Und wenn sich Schopenhauer über das verderbliche Kartenspielen auslässt – den typischen Zeitvertreib seiner Epoche –, dann würde man gern seine sicher ähnlich beißenden Kommentare zum Fernseh- oder Internetkonsum der Gegenwart lesen.
Arthur Schopenhauer selbst war kein umgänglicher Mensch, und sogar ihm wohlgesonnene Biographen müssen zugeben, dass er nicht alle seine Leitsätze selbst befolgt hat. Dieser Mann scheute Kompromisse, drückte sich in scharfen Worten aus, und ließ kaum eine andere Meinung neben seiner eigenen gelten. Bezeichnenderweise beginnen die Aphorismen mit dem Wort »Ich«.
Dieser Autor hat etwas zu sagen. Und man hört hin. Das war während seines Lebens nicht immer so. Der Erfolg stellte sich bei ihm erst spät ein, dafür nachhaltig. Noch 150 Jahre nach seinem Tod lesen wir seine Schriften. Er belehrt darin, unterhält auch, regt zum Nachdenken an. Selbst wenn er doziert und wie ein Prediger erklärt, was ohnehin jeder weiß, kann man es sich von ihm noch einmal sagen lassen. Auch wenn sich im Leser da und dort Widerspruch regen mag.
Dieses Buch kann einen nämlich nicht kalt lassen: Entweder man wehrt sich gegen Schopenhauers Weltsicht, und schärft dadurch die eigene Anschauung. Oder man findet bei ihm Erkenntnisse, die tatsächlich helfen, das Dasein auf Erden leichter zu meistern. Auf jeden Fall bietet er keine »Fünf-Minuten-Lebenshilfe«, sondern eine, die Zeit und Anstrengung fordert.
Kurzum, ein Muss für alle Philosophie-Interessierten. Ein Buch, das in die Bibliothek jedes aufgeklärten, also selbst denkenden Menschen gehört.
Sankt Augustin, im Dezember 2009
Georg Schwikart
Einleitung
Das Glück ist kein leichtes Ding.
Nur sehr schwer finden wir es in uns
und anderswo gar nicht.
Chamfort1.
Ich nehme den Begriff der Lebensweisheit hier gänzlich im immanenten2 Sinne, nämlich in dem der Kunst, das Leben möglichst angenehm und glücklich durchzuführen, die Anleitung zu welcher auch Eudämonologie3 genannt werden könnte: sie wäre demnach die Anweisung zu einem glücklichen Dasein. Dieses nun wieder ließe sich allenfalls definieren als ein solches, welches, rein objektiv4 betrachtet, oder vielmehr (da es hier auf ein subjektives5 Urteil ankommt) bei kalter und reiflicher Überlegung, dem Nichtsein entschieden vorzuziehen wäre. Aus diesem Begriffe desselben folgt, dass wir daran hingen, seiner selbst wegen, nicht aber bloß aus Furcht vor dem Tode; und hieraus wieder, dass wir es von endloser Dauer sehen möchten. Ob nun das menschliche Leben dem Begriff eines solchen Daseins entspreche, oder auch nur entsprechen könne, ist eine Frage, welche bekanntlich meine Philosophie verneint; während die Eudämonologie die Bejahung derselben voraussetzt. Diese nämlich beruht eben auf dem angeborenen Irrtum, dessen Rüge das 49. Kapitel im 2. Bande meines Hauptwerkes6 eröffnet. Um eine solche dennoch ausarbeiten zu können, habe ich daher gänzlich abgehen müssen von dem höheren, metaphysisch-ethischen7 Standpunkte, zu welchem meine eigentliche Philosophie hinleitet. Folglich beruht die ganze hier zu gebende Auseinandersetzung gewissermaßen auf einer Akommodation8, sofern sie nämlich auf dem gewöhnlichen, empirischen9 Standpunkte bleibt und dessen Irrtum festhält. Demnach kann auch ihr Wert nur ein bedingter sein, da selbst das Wort Eudämonologie nur ein Euphemismus10 ist. – Ferner macht auch dieselbe keinen Anspruch auf Vollständigkeit; teils weil das Thema unerschöpflich ist; teils weil ich sonst das von andern bereits Gesagte hätte wiederholen müssen.
Als in ähnlicher Absicht, wie gegenwärtige Aphorismen, abgefasst, ist mir nur das sehr lesenswerte Buch des Cardanus11 de utilitate ex adversis capienda12 erinnerlich, durch welches man also das hier gegebene vervollständigen kann. Zwar hat auch Aristoteles13 dem 5. Kapitel des 1. Buches seiner Rhetorik eine kurze Eudämonologie eingeflochten: sie ist jedoch sehr nüchtern ausgefallen. Benutzt habe ich diese Vorgänger nicht; da Kompilieren14 nicht meine Sache ist; und umso weniger, als durch dasselbe die Einheit der Ansicht verloren geht, welche die Seele der Werke dieser Art ist. – Im allgemeinen freilich haben die Weisen aller Zeiten immer dasselbe gesagt, und die Toren, d. h. die unermessliche Majorität aller Zeiten, haben immer dasselbe, nämlich das Gegenteil, getan: und so wird es denn auch ferner bleiben.
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