Er ließ ihr zwar Freiheit, Schritte nach Belieben zu machen, folgte ihr aber und ließ sie nicht los. Es war auch so leicht, sie in ihrem engen Kleid zu umfassen.

»Lassen Sie mich«, flüsterte sie, das erhitzte Gesicht eng an seinem, er mußte sich anstrengen, sie zu sehen, so nahe war sie ihm. »Lassen Sie mich, ich werde Ihnen etwas Schönes geben.« ›Warum seufzt sie so‹, dachte Karl, ›es kann ihr nicht wehtun, ich drücke sie ja nicht‹, und er ließ sie noch nicht los. Aber plötzlich, nach einem Augenblick unachtsamen, schweigenden Dastehens, fühlte er wieder ihre wachsende Kraft an seinem Leib, und sie hatte sich ihm entwunden, faßte ihn mit gut ausgenütztem Obergriff, wehrte seine Beine mit Fußstellungen einer fremdartigen Kampftechnik ab und trieb ihn vor sich, mit großartiger Regelmäßigkeit Atem holend, gegen die Wand. Dort war aber ein Kanapee, auf das legte sie Karl hin und sagte, ohne sich allzusehr zu ihm hinabzubeugen:

»Jetzt rühr dich, wenn du kannst.«

»Katze, tolle Katze«, konnte Karl gerade noch aus dem Durcheinander von Wut und Scham rufen, in dem er sich befand. »Du bist ja wahnsinnig, du tolle Katze!«

»Gib acht auf deine Worte«, sagte sie und ließ die eine Hand zu seinem Halse gleiten, den sie so stark zu würgen anfing, daß Karl ganz unfähig war, etwas anderes zu tun als Luft zu schnappen, während sie mit der anderen Hand an seine Wange fuhr, wie probeweise sie berührte, sie wieder, und zwar immer weiter, in die Luft zurückzog und jeden Augenblick mit einer Ohrfeige niederfallen lassen konnte.

»Wie wäre es«, fragte sie dabei, »wenn ich dich zur Strafe für dein Benehmen einer Dame gegenüber mit einer tüchtigen Ohrfeige nach Hause schicken wollte? Vielleicht wäre es dir nützlich für deinen künftigen Lebensweg, wenn es auch keine schöne Erinnerung abgeben würde. Du tust mir ja leid und bist ein erträglicher hübscher Junge, und hättest du Jiu-Jitsu gelernt, hättest du wahrscheinlich mich durchgeprügelt. Trotzdem, trotzdem – es verlockt mich geradezu riesig, dich zu ohrfeigen, so wie du jetzt daliegst. Ich werde es wahrscheinlich bedauern; wenn ich es aber tun sollte, so wisse schon jetzt, daß ich es fast gegen meinen Willen tun werde. Und ich werde mich dann natürlich nicht mit einer Ohrfeige begnügen, sondern rechts und links schlagen, bis dir die Backen anschwellen. Und vielleicht bist du ein Ehrenmann – ich möchte es fast glauben – und wirst mit den Ohrfeigen nicht weiterleben wollen und dich aus der Welt schaffen. Aber warum bist du auch so gegen mich gewesen? Gefalle ich dir vielleicht nicht? Lohnt es sich nicht, auf mein Zimmer zu kommen? Achtung! Jetzt hätte ich dir schon fast unversehens die Ohrfeige aufgepelzt. Wenn du heute also noch so loskommen solltest, benimm dich nächstens feiner. Ich bin nicht dein Onkel, dem du trotzen kannst. Im übrigen will ich dich noch darauf aufmerksam machen, daß du, wenn ich dich ungeohrfeigt loslasse, nicht glauben mußt, daß deine jetzige Lage und wirkliches Geohrfeigtwerden vom Standpunkt der Ehre aus das gleiche sind. Solltest du das glauben wollen, so würde ich es doch vorziehen, dich wirklich zu ohrfeigen. Was wohl Mack sagen wird, wenn ich ihm das alles erzähle?«

Bei der Erinnerung an Mack ließ sie Karl los, in seinen undeutlichen Gedanken erschien ihm Mack wie ein Befreier. Er fühlte noch ein Weilchen Klaras Hand an seinem Hals, wand sich daher noch ein wenig und lag dann still.

Sie forderte ihn auf, aufzustehen, er antwortete nicht und rührte sich nicht. Sie entzündete irgendwo eine Kerze, das Zimmer bekam Licht, ein blaues Zickzackmuster erschien auf dem Plafond, aber Karl lag, den Kopf aufs Sofapolster aufgestützt so, wie ihn Klara gebettet hatte, und wandte ihn nicht einen Fingerbreit. Klara ging im Zimmer herum, ihr Rock rauschte um ihre Beine, wahrscheinlich beim Fenster blieb sie eine lange Weile stehen.

»Ausgetrotzt?« hörte man sie dann fragen.

Karl empfand es schwer, in diesem Zimmer, das ihm doch von Herrn Pollunder für diese Nacht zugedacht war, keine Ruhe bekommen zu können. Da wanderte dieses Mädchen herum, blieb stehen und redete, und er hatte sie doch so unaussprechlich satt. Rasch schlafen und von hier fortgehen war sein einziger Wunsch. Er wollte gar nicht mehr ins Bett, nur hier auf dem Kanapee wollte er bleiben. Er lauerte nur darauf, daß sie wegginge, um hinter ihr her zur Tür zu springen, sie zu verriegeln, und dann wieder zurück auf das Kanapee sich zu werfen. Er hatte ein solches Bedürfnis, sich zu strecken und zu gähnen, aber vor Klara wollte er das nicht tun. Und so lag er, starrte hinauf, fühlte sein Gesicht immer unbeweglicher werden und eine ihn umkreisende Fliege flimmerte ihm vor den Augen, ohne daß er recht wußte, was es war.

Klara trat wieder zu ihm, beugte sich in die Richtung seiner Blicke, und hätte er sich nicht bezwungen, hätte er sie schon anschauen müssen.

»Ich gehe jetzt«, sagte sie. »Vielleicht bekommst du später Lust, zu mir zu kommen. Die Tür zu meinen Zimmern ist die vierte, von dieser Tür aus gerechnet, auf dieser Seite des Ganges. Du gehst also an drei weiteren Türen vorüber und die, zu welcher du dann kommst, ist die richtige. Ich gehe nicht mehr hinunter in den Saal, sondern bleibe schon in meinem Zimmer.