64. Also lebete die Welt zur selben Zeit bis auf ein kleines Häuflein. Das ward geboren mitten unter den Dornen, in großer Trübsal und Verachtung, aus allem Volk auf Erden, von Orient bis in Occident. Da war kein Unterschied; sie lebeten alle im Trieb der wilden Natur in Ohnmacht bis auf ein kleines Häuflein, das ward errettet aus allen Völkern. Wie es war vor der Sintflut und vor Aufgang des edlen Baums in die Natur und in der Natur, also auch zu der Zeit.
65. Daß aber die Menschen am Ende also hart nach des Baums Wurzel lästerten, ist ein Geheimnis, Mysterium, und den Klugen und Weisen bisher verborgen gewesen, wird auch nicht in der Höhe aufgehen, sondern in der Tiefe in großer Einfalt, gleichwie der edle Baum mit seinem Kern und Herzen allezeit ist den Weltklugen verborgen gewesen, ob sie gleich gemeinet haben, sie stünden auf des Baums Wurzel und Spitze, so ist es doch nicht mehr als ein lichter Dunst vor ihren Augen gewesen.
66. Es hat aber der edle Baum vom Anfang bis auf heute mit höchstem Fleiß in der Natur gearbeitet, daß er möchte offenbar werden allen Völkern, Zungen und Sprachen. Dawider hat der Teufel in der wilden Natur gewütet und getobet und sich gewehret als ein grimmiger Löwe. Aber der edle Baum brachte je länger je süßere Früchte und offenbarte sich je länger je sehrer wider alles Wüten und Toben des Teufels, bis ans Ende; da ward es lichte.
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Jakob Böhme: Aurora oder Morgenröte im Aufgang
67. Denn es wuchs ein grünes Zweiglein auf der Wurzel des edlen Baums und kriegte der Wurzel Saft und Leben, und ihm ward gegeben des Baums Geist, und verklärete den edlen Baum in seiner herrlidien Kraft und Macht, dazu die Natur, darinne er gewachsen war.
68. Als nun dieses geschah, da gingen in der Natur beide Türen auf: die Erkenntnis beider Qualitäten, Böses und Gutes, und ward offenbar das himmlische Jerusalem, sowohl der Höllen Reich, allen Menschen auf Erden. Und das Licht und die Stimme erscholl in die vier Winde, und der falsche Kaufmann vom Mittage ward ganz offenbar und die Seinen hasseten ihn und rotteten ihn aus von der Erden.
69. Als nun dieses geschah, da verdorrete auch der wilde Baum gegen Mitternacht, und alles Volk sah den heiligen Baum auch in fernen Inseln mit Verwundern. Und der Fürst in der Finsternis ward offenbar und seine Geheimnisse wurden aufgedeckt und seine Schande und Spott und Verderben sahen und erkenneten die Menschen auf Erden, denn es war lichte worden. Aber das währete eine kleine Zeit, so ließen die Menschen das Licht und lebeten in ihres Fleisches Lust zum Verderben; denn gleichwie sich die Tür des Lichts hatte aufgetan, also auch die Tür der Finsternis, und gingen aus beiden allerlei Kräfte und Künste, was darinne war.
70. Gleichwie die Menschen vom Anfang her hatten gelebet im Gewächse der wilden Natur, und nur nach irdischen Dingen getrachtet, also wollte es auch am Ende nicht besser, sondern nur ärger werden.
71. Im Mittel dieser Zeit wurden viel große Sturmwetter erreget vom Abend gegen Morgen und Mitternacht, von Mitternacht aber ging ein großer Wasserstrom aus gegen den heiligen Baum und verderbete viel Zweige an dem heiligen Baume, und mitten im Strom ward es lichte, und verdorrete der wilde Baum gegen Mitternacht.
72. Und der Fürst in der Finsternis ward ergrimmet in der großen Beweglichkeit der Natur; denn der heilige Baum wallete in der Natur, als der sich jetzt bald erheben und in Glorifizierung der heiligen göttlichen Majestät anzünden wollte und den Grimm von sich gebären, der ihm so lange war entgegengestanden und mit ihm gerungen hatte.
73. Desgleichen wallete der Baum der Finsternis, Grimmigkeit und Verderbens auch grausam, als der jetzt bald sollte angezündet werden und darinnen der Fürst mit seinen Legionen ausging, zu verderben die edle Frucht von dem guten Baume.
74. Und es stund in der Natur schrecklich in der grimmen Qualität, in der Qualität, darinnen der Fürst der Finsternis wohnet, menschlidi zu reden: gleich als wenn man siehet ein grausam schrecklich Wetter aufziehen, das sich greulich und schrecklich erzeiget, mit vielen Wetterleuchten und Sturmwinden, da man sich entsetzet.
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