Er blickte mich erst erstaunt und dann freundlich an. Mein Arrangement schien ihm besser zu gefallen als das seinige.
Nach dem dritten Verse trat der Predikador zum Altare, um ein Gebet vorzulesen. Dies benutzte der Organista zu der leisen Frage an mich:
»Spielen Sie auch die Orgel, Sennor?«
»Ein wenig,« antwortete ich ebenso leise.
Sein kleines, dünnes Gesicht glänzte vor Freude.
»Wollen Sie?« nickte er mir einladend zu.
»Welche Melodie?«
»Ich schlage sie Ihnen auf und das Gesangbuch dazu. Es sind nur drei Verse. Sind Sie hier bekannt?«
»Nein.«
»So winke ich Ihnen, wenn Sie anfangen sollen. Erst ein schönes, liebliches Vorspiel; dann die Melodie recht kräftig mit leisen Zwischenspielen und endlich nach dem dritten Verse eine Fuga mit allen Stimmen und Kontrapunkto. Wollen Sie?«
Ich nickte, obgleich er mehr verlangte, als in meinen Kräften stand. Eine Fuge und Orgelpunkt!
Ich zog die sanften Stimmen zu dem "schönen, lieblichen Vorspiel"; und da war auch schon das Gebet zu Ende, der Segen erteilt, und der Organista stieß mich mächtig in die Seite, was zweifelsohne der Wink sein sollte, den er mir hatte geben wollen. Ich begann.
Wie ich gespielt habe, das ist hier Nebensache. Ich bin keineswegs ein fertiger Spieler, und ob mein "Kontrapunkt" Gnade vor einem Kenner gefunden hätte, bezweifle ich mit vollstem Rechte. Aber man war die Kunst des kleinen Organista gewöhnt, und so fiel mein Spiel auf. Im Schiffe der Kirche standen nach dem Gottesdienste die Leute noch alle und oben der Kantor, der Organista und sämtliche Sänger um mich her. Ich mußte noch eine Fuge zugeben und erklärte aber dann, daß ich fort müsse. Der Organista legte sein Aermchen in meinen Arm und schien sich meiner bemächtigen zu wollen. Er führte mich unten durch die neugierig wartende Menge und erklärte, als wir vor der Kathedrale anlangten, daß ich unbedingt mit ihm gehen und zu Abend bei ihm speisen müsse.
»Das ist unmöglich, Sennor,« antwortete ich, »denn ich bin bereits geladen.«
»Zu wem?«
Ich sagte es ihm.
»So darf ich Sie freilich nicht belästigen. Dafür aber müssen Sie mir die Ehre erzeigen, morgen das Frühstück bei mir einzunehmen. Wollen Sie?«
»Mit Vergnügen.«
»Ich verlasse mich darauf, Sie um zehn Uhr bei mir zu sehen. Dann spielen wir miteinander vierhändig und vierbeinig Orgel. Ich habe prächtige Noten dazu. Und zu Mittag essen wir auch bei mir.«
»Um diese Zeit bin ich bereits in Anspruch genommen.«
»Thut nichts, Sennor. Das wird sich wohl ändern lassen. Ich gehe mit zu dem, der Sie in Anspruch nehmen will, und bitte Sie los. Ich kenne Ihren Namen noch nicht, aber wir sind Brüder in organo und werden einander lieb gewinnen.«
»Hier ist meine Karte!«
»Danke! Von mir habe ich keine mit. Ist auch nicht nötig. Ich will von Ihnen das Registrieren lernen, denn, unter uns gesagt, ich ziehe stets die verkehrten Stimmen. Man muß auf die Hände und Füße achtgeben und auf Noten und Gesangbuch sehen. Wie kann man da eigentlich noch an die Register denken! Das ist mir unbegreiflich. Ich werde es Ihnen hoffentlich ablauschen. Uebrigens, wenn Sie nach der Quinta (* Villa.), des Sennor Tupido wollen, so gehen wir miteinander. Meine Wohnung liegt nur ein wenig abseits Ihres Weges.«
Er zog mich mit sich fort und beschrieb mir die Lage der Quinta so genau, daß ich sie mit geschlossenen Augen hätte finden können.
Indessen war es natürlich Abend geworden, ein wunderbar schöner, südamerikanischer Frühjahrsabend.
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