drückte sie schluchzend, überschwänglich die arme Wittwe an ihr Herz und sagte:

– Wie doch die Kleine schon so muthwillig dreinschaut!

– Hoch die Republik! ertönte es nochmals aus Aller Mund, und der Sergeant sprach zur Mutter:

– Komm mit, Bürgerin.

 

ZWEITES BUCH

 

Die Korvette »Claymore«

 

I. Englisch-französische Mischung.

Im Frühling 1793, während Frankreich, von allen Seiten her gleichzeitig angegriffen, sich mit einem pathetischen Intermezzo, dem Sturz der Gironde, beschäftigte, trug sich auf der Inselgruppe des Kanals Folgendes zu.

Eines Abends, am 1. Juni, auf Jersey, etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang, bei nebliger Witterung, die für eine heimliche Abfahrt gerade in Folge ihrer Gefährlichkeit günstig ist, segelte eine Korvette aus der kleinen öden Bucht von Bonnenuit. Das Fahrzeug hatte eine französische Mannschaft an Bord, gehörte jedoch zu der englischen Flottille, die wie ein Vorposten bei der östlichen Spitze der Insel ihre Station hatte. Die englische Flottille stand unter dem Kommando des Fürsten von la Tour-d'Auvergne, aus dem Geschlechte der Bouillon, und auf seinen Befehl war die Korvette mit einem eigenen und dringenden Auftrag detachirt worden.

Diese in Trinity-House unter dem Namen »The Claymore« eingetragene Korvette war scheinbar ein Fracht-, in Wirklichkeit aber ein Kriegsschiff. Trotz ihrem schwerfälligen, friedfertig merkantilen Aussehen, war ihr keineswegs zu trauen, denn bei ihrem Bau hatte man einen Doppelzweck im Auge gehabt: List, um womöglich zu täuschen, und Kraft, um nöthigen Falls zu kämpfen. Für den heutigen Nachtdienst hatte die Ladung des Zwischendecks dreißig kurzen Marinegeschützen von schwerem Kaliber den Platz räumen müssen. In Voraussicht eines Sturmes oder vielmehr um dem Fahrzeug seine harmlose Figur zu belassen, waren dieselben eingezogen, das heißt mit dreifachen Ketten dergestalt nach innen zu festgehalten, daß die Mündungen die überdies zugestopften Lucken kaum berührten; von außen war also nichts sichtbar; auch die Stückpforten waren geblendet, jede Oeffnung geschlossen; kurz die Korvette trug gewissermaßen eine Maske. Die ordonnanzmäßigen Korvetten führen ihre Geschütze nur auf dem Verdeck; dieses Schiff hingegen, für Trug und Ueberfall berechnet, war so gebaut, daß, wie wir bereits wissen, die Batterie nicht auf dem Deck, sondern im Zwischendeck untergebracht war. Obgleich nach einem massiven, gedrungenen Modell konstruirt, war der »Claymore« den Schnellseglern beizuzählen; seine Schale war so fest wie sonst keine zweite in der englischen Marine und im Gefecht blieb seine Leistungsfähigkeit kaum hinter der einer Fregatte zurück, obwohl er an Stelle des Besanmastes einen ungleich kleineren mit einer einfachen Brigantine führte. Von seltenem Scharfsinn zeugte das ausgezeichnete geschweifte Fugenwerk am Steuer, welches auf den Werften von Southampton mit fünfzig Pfund Sterling bezahlt worden war.

Die ausschließlich französische Schiffsmannschaft bestand aus übergelaufenen Matrosen und war von Emigranten befehligt. Unter diesen sorgfältig ausgesuchten Leuten befand sich auch nicht Einer, der nicht ein guter Seemann, ein guter Soldat und ein guter Royalist gewesen wäre; Alle bekannten sie sich zu dem dreifach schwärmerischen Kultus: Schiff, Waffe, König. Behufs einer eventuellen Landung war ihnen ein halbes Bataillon Marinetruppen beigegeben worden. Kapitän der Korvette war der Graf du Boisberthelot, Ritter des Sankt-Ludwigsordens und einer der verdienstvollsten Marineoffiziere des früheren Regime, Lieutenant der Chevalier von La Vieuville, der bei den Gardes-françaises die Kompagnie kommandirt hatte, in welcher Hoche Sergeant gewesen, und Lootse Philipp Gacquoil, der geschickteste Fachmann von ganz Jersey.

Daß das Fahrzeug etwas Außerordentliches vorhatte, unterlag keinem Zweifel, umsomehr als ein Mann an Bord gekommen war, dem man irgend ein Wagniß zutrauen mußte. Es war ein hochgewachsener Greis, rüstig, von aufrechter Haltung und strengen Gesichtszügen; sein Alter genau festzustellen hätte schwer fallen dürfen, da er zugleich bejahrt und doch wieder jung erschien – eine jener Gestalten voller Furchen und voller Kraft, mit weißem Haar auf der Stirn und einem Blitz im Auge, an Körperstärke Vierziger und Achtziger an geistigem Ansehen. Während er die Korvette bestieg, hatte man durch den klaffenden Schlitz seines Schiffermantels wahrnehmen können, daß er sogenannte »Bragou-Bras« oder Pumphosen trug, ferner hohe Stiefel und eine Jacke aus Ziegenfell, das seidengestickte Leder nach außen, das rauhe, borstige Haar nach innen zugekehrt, also ganz wie ein bretonischer Bauer gekleidet war. Jene altmodischen bretonischen Jacken ließen sich auf zweierlei Arten tragen, sowohl an Festtagen wie bei der Arbeit, je nachdem man sie nach der glatten oder der behaarten Seite wendete; so ging man die Woche über im Pelz, am Sonntag in der Stickerei.

Der Bauernanzug dieses Greises war überdies, gleichsam zur Vervollständigung seiner trügerisch beabsichtigten Echtheit, an Knieen und Ellenbogen wie durch langjährigen Gebrauch abgenutzt, und auch der grobe Tuchmantel glich dem heruntergekommenen Erbstück einer Fischerfamilie. Als Kopfbedeckung trug der Mann den Hut von hoher Form mit breiter Krämpe, der, wenn man letztere in der wagerechten Stellung läßt, ländlich aussieht, kriegerisch aber, wenn man sie auf einer Seite vermittelst einer Schnur und Kokarde aufstülpt.