Kaum war sie ins Zimmer geführt worden, kam Françoise unglücklicherweise schon wieder herein, und mit einem Lächeln, durch das sie die Freude ankündigen wollte, die ihre Nachricht meiner Tante unzweifelhaft bereiten würde, und deutlich die [146] Silben artikulierend, um zu zeigen, dass sie, als gute Bedienstete, genau die Sätze wiedergab, wenn auch in indirekter Rede, deren der Besucher geruht hatte, sich zu bedienen: »Der Herr Pfarrer wäre entzückt, hingerissen, wenn Madame Octave nicht ruhen würde und bereit wäre, ihn zu empfangen. Der Herr Pfarrer möchte nicht stören. Der Herr Pfarrer ist unten, ich habe ihn ins Wohnzimmer gebeten.«

In Wirklichkeit bereiteten die Besuche des Pfarrers meiner Tante keineswegs eine solche Freude, wie Françoise annahm, und der Festtagsausdruck, der nach ihrer Überzeugung jedesmal das Gesicht meiner Tante herausputzen müsste, wenn sie ihn ankündigte, entsprach nicht so ganz den Gefühlen der Kranken. Der Pfarrer (ein ausgezeichneter Mann, mit dem nicht ausgiebiger mich unterhalten zu haben ich bedaure, denn wenn er auch nichts von Kunst verstand, so kannte er doch sehr viele Etymologien), der es gewohnt war, bedeutenderen Besuchern Auskünfte über die Kirche zu geben (er hatte sogar vor, ein Buch über die Gemeinde Combray* zu schreiben), ermüdete meine Tante mit seinen endlosen Erklärungen, die obendrein immer dieselben waren. Aber wenn sein Besuch ausgerechnet zur gleichen Zeit erfolgte wie der von Eulalie, war er meiner Tante, offen gesagt, ein Ärgernis. Sie hätte es vorgezogen, Eulalies Besuch zu genießen und nicht alle Welt auf einmal zu Besuch zu haben. Aber sie wagte es nicht, den Pfarrer nicht zu empfangen, und gab lediglich Eulalie ein Zeichen, nicht zur gleichen Zeit zu gehen wie er, damit sie sie noch ein wenig für sich allein hätte, nachdem er gegangen war.

»Herr Pfarrer, was hat man mir erzählt, ein Künstler soll seine Staffelei in Ihrer Kirche aufgestellt haben, um ein Fenster zu kopieren? Ich muss schon sagen, selbst auf meine alten Tage ist mir dergleichen noch nicht zu Ohren gekommen! Was der Welt doch heutzutage alles einfällt! Und obendrein das verkommenste in der [147] ganzen Kirche!« – »Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass dieses das Verkommenste von allem in Saint-Hilaire wäre, denn wenn es da auch so manches gibt, das lohnt besichtigt zu werden, so gibt es doch auch recht heruntergekommene Bereiche in meiner armen Basilika, der einzigen in der ganzen Diözese, die niemals restauriert worden ist. Mein Gott, das Portal ist fleckig und alt, aber es hat doch einen würdevollen Charakter; selbst die Wandteppiche mit Esther, für die ich persönlich keinen Sechser geben würde, die aber von Kennern gleich nach denen von Sens* eingestuft werden, mögen noch hingehen. Ich gebe auch zu, dass sie, neben gewissen allzu realistischen Details, auch andere enthalten, die eine bemerkenswerte Beobachtungsgabe bezeugen. Aber man rede mir nicht von den Fenstern. Welchen Sinn soll es denn haben, Fenster, die das Licht nicht einlassen und sogar das Auge mit dem Schein von Farben trügen, die ich nicht einmal definieren könnte, in einer Kirche zu lassen, in der keine zwei Bodenplatten auf einer Höhe liegen und die ich unter dem Vorwand nicht ersetzen darf, es handle sich um die Gräber der Äbte von Combray und der Herren von Guermantes, der einstigen Grafen von Brabant? Der direkten Vorfahren des heutigen Herzogs von Guermantes und auch der Herzogin, denn sie ist eine Mademoiselle de Guermantes, die ihren Vetter geheiratet hat.« (Meine Großmutter, die sich nicht für andere Leute interessierte und deshalb schließlich alle Namen durcheinanderwarf, behauptete jedesmal, wenn der Name der Herzogin von Guermantes fiel, dass es sich um eine Verwandte der Madame de Villeparisis handle. Alle brachen in Lachen aus; sie versuchte sich zu verteidigen, indem sie sich auf eine bestimmte Familienanzeige berief: »Ich meine mich zu erinnern, dass ein Guermantes darunterstand.« Und dieses eine Mal war ich mit den anderen gegen sie, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass zwischen ihrer Freundin aus dem Pensionat und einem Nachfahren der Genoveva von Brabant irgendeine [148] Verbindung bestehen sollte.) »Sehen Sie sich Roussainville an, das ist heute nur noch eine Gemeinde von Bauern, obwohl dieser Ort in früheren Zeiten einen schwunghaften Handel mit Filzhüten und Pendeluhren unterhielt. (Ich bin mir der Etymologie von Roussainville nicht ganz sicher. Ich würde fast annehmen, dass der ursprüngliche Name Rouville (Radulfi villa) war, vergleichbar Châteauroux (Castrum Radulfi ), aber davon erzähle ich Ihnen ein andermal.) Und vor allem, die Kirche hat wunderbare Fenster, fast ganz modern, und dann dieser beeindruckende Einzug Louis-Philippes in Combray*, der in Combray selbst wohl besser am Platz wäre und der es, so sagt man, mit den berühmten Fenstern von Chartres aufnehmen kann. Ich habe erst gestern Doktor Percepieds Bruder* getroffen, der ein Kenner ist und das Fenster als eine vorzügliche Arbeit ansieht. Aber wie ich schon zu diesem Künstler sagte, der im übrigen einen manierlichen Eindruck macht und mit dem Pinsel recht geschickt zu sein scheint, ›was finden Sie denn so Besonderes an diesem Fenster, das ja doch noch düsterer ist als die anderen?‹«

»Wenn Sie Hochwürden darum bitten würden«, sagte meine Tante mit matter Stimme, da sie zu fürchten begann, es könnte sie ermüden, »würde er Ihnen sicherlich ein neues Fenster nicht abschlagen.« – »Verlassen Sie sich darauf, Madame Octave«, antwortete der Pfarrer. »Es war doch gerade Hochwürden, der den Rummel um dieses unglückselige Fenster ausgelöst hat, als er nachwies, dass es den Urahn der Guermantes und direkten Nachkommen der Genoveva von Brabant, die ein Fräulein von Guermantes war, darstellt, nämlich Gilbert den Bösen, wie er von Saint Hilaire die Absolution erhält.« – »Aber ich wüsste nicht, wo Saint Hilaire zu sehen ist?« – »Aber haben Sie denn nie in der Ecke des Fensters eine Dame im gelben Kleid bemerkt? Na bitte!, das ist Saint Hilaire, den man, wie Sie wissen, in manchen Gegenden auch Saint Illiers, Saint Hélier, und im Jura sogar Saint Ylie nennt. Diese verschiedenen [149] Verstümmelungen von sanctus Hilarius sind bei weitem nicht die befremdlichsten unter denen, die man mit den Namen der Seligen anstellt. Ihr Namenspatron zum Beispiel, liebe Eulalie, sancta Eulalia, wissen Sie, was man daraus in der Bourgogne gemacht hat? Saint Éloi: Sie ist ganz schlicht und einfach ein Heiliger geworden. Können Sie sich vorstellen, Eulalie, dass man aus Ihnen nach Ihrem Tod einen Mann macht?« – »Ach, der Herr Pfarrer hat doch immer ein scherzhaftes Wort parat.«

»Der Bruder von Gilbert, Karl der Stammler*, ein frommer Prinz, der aber, nachdem er schon früh seinen Vater, Pippin den Wahnsinnigen*, durch die Folgen der Geisteskrankheit verloren hatte, seine Macht mit der Selbstherrlichkeit eines Jugendlichen ausübte, dem es der Disziplin ermangelt, ließ, wenn ihm in einer Stadt ein bestimmtes Gesicht nicht gefiel, deren Einwohner bis auf den letzten Mann massakrieren. Gilbert wollte sich an Karl rächen und ließ die Kirche von Combray niederbrennen, damals noch die ursprüngliche Kirche, die Théodebert*, als er mit seinem Hof seinen Landsitz hier in der Nähe, in Thiberzy (Theodeberciacus), verließ, um gegen die Burgunder zu ziehen, gelobt hatte, über dem Grab von Saint Hilaire zu erbauen, wenn dieser Selige ihm zum Sieg verhelfen würde. Es ist nur noch die Krypta übrig, in die Théodore Sie sicherlich hinuntergeführt hat, denn den Rest hat Gilbert niedergebrannt. Später dann schlug er den glücklosen Karl mit Hilfe Wilhelms des Eroberers* (der Pfarrer sprach es »Willem« aus), weshalb auch so viele Engländer zum Besichtigen herkommen. Aber er scheint nicht die Zuneigung der Einwohner von Combray gewonnen zu haben, denn sie stürzten sich nach der Messe auf ihn und schnitten ihm den Kopf ab*. Übrigens leiht Théodore ein kleines Büchlein mit allen Erläuterungen aus.

Das Bemerkenswerteste an unserer Kirche aber ist wohl die Aussicht von ihrem Glockenturm, die ist unübertrefflich. [150] Natürlich, wo Sie nicht so ganz bei Kräften sind, würde ich Ihnen nicht empfehlen, die siebenundneunzig Stufen* hinaufzusteigen, gerade die Hälfte der Stufen im berühmten Dom von Mailand. Das würde auch eine kräftigere Person anstrengen, besonders, da man tief gebückt gehen muss, wenn man sich nicht den Kopf anstoßen will, und man sammelt mit seinen Kleidern sämtliche Spinnweben im Treppenhaus auf. Auf alle Fälle sollten Sie sich warm anziehen (er bemerkte nicht den Unwillen meiner Tante über die Unterstellung, sie könnte es fertigbringen, den Glockenturm zu besteigen), denn wenn Sie erst einmal oben sind, herrscht dort ein kräftiger Wind. Manche Leute behaupten, sich dort zu Tode gefroren zu haben. Aber trotzdem kommen an den Sonntagen immer Gesellschaften, zum Teil von weit her, um die Schönheit der Aussicht zu genießen, und kehren dann völlig begeistert zurück. Passen Sie auf, nächsten Sonntag, falls das Wetter sich hält, wird bestimmt alle Welt hier sein, da dann ja das Bittfest anfängt. Nein, das muss man doch vor allem anderen zugeben, man genießt von dort eine Aussicht von feenhafter Schönheit, mit Fernblicken über die Ebene von ganz eigenem Charakter. Bei klarem Wetter kann man sogar bis Verneuil* sehen. Vor allem kann man Dinge gemeinsam erfassen, die man sonst immer nur einzeln zu sehen bekommt, wie den Lauf der Vivonne und die Stadtgräben von Saint-Assise-lès-Combray, von dem sie ein Vorhang hoher Bäume trennt, oder auch die verschiedenen Kanäle von Jouy-le-Vicomte (Gaudiacus vice comitis, wie Sie wissen). Jedesmal, wenn ich nach Jouy-le-Vicomte gefahren bin, habe ich zwar ein Stück des Kanals gesehen, und wenn ich um die Ecke bog ein anderes, aber dann sah ich ja schon das vorige nicht mehr. Ich konnte sie mir schon in Gedanken zusammenfügen, aber das erzeugt keine Wirkung.