Als ich noch der Waldbauernbub war

Peter Rosegger

Als ich noch
der Waldbauernbub
war

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Der Herausgeber

Friedrich Stephan,
geboren 1944, ist Lehrer für Englisch und Latein und
Lehrerausbilder für Englisch im Ruhestand.
Er betreut die von seiner verstorbenen Frau Freya Stephan-Kühn
begründete umfangreiche historische Kinderbuchsammlung
Stephan-Kühn, in der sich viele deutsche und internationale
Kinderbuchklassiker befinden.
Für die Reihe der ARENA-Kinderbuchklassiker hat er mehrere
englische Texte neu ins Deutsche übersetzt, andere gekürzt und
bearbeitet. Darüber hinaus engagiert er sich im
Bundeswettbewerb Fremdsprachen und als Großvater.

 

 

 

 

 

 

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1. Auflage 2013
© by Arena Verlag GmbH, Würzburg 1996
Alle Rechte vorbehalten
Einbandillustration: Klaus Steffens
Herausgegeben von Friedrich Stephan
ISBN 978-3-401-80288-6

www.arena-verlag.de

Vorwort

von Freya Stephan-Kühn

Als Peter Rosegger am 31. Juli 1843 in Alpl bei Krieglach in der Obersteiermark zur Welt kam, hätte sicher niemand gedacht, dass das kleine Kind in der Wiege einmal ein berühmter Schriftsteller werden würde. Dass er, der älteste von sieben Geschwistern, das Vieh hüten und den Vater beim Pflügen unterstützen würde, schon eher, denn er wurde in eine arme Bergbauernfamilie hineingeboren.

Aber er war ein Knabe mit einem wachen Blick für seine Umwelt. So konnte er später, als er begann, Geschichten und Gedichte zu schreiben, so lebendig und mit einem Blick für das Bemerkenswerte im Alltäglichen von seinen Jugenderlebnissen in der »Waldheimat« berichten, dass er im gesamten deutschsprachigen Raum auch außerhalb Österreichs Anklang fand. Pädagogen nahmen seine Texte oft und gern in Lesebücher auf; als Volks-Rosegger standen Sammelbände mit seinen Geschichten unter dem Titel »Als ich noch der Waldbauernbub war« in vielen deutschen Bücherschränken.

Roseggers gesammelte Werke, 1913–1916, zwei Jahre vor seinem Tod herausgegeben, umfassen vierzig Bände. Das meiste ist heute allenfalls noch Spezialisten bekannt, aber die Erzählungen aus seiner Jugendzeit wurden zu Klassikern der Kinder- und Jugendliteratur und sind es bis heute geblieben. Zugegeben, das sind keine Geschichten, die man aufschlägt und in einem Zug zu Ende liest. Es ist die Sprache des 19. Jahrhunderts und für die Norddeutschen hält sie manche überraschende Wendung und neue Vokabel wie »Germ« (Hefe) oder »Taschenfeitel« (Taschenmesser) bereit. Aber niemand, der sich auf die Lektüre einlässt, kann sich dem Charme, der Lebendigkeit und der Natürlichkeit dieser Erzählungen entziehen. Man lässt sich gerne entführen in die Mitte des 19. Jahrhunderts und erlebt staunend und amüsiert mit, wie der kleine Peter mit seinem Paten, dem Knierutscher Johann, seine erste Begegnung mit der noch neuen Eisenbahn und deren Tarifsystem macht, in dem Preise und Leistungen nicht ausgehandelt werden, sondern festgesetzt sind. Wir erfahren, wie allgegenwärtig der liebe Gott und seine Heiligen sind, wie aber die Anfechtungen des Bösen, etwa in Form des Kartenspiels, noch viel reizvoller, aber auch gefährlicher sein können. Wir erleben das raue, karge Leben des Bergwinters und zugleich die unendliche Geborgenheit, die ein Ofen spenden kann. Wir werden Zeuge des schwierigen Prozesses, in dem die Eltern, besonders der Vater, und das Kind ihre Rollen finden, und der trotz der Krisen bedingungslosen und unerschütterlichen Liebe, die eine intakte Familie ihren Mitgliedern zu geben imstande ist. Wir nehmen Anteil, wenn der »Waldschulmeister« seine Kinder zur Schulprüfung nach Krieglach führt und glänzend mit ihnen abschneidet, wenn er auch über den kleinen Peter Rosegger entschuldigend sagen muss: »Das ist halt von den Schwächeren einer.« Wir feiern mit dem Waldbauernbuben und seiner Familie Weihnachten und denken darüber nach, wie ein Nichts, das wir uns jeden Tag leisten können, den Alltag damals in einen himmlischen Glanz einzutauchen vermochte. Wir versetzen uns in den Buben, der über dem sehnsüchtigen Verlangen nach einem »Taschenfeitel« die tatsächlichen Freuden übersieht, der als ältester seinen Ruf unter den Geschwistern wahren muss und der, ums »Hasenöl« geschickt, wichtige Erfahrungen in Bezug auf Sein und Schein macht. Kurz, wir erleben, wenn auch in einer anderen Zeit und unter anderen Umständen, eigentlich alle Probleme mit, die uns selbst berühren. Wir, das sind die – so Peter Rosegger in dem 1897 erschienenen Sammelband »Waldjugend« – »jungen Leute von 15 bis 70 Jahren«, wobei man die Altersgrenze an beiden Seiten ruhig noch ein wenig ausdehnen sollte.

Die Weihnachtserzählungen Roseggers stehen, da sie am schnellsten ein Eintauchen in die Welt des Verfassers ermöglichen, nicht zufällig am Anfang dieser Ausgabe. Peter Rosegger selbst und sein Verlag, der L. Staackman Verlag in Leipzig, haben die Erzählungen, die nach und nach ohne erkennbares Prinzip erschienen sind, mehrfach in Sammelbänden unter bestimmte, recht allgemeine Mottos wie »Waldjugend« oder »Als ich noch der Waldbauernbub war« gestellt. Die Auswahl in der Arena-Kinderklassikerreihe wurde unter dem Gesichtspunkt vorgenommen, ein Jahr im Leben des Waldbauernbuben zu dokumentieren. Und in der christlich-katholischen Umgebung, in der der Junge aufwächst, sowie angesichts der Bedeutung, die das Weihnachtsfest dort hatte, ist es nur folgerichtig, wenn wir für unsere Auswahl nicht das Kalender-, sondern das Kirchenjahr zugrunde legen, das im Advent beginnt. Die Gliederung nach dem Jahreslauf passt sehr gut in Peter Roseggers Zeit. Denn vor etwa hundertfünfzig Jahren spielte der Jahresablauf eine viel entscheidendere Rolle als heute, wo zu Beginn des Jahres die Schokoladenosterhasen und im August die Christstollen zu kaufen sind.

Peter Rosegger vermittelt auch den Menschen um die Jahrtausendwende die Erfahrung, dass die Geborgenheit einer Familie und die natürliche Neugier, die menschliche und natürliche Umwelt zu erfahren und zu begreifen, weder durch einen Dampfwagen noch durch einen Intercity, weder durch »Hasenöl« noch durch »Risiken und Nebenwirkungen«, weder durch den im Kopf auszurechnenden Wochenlohn eines Tagelöhners noch durch den Umgang mit Taschenrechner oder Computer ersetzt werden können.

So hoffe ich, dass möglichst viele Leserinnen und Leser von 10 bis 100 Jahren den Waldbauernbuben durch das Jahr begleiten werden. Damit dies auf möglichst echte Weise geschieht, sind die Geschichten nur da, wo allzu viele Erklärungen nötig gewesen wären, geringfügig gekürzt oder bearbeitet worden. Im Übrigen sind sie ganz in der Sprache und dem Stil Peter Roseggers belassen – ein Leseerlebnis, das sich lohnt!

Weihnachten

Als ich Christtagsfreude holen ging

In meinem zwölften Lebensjahre wird es gewesen sein, als am Frühmorgen des heiligen Christabends mein Vater mich an der Schulter rüttelte: Ich solle aufwachen und zur Besinnung kommen, er habe mir was zu sagen. Die Augen waren bald halb offen, aber die Besinnung! Als ich unter Mithilfe der Mutter angezogen war und bei der Frühsuppe saß, verlor sich die Schlaftrunkenheit allmählich und nun sprach mein Vater: »Peter, jetzt höre, was ich dir sage.