Das Tier ist klüger, das von seiner Stätte flieht, wenn es ein Erdbeben spürt. Noch etwas, Monsieur. Ein Wort noch über das Wesen, das Sie so ausdrücklich in Ihren Schutz nehmen. Ariel ist moralisch nicht belastbar. Niemand denkt daran, es zu tun. Da ist nur Linie, nur Gebärde, nur Schönheit. Meinen Sie nicht, daß die dunklere Farbe und tiefere Kraft, die das Wissen um übermenschliche Leiden gibt, diese Kunst über die Interessensphäre müßiger Schmecker hinausheben kann? Wir brauchen Herolde, die über den Idiomen der Völker stehen; da sind Möglichkeiten, von denen man nur mit Verzweiflung im Herzen träumen kann.« Er nickte einen Gruß und ging.

Crammon war es wie einem, der in leichtem Sommeranzug fröhlich ausgezogen ist und, von einem Platzregen überrascht, naß und verdrossen heimkehrt. Die Uhren schlugen zwei. Eine Sängerin von der Komischen Oper erwartete ihn seit Mitternacht; er trug ihren Wohnungsschlüssel in der Tasche. Als er über die Seinebrücke schritt, ergriff er den Schlüssel und schleuderte ihn in einem Anfall heftigen Mißmuts ins Wasser.

»Süßer Ariel,« sprach er vor sich hin, »ich küsse die Spuren deiner Füße.«

 

4

 

Adda Castillo merkte, daß Christian sich von ihr abwandte. Sie hatte es nicht erwartet, nicht nach so kurzer Zeit. Als sie ihn erkalten sah, wuchs ihre Liebe. Da wuchs auch seine Gleichgültigkeit, und ihr leidenschaftliches Herz büßte die Ruhe gänzlich ein.

Sie war an Wechsel gewöhnt, war viel geliebt worden, trotz ihrer Jugend, hatte viele geliebt und Treue nie gefordert, noch gehalten. Aber dieser Mann war ihr mehr, als andre gewesen waren.

Sie wußte, an wen sie ihn verlor; sie hatte die Tänzerin gesehen. Christian, zur Rede gestellt, gab offen zu, was sie bloß als Verdacht geäußert hatte, um beschwichtigt zu werden. Sie verglich. Sie fand, daß sie schöner sei als Eva Sorel, ebenmäßiger, rassiger, feuriger; ihre Freunde bestätigten es. Dennoch spürte sie, daß dort ein Vorteil war, gegen den sie unterlag, den weder sie noch einer ihrer Schmeichler benennen konnte; um so mehr fühlte sie sich beleidigt.

Sie schmückte sich, sie trieb kokette Spiele, sie entfaltete alle Seiten ihres wilden und hinreißenden Temperaments; es war umsonst. Da schwor sie Rache, ballte die Fäuste, stampfte auf den Boden; sie bettelte, lag auf den Knien vor ihm und schluchzte. Eines war so töricht wie das andre. Er wunderte sich und fragte gelassen: »Warum entwürdigst du dich so?«

Eines Tages teilte er ihr mit, daß sie auseinander gehen müßten. Sie wurde kreideweiß und zitterte. Plötzlich riß sie einen Revolver aus ihrem Täschchen, zielte auf ihn und drückte zweimal ab. Er hörte die Kugeln an seinem Kopf vorüberzischen, die eine links, die andre rechts. Sie schlugen in den Wandspiegel und zertrümmerten ihn; die Scherben fielen klirrend zu Boden.

Leute Christians stürzten an die Tür. Christian ging hinaus und erklärte den Vorfall harmlos als die Folge einer Unvorsichtigkeit. Zurückgekehrt, sah er Adda Castillo auf dem Sofa liegen, das Gesicht in Kissen vergraben. Keine Miene von ihm zeigte Schrecken über die Gefahr, der er entgangen war. Wie lästig dies alles und wie banal, dachte er. Er nahm Hut und Stock und verließ das Zimmer.

Erst lange nachher erhob sich Adda Castillo, schritt zum Spiegel und schauderte leicht zusammen, als sie nur noch ein Stück davon in einer Ecke des Rahmens stecken sah.