Cardenio und Celinde

Andreas Gryphius: Cardenio und Celinde

 

 

Andreas Gryphius

Cardenio und Celinde

 

 

 

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Impressum

Cerdenio und Celinde

oder

Unglücklich Verliebete

Trauerspiel

Großgünstiger vnd Hochgeehrter Leser.

Als ich von Straßburg zurück in Niederland gelanget /vnd zu Ambsterdam bequemer Winde nacher Deutschland erwartet / hat eine sehr werthe Gesellschafft etlicher auch hohen Standes Freunde / mit welchen ich theils vor wenig Jahren zu Leiden / theils auff vnterschiedenen Reisen in Kundschafft gerathen /mich zu einem Panquet / welches sie mir zu Ehren angestellet / gebeten. Als bey selbtem nach allerhand zugelassener Kurtzweilen / man endlich auff Erzehlung unterschiedener Zufälle gerathen / vnd damit einen zimlichen Theil der Nacht verzehret / hab ich mich entschlossen Abschied zu nehmen / vnd in mein damaliges Wirthshaus zu eilen. Wolgedachte meine Liebesten wolten / was ich auch bitten oder einwenden möchte nicht unterlassen mich biß nach Hause / durch die so weite Stadt zu begleiten / vnd geriethen so bald sie auff die Gassen kommen wieder auff ihr voriges Geschicht-Gespräch / dabey mir auff jhr anhalten Anlaß gegeben / den Verlauff dieser zwey vnglücklich Verliebeten zu erzehlen. Die Einsamkeit der Nacht /die langen Wege / der Gang über den einen Kirch-Hof vnd andere Umbstände machten sie so begierig auffzumercken: Als frembde ihnen diese deß Cardenio Begebnüß / welche man mir in Italien vor eine wahrhaffte Geschicht mitgetheilet / vorkommen / daß sie auch nach dem ich mein Reden geendet / von mir begehren wollen jhnen den gantzen Verlauff schrifftlich mitzutheilen. Ich der nach vielem abschlagen / mich überreden lassen / Freunden zu gefallen eine Thorheit zu thun / hab endlich versprochen jhnen wie in andern Begnügungen also auch mit dieser nicht zu entfallen /bin aber doch bald anderer Meynung worden / vnd habe stat einer begehrten Geschicht-Beschreibung[5] gegenwärtiges Trauer-Spiel auffgesetzet bey welchem ich weil es durch vieler Hände gehen vnd manch scharffes Urtheil außstehen wird / eines vnd andere nothwendig erinnern muß. Zu förderst aber wisse der Leser / daß es Freunden zu gefallen geschrieben / welche die Geschicht sonder Poetische Erfindungen begehret. Die Personen so eingeführet sind fast zu niedrig vor ein Traur-Spiel doch hätte ich diesem Mangel leicht abhelffen kennen wenn ich der Historien die ich sonderlich zu behalten gesonnen / etwas zu nahe treten wollen / die Art zu reden ist gleichfalls nicht viel über die gemeine / ohn daß hin vnd wieder etliche hitzige vnd stechende Wort mit vnter lauffen / welche aber den Personen / so hier entweder nicht klug / oder doch verliebet / zu gut zu halten. Was nun in oberzehlten Stücken abgehet / wird wie ich verhoffe der schreckliche Traur-Spiegel welcher bey den Verliebeten vorgestellet / wie auch deß Cardenio verwirretes Leben / genungsam ersetzen. Mein Vorsatz ist zweyerley Liebe: Eine keusche / sitsame vnd doch inbrünstige in Olympien: Eine rasende / tolle vnd verzweifflende in Celinden, abzubilden. Wo ich diesen Zweck erreichet / hab ich was ich begehret / wo nicht / so wird doch der Vorsatz dem Leser zu dienen Entschuldigung vnd Genade finden. Mit einem Wort / man wird hierinnen als in einem kurtzen Begrieff / alle diese Eitelkeiten in welche die verirrete Jugend gerathen mag / erblicken. Cardenio suchet was er nicht finden kan vnd nicht suchen solte. Lysander bauet seine Liebe auff einen so vnredlichen als gefährlichen Grund / welches gar übel ausschlägt; biß seine Fehler von Vernunfft / Tugend vnd Verstand ersetzet werden. Olympe schwebet in steten Schmertzen; biß sie bloß nach der Ehre als dem einigen Zweck zielet. Tyche gibet Anschläge zu einer verfluchten Zauberey / vnd wil Liebe erwecken durch den Stiffter deß Hasses vnd Geist der Zweytracht. Ihr Mittel das sie vorschlägt ist so abscheulich als boßhafft / gleichwol[6] weiß ich daß eine Person hohen Standes in Italien ein weit thörichter Werck versuchet. Und welches Land ist von solchen Händeln reine? Leo Allatius hat nicht sonder Verwunderung gelehrter Sinnen Opinationes Graecanicas geschrieben. Wenn jemand die Zeit auff solche Sachen wenden / vnd alle Künste verlorne Sachen zu finden / Schätze zu graben / Liebe zu stifften / Eheleute zu verknüpffen / Todte zu beschweren /Kranckheiten zu vertreiben / auff welche viel in Deutschland halten / auffsetzen wolte / er würde ein ungeheures Buch Opinationum Germanicarum zusammen bringen. Auch diese welche mit höchsten Wissenschafften begabet / sind zuweilen mit einem vnd anderm Geschwüre von dieser Räudigkeit angestecket: Wo jemand zweiffelt / der bedencke (daß ich vieler anderer nicht erwehne.) was Hieronymus Cardanus von sich selbst / vnd Petrus Gassendus von Tychone geschrieben / welcher letzte nicht wenig auff die Reden eines seiner Vernunfft beraubeten Menschen gehalten. Wie ich nun gerne gestehe daß solche Feiler so hoher Seelen / höchst schädlich vnd verwerfflich; also wolte ich wüntschen daß von allen derogleichen nichtigen vnd verdammten Wissenschafften auch nicht das Gedächtnüß auff Erden mehr vorhanden. Indessen muß allhier Celinde bewahren / daß der Vorschlag solcher Mittel Gottlos / der Gebrauch gefährlich / die Würckung vnglücklich. Ob jemand seltsam vorkommen dürffte / daß wir nicht mit den Alten einen Gott auß[7] dem Gerüste / sondern einen Geist auß dem Grabe herfür bringen / der bedencke was hin vnd wieder von den Gespensten geschrieben. Ich wil den Leser mit den bekanten Geschichten nicht auffhalten /sondern nur zwey Beyspiel schier eines Schlags mit vnserm auß dem Moscho hieher versetzen / vmb so viel mehr weil dessen Buch nicht sonders bekand /vnd die Begebungen nie von denen angezogen oder berühret / welche sich die Eigenschafften der Geister zu erforschen bemühet / so schreibet gedachter Grich in seinem Buch / dem er den Nahmen einer geistlichen Wiesen zueignet. Cap. 77. Ich vnd mein Herr Sophronius giengen zu dem Hause deß Sophisten Stephani, vmb von jhm gelehrter zu werden / es war gleich Mittag / er hielt sich auff bey der Kirchen der heiligen Gottes-Gebärerin / welche der selige Vater Eulogius gegen Osten bey dem grossen Tetraphylo gebauet / als wir nun an seine Thüre klopften: Sihet vns ein Mägdlein an / vnd antwortet; er schlafe / man müsse noch ein wenig verziehen. Ich hub an zu meinem Herren Sophronio; last vns in das Tetraphylum gehen vnd alldort verharren. Es pflegen aber die Bürger von Alexandria diesen Ort in hohen Ehren zu halten / denn sie sagen es habe Alexander der die Stadt gebauet / die Gebeine deß Propheten Hieremiae auß Egypten erhoben / vnd alldar beygesetzet. Als wir nun dahin kommen / finden wir niemand als drey Blinde /denn es war Mittag. Wir giengen derowegen gantz stille vnd ruhig zu diesen Blinden / vnd nahmen vnsere Bücher vor vns / sie aber die Blinden redeten von unterschiedenen Sachen / vnd einer forschere von dem andern wie er vmb sein Gesichte kommen.