Zugleich erlaube ich mir auch die Bemerkung, daß das Gerücht, als hätte jener Gedanken eine bedenkliche Umwandlung in meiner Seele erlitten, auf Angaben beruht, die ich ebenso verachten wie bedauern muß. Nur gewissen bornierten Geistern konnte die Milderung meiner Rede, oder gar mein erzwungenes Schweigen, als ein Abfall von mir selber erscheinen. Sie mißdeuteten meine Mäßigung, und das war um so liebloser, da ich doch nie ihre Überwut mißdeutet habe. Höchstens dürfte man mich einer Ermüdung beschuldigen. Aber ich habe ein Recht, müde zu sein... Und dann muß jeder dem Gesetze der Zeit gehorchen, er mag wollen oder nicht...
»Und scheint die Sonne noch so schön,
Am Ende muß sie untergehn!«
Die Melodie dieser Verse summt mir schon den ganzen Morgen im Kopfe und klingt vielleicht wider aus allem, was ich soeben geschrieben. In einem Stücke von Raimund, dem wackeren Komiker, der sich unlängst aus Melancholie totgeschossen, erschienen Jugend und Alter als allegorische Personen, und das Lied, welches die Jugend singt, wenn sie von dem Helden Abschied nimmt, beginnt mit den erwähnten Versen. Vor vielen Jahren, in München, sah ich dieses Stück, ich glaube, es heißt »Der Bauer als Millionär«. Sobald die Jugend abgeht, sieht man, wie die Person des Helden, der allein auf der Szene zurückbleibt, eine sonderbare Veränderung erleidet. Sein braunes Haar wird allmählich grau und endlich schneeweiß; sein Rücken krümmt sich, seine Knie schlottern; an die Stelle des vorigen Ungestüms tritt eine weinerliche Weichheit... das Alter erscheint.
Naht diese winterliche Gestalt auch schon dem Verfasser dieser Blätter? Gewahrst du schon, teurer Leser, eine ähnliche Umwandlung an dem Schriftsteller, der immer jugendlich, fast allzu jugendlich in der Literatur sich bewegte? Es ist ein betrübender Anblick, wenn ein Schriftsteller vor unseren Augen, angesichts des ganzen Publikums, allmählich alt wird. Wir haben's gesehen, nicht bei Wolfgang Goethe, dem ewigen Jüngling, aber bei August Wilhelm von Schlegel, dem bejahrten Gecken; wir haben's gesehen, nicht bei Adelbert Chamisso, der mit jedem Jahre sich blütenreicher verjüngt, aber wir sahen es bei Herrn Ludwig Tieck, dem ehemaligen romantischen Strohmian, der jetzt ein alter räudiger Muntsche geworden... Oh, ihr Götter! ich bitte euch nicht, mir die Jugend zu lassen, aber laßt mir die Tugenden der Jugend, den uneigennützigen Groll, die uneigennützige Träne! Laßt mich nicht ein alter Polterer werden, der aus Neid die jüngeren Geister ankläfft, oder ein matter Jammermensch, der über die gute alte Zeit beständig flennt... Laßt mich ein Greis werden, der die Jugend liebt und trotz der Alterschwäche noch immer teilnimmt an ihren Spielen und Gefahren! Mag immerhin meine Stimme zittern und beben, wenn nur der Sinn meiner Worte unerschrocken und frisch bleibt!
Sie lächelte gestern so sonderbar, halb mitleidig, halb boßhaft, die schöne Freundin, als sie mit ihren rosigen Fingern meine Locken glättete... Nicht wahr, du hast auf meinem Haupte einige weiße Haare bemerkt?
»Und scheint die Sonne noch so schön,
Am Ende muß sie untergehn.«
Geschrieben zu Paris im Frühjahr 1837
Heinrich Heine
Vorrede zur dritten Auflage
Das ist der alte Märchenwald!
Es duftet die Lindenblüte!
Der wunderbare Morgenglanz
Bezaubert mein Gemüte.
Ich ging fürbaß, und wie ich ging,
Erklang es in der Höhe.
Das ist die Nachtigall, sie singt
Von Lieb' und Liebeswehe.
Sie singt von Lieb' und Liebesweh,
Von Tränen und von Lachen,
Sie jubelt so traurig, sie schluchzet so froh,
Vergessene Träume erwachen. –
Ich ging fürbaß, und wie ich ging,
Da sah ich vor mir liegen
Auf freiem Platz ein großes Schloß,
Die Giebel hoch aufstiegen.
Verschlossene Fenster, überall
Ein Schweigen und ein Trauern;
Es schien, als wohne der stille Tod
In diesen öden Mauern.
Dort vor dem Tor lag eine Sphinx,
Ein Zwitter von Schrecken und Lüsten,
Der Leib und die Tatzen wie ein Löw',
Ein Weib an Haupt und Brüsten.
Ein schönes Weib! Der weiße Blick,
Er sprach von wildem Begehren;
Die stummen Lippen wölbten sich
Und lächelten stilles Gewähren.
Die Nachtigall, sie sang so süß –
Ich konnt nicht widerstehen –
Und als ich küßte das holde Gesicht,
Da war's um mich geschehen.
Lebendig ward das Marmorbild,
Der Stein begann zu ächzen –
Sie trank meiner Küsse lodernde Glut
Mit Dürsten und mit Lechzen.
Sie trank mir fast den Odem aus –
Und endlich, wollustheischend,
Umschlang sie mich, meinen armen Leib
Mit den Löwentatzen zerfleischend.
Entzückende Marter und wonniges Weh!
Der Schmerz wie die Lust unermeßlich!
Derweilen des Mundes Kuß mich beglückt,
Verwunden die Tatzen mich gräßlich.
Die Nachtigall sang: »O schöne Sphinx!
O Liebe! was soll es bedeuten,
Daß du vermischest mit Todesqual
All deine Seligkeiten?
O schöne Sphinx! O löse mir
Das Rätsel, das wunderbare!
Ich hab darüber nachgedacht
Schon manche tausend Jahre.«
Das hätte ich alles sehr gut in guter Prosa sagen können... Wenn man aber die alten Gedichte wieder durchliest, um ihnen, behufs eines erneueten Abdrucks, einige Nachfeile zu erteilen, dann überschleicht einen unversehens die klingelnde Gewohnheit des Reims und Silbenfalls, und siehe! es sind Verse, womit ich die dritte Auflage des »Buchs der Lieder« eröffne. O Phöbus Apollo! sind diese Verse schlecht, so wirst du mir gern verzeihen... Denn du bist ein allwissender Gott, und du weißt sehr gut, warum ich mich seit so vielen Jahren nicht mehr vorzugsweise mit Maß und Gleichklang der Wörter beschäftigen konnte... Du weißt, warum die Flamme, die einst in brillanten Feuerwerkspielen die Welt ergötzte, plötzlich zu weit ernsteren Bränden verwendet werden mußte... Du weißt, warum sie jetzt in schweigender Glut mein Herz verzehrt... Du verstehst mich, großer schöner Gott, der du ebenfalls die goldene Leier zuweilen vertauschtest mit dem starken Bogen und den tödlichen Pfeilen... Erinnerst du dich auch noch des Marsyas, den du lebendig geschunden? Es ist schon lange her, und ein ähnliches Beispiel tät wieder not... Du lächelst, o mein ewiger Vater!
Geschrieben zu Paris, den 20. Februar 1839
Heinrich Heine
Junge Leiden
1817–1821
Traumbilder
1.
Mir träumte einst von wildem Liebesglühn,
Von hübschen Locken, Myrten und Resede,
Von süßen Lippen und von bittrer Rede,
Von düstrer Lieder düstern Melodien.
Verblichen und verweht sind längst die Träume,
Verweht ist gar mein liebstes Traumgebild'!
Geblieben ist mir nur, was glutenwild
Ich einst gegossen hab in weiche Reime.
Du bliebst, verwaistes Lied! Verweh jetzt auch,
Und such das Traumbild, das mir längst entschwunden,
Und grüß es mir, wenn du es aufgefunden –
Dem luft'gen Schatten send ich luft'gen Hauch.
2.
Ein Traum, gar seltsam schauerlich,
Ergötzte und erschreckte mich.
Noch schwebt mir vor manch grausig Bild,
Und in dem Herzen wogt es wild.
Das war ein Garten, wunderschön,
Da wollt ich lustig mich ergehn;
Viel schöne Blumen sahn mich an,
Ich hatte meine Freude dran.
Es zwitscherten die Vögelein
Viel muntre Liebesmelodei'n;
Die Sonne rot, von Gold umstrahlt,
Die Blumen lustig bunt bemalt.
Viel Balsamduft aus Kräutern rinnt,
Die Lüfte wehen lieb und lind;
Und alles schimmert, alles lacht,
Und zeigt mir freundlich seine Pracht.
Inmitten in dem Blumenland
Ein klarer Marmorbrunnen stand;
Da schaut ich eine schöne Maid,
Die emsig wusch ein weißes Kleid.
Die Wänglein süß, die Äuglein mild,
Ein blondgelocktes Heil'genbild;
Und wie ich schau, die Maid ich fand
So fremd und doch so wohlbekannt.
Die schöne Maid, die sputet sich,
Sie summt ein Lied gar wunderlich:
»Rinne, rinne Wässerlein,
Wasche mir das Linnen rein!«
Ich ging und nahete mich ihr,
Und flüsterte: »O sage mir,
Du wunderschöne, süße Maid,
Für wen ist dieses weiße Kleid?«
Da sprach sie schnell: »Sei bald bereit,
Ich wasche dir dein Totenkleid!«
Und als sie dies gesprochen kaum,
Zerfloß das ganze Bild, wie Schaum. –
Und fortgezaubert stand ich bald
In einem düstern, wilden Wald.
Die Bäume ragten himmelan;
Ich stand erstaunt und sann und sann.
Und horch! welch dumpfer Widerhall!
Wie ferner Äxtenschläge Schall;
Ich eil durch Busch und Wildnis fort,
Und komm an einen freien Ort.
Inmitten in dem grünen Raum,
Da stand ein großer Eichenbaum;
Und sieh! mein Mägdlein wundersam
Haut mit dem Beil den Eichenstamm.
Und Schlag auf Schlag, und sonder Weil',
Summt sie ein Lied und schwingt das Beil:
»Eisen blink, Eisen blank,
Zimmre hurtig Eichenschrank!«
Ich ging und nahete mich ihr,
Und flüsterte: »O sage mir,
Du wundersüßes Mägdelein,
Wem zimmerst du den Eichenschrein?«
Da sprach sie schnell: »Die Zeit ist karg,
Ich zimmre deinen Totensarg!«
Und als sie dies gesprochen kaum,
Zerfloß das ganze Bild, wie Schaum. –
Es lag so bleich, es lag so weit
Ringsum nur kahle, kahle Heid';
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Und heimlich schaudernd stand ich da.
Und nun ich eben fürder schweif,
Gewahr ich einen weißen Streif;
Ich eilt drauf zu, und eilt und stand,
Und sieh! die schöne Maid ich fand.
Auf weiter Heid' stand weiße Maid,
Grub tief die Erd' mit Grabescheit.
Kaum wagt ich noch sie anzuschaun,
Sie war so schön und doch ein Grau'n.
Die schöne Maid, die sputet sich,
Sie summt ein Lied gar wunderlich:
»Spaten, Spaten, scharf und breit,
Schaufle Grube tief und weit!«
Ich ging und nahete mich ihr,
Und flüsterte: »O sage mir,
Du wunderschöne, süße Maid,
Was diese Grube hier bedeut't?«
Da sprach sie schnell: »Sei still, ich hab
Geschaufelt dir ein kühles Grab.«
Und als so sprach die schöne Maid,
Da öffnet sich die Grube weit;
Und als ich in die Grube schaut,
Ein kalter Schauer mich durchgraut;
Und in die dunkle Grabesnacht
Stürzt ich hinein – und bin erwacht.
3.
Im nächt'gen Traum hab ich mich selbst geschaut,
In schwarzem Galafrack und seidner Weste,
Manschetten an der Hand, als ging's zum Feste,
Und vor mir stand mein Liebchen, süß und traut.
Ich beugte mich und sagte: »Sind Sie Braut?
Ei! ei! so gratulier ich, meine Beste!«
Doch fast die Kehle mir zusammenpreßte
Der langgezogne, vornehm kalte Laut.
Und bittre Tränen plötzlich sich ergossen
Aus Liebchens Augen, und in Tränenwogen
Ist mir das holde Bildnis fast zerflossen.
O süße Augen, fromme Liebessterne,
Obschon ihr mir im Wachen oft gelogen,
Und auch im Traum, glaub ich euch dennoch gerne!
4.
Im Traum sah ich ein Männchen klein und putzig,
Das ging auf Stelzen, Schritte ellenweit,
Trug weiße Wäsche und ein feines Kleid,
Inwendig aber war es grob und schmutzig.
Inwendig war es jämmerlich, nichtsnutzig,
Jedoch von außen voller Würdigkeit;
Von der Courage sprach es lang und breit,
Und tat sogar recht trutzig und recht stutzig.
»Und weißt du, wer das ist? Komm her und schau!«
So sprach der Traumgott, und er zeigt' mir schlau
Die Bilderflut in eines Spiegels Rahmen.
Vor einem Altar stand das Männchen da,
Mein Lieb daneben, beide sprachen: »Ja!«
Und tausend Teufel riefen lachend: »Amen!«
5.
Was treibt und tobt mein tolles Blut?
Was flammt mein Herz in wilder Glut?
Es kocht mein Blut und schäumt und gärt,
Und grimme Glut mein Herz verzehrt.
Das Blut ist toll und gärt und schäumt,
Weil ich den bösen Traum geträumt;
Es kam der finstre Sohn der Nacht,
Und hat mich keuchend fortgebracht.
Er bracht mich in ein helles Haus,
Wo Harfenklang und Saus und Braus,
Und Fackelglanz und Kerzenschein;
Ich kam zum Saal, ich trat hinein.
Das war ein lustig Hochzeitfest;
Zu Tafel saßen froh die Gäst'.
Und wie ich nach dem Brautpaar schaut –
O weh! mein Liebchen war die Braut.
Das war mein Liebchen wunnesam,
Ein fremder Mann war Bräutigam;
Dicht hinterm Ehrenstuhl der Braut,
Da blieb ich stehn, gab keinen Laut.
Es rauscht Musik – gar still stand ich;
Der Freudenlärm betrübte mich.
Die Braut, sie blickt so hochbeglückt,
Der Bräut'gam ihre Hände drückt.
Der Bräut'gam füllt den Becher sein,
Und trinkt daraus, und reicht gar fein
Der Braut ihn hin; sie lächelt Dank –
O weh! mein rotes Blut sie trank.
Die Braut ein hübsches Äpflein nahm,
Und reicht es hin dem Bräutigam.
Der nahm sein Messer, schnitt hinein –
O weh! das war das Herze mein.
Sie äugeln süß, sie äugeln lang,
Der Bräut'gam kühn die Braut umschlang,
Und küßt sie auf die Wangen rot –
O weh! mich küßt der kalte Tod.
Wie Blei lag meine Zung' im Mund,
Daß ich kein Wörtlein sprechen kunnt.
Da rauscht es auf, der Tanz begann;
Das schmucke Brautpaar tanzt voran.
Und wie ich stand so leichenstumm,
Die Tänzer schweben flink herum; –
Ein leises Wort der Bräut'gam spricht,
Die Braut wird rot, doch zürnt sie nicht. – –
6.
Im süßen Traum, bei stiller Nacht,
Da kam zu mir, mit Zaubermacht,
Mit Zaubermacht, die Liebste mein,
Sie kam zu mir ins Kämmerlein.
Ich schau sie an, das holde Bild!
Ich schau sie an, sie lächelt mild,
Und lächelt, bis das Herz mir schwoll,
Und stürmisch kühn das Wort entquoll:
»Nimm hin, nimm alles, was ich hab,
Mein Liebstes tret ich gern dir ab,
Dürft ich dafür dein Buhle sein,
Von Mitternacht bis Hahnenschrein.«
Da staunt' mich an gar seltsamlich,
So lieb, so weh und inniglich,
Und sprach zu mir die schöne Maid:
»Oh, gib mir deine Seligkeit!«
»Mein Leben süß, mein junges Blut,
Gäb ich, mit Freud' und wohlgemut,
Für dich, o Mädchen, engelgleich –
Doch nimmermehr das Himmelreich.«
Wohl braust hervor mein rasches Wort,
Doch blühet schöner immerfort,
Und immer spricht die schöne Maid:
»Oh, gib mir deine Seligkeit!«
Dumpf dröhnt dies Wort mir ins Gehör,
Und schleudert mir ein Glutenmeer
Wohl in der Seele tiefsten Raum;
Ich atme schwer, ich atme kaum. –
Das waren weiße Engelein,
Umglänzt von goldnem Glorienschein;
Nun aber stürmte wild herauf
Ein gräulich schwarzer Koboldhauf'.
Die rangen mit den Engelein,
Und drängten fort die Engelein;
Und endlich auch die schwarze Schar
In Nebelduft zerronnen war. –
Ich aber wollt in Lust vergehn,
Ich hielt im Arm mein Liebchen schön;
Sie schmiegt sich an mich wie ein Reh,
Doch weint sie auch mit bitterm Weh.
Feins Liebchen weint; ich weiß warum,
Und küß ihr Rosenmündlein stumm.
1 comment