Und das Brennen in seiner Brust wurde immer ärger.
Es war vereinbart worden, daß Christian und Sir Denis Lay miteinander Florett fechten sollten. Eva hatte darum gebeten; sie versprach sich Genuß und Belehrung von dem Anblick, den die beiden schön gewachsenen Menschen dabei bieten mußten.
Die Vorbereitungen waren beendigt; in dem Rundraum, wo die Teppiche hingen, traten Christian und Sir Denis einander gegenüber. Eva klatschte in die Hände, und sie nahmen ihre Positionen ein. Man hörte eine Weile nur die gedämpften, raschen, rhythmischen Sprungschritte, das leise Klirren der Degen. Eva stand hochaufgerichtet, ganz Auge, die Bewegungen mit Blicken trinkend. Christians Körper war schlanker und elastischer als der des Engländers, dieser wieder zeigte mehr Kraft und Freiheit. Sie waren wie Brüder, der eine in einem rauhen Klima aufgewachsen, der andre in einem milden; der eine auf sich selbst gestellt und von weit zurückreichender Zucht getragen, der andre von Zärtlichkeit umhorcht und ohne innere Führung. Dort war alles Saft, hier alles Schmelz, aber an Männlichkeit und Feuer gaben sie einander nichts nach.
Crammon war im siebenten Himmel der Begeisterung.
Als der Kampf beinahe zu Ende war, erschien Cornelius Ermelang und in seiner Begleitung Iwan Michailowitsch Becker. Eva hatte Ermelang aufgefordert, eine Dichtung vorzulesen; er und Becker waren einander seit langem bekannt, und da er den Russen im Torweg auf und ab schreitend getroffen, hatte er ihn einfach mit heraufgenommen. Es war das erstemal, daß Iwan Becker sich den andern Freunden Evas zeigte.
Beide setzten sich still abseits.
Christian und Sir Denis hatten sich umgekleidet, und nun sollte Ermelang lesen. Susanne setzte sich in Beckers Nähe und beobachtete ihn mit aufmerksamer Miene.
Cornelius Ermelang war ein schwächlicher Mensch, fast abschreckend häßlich. Er hatte eine steile Stirn, wasserblaue Augen mit verschleiertem Blick, eine kraftlos hängende Unterlippe und ein gelbliches, unscheinbares Stückchen Bart am untersten Ende des Kinns. Seine Stimme war außerordentlich sanft und leise; sie hatte etwas Singendes wie die eines Predigers.
»Sankt Franziskus Nachfolge,« hieß das Gedicht; sein Inhalt schloß sich der überlieferten Schrift an.
Einstmals weilte Sankt Franziskus in dem Kloster der Portiunkula mit Bruder Masseo von Marignano, der sehr heilig war und schön und verständig von Gott zu reden wußte. Darum liebte ihn Sankt Franziskus sehr. Eines Tages nun kehrte Sankt Franziskus aus dem Walde zurück, wo er gebetet hatte, und gerade, wie er aus dem Wald treten wollte, kam ihm Bruder Masseo entgegen und sprach: »Warum dir? Warum dir? Warum dir?« Sankt Franziskus antwortete: »Was willst du denn eigentlich sagen?« Bruder Masseo erwiderte: »Ich frage, warum alle Welt dir nachläuft, und warum jedermann dich sehen will und auf dich horchen und dir gehorchen; du bist kein schöner Mann, du bist nicht gelehrt, nicht von edler Abkunft; was ist es denn, daß alle Welt dir nachläuft?« Wie das Sankt Franziskus hörte, ward er sehr froh im Gemüte, und er hob sein Antlitz gegen den Himmel und blieb lange unbeweglich stehen, denn sein Geist war zu Gott erhoben. Als er aber wieder zu sich kam, warf er sich auf die Knie, pries und dankte Gott, wandte sich dann voller Inbrunst zu Bruder Masseo und sprach: »Willst du wissen, warum mir? willst du wissen, warum mir? willst du wissen, warum mir? warum mir alle nachfolgen? Das hat mir der Blick des allmächtigen Gottes ersehen, der allerorten auf Guten und Bösen weilt. Denn seine heiligen Augen sahen unter den Sündern keinen, der elender war denn ich, keinen, der untüchtiger war denn ich, keinen, der ein größerer Sünder war denn ich; und um das wundersame Werk zu vollbringen, das er sich vorgenommen, fand er kein Geschöpf auf Erden, das armseliger war denn ich. Darum hat er mich auserwählt, um die Welt zu beschämen mit ihrem Adel und ihrem Stolz und ihrer Stärke und ihrer Schönheit und ihrer Weisheit; auf daß da kund werde, daß alle Kraft und alles Gute von ihm ausgehet und nicht von der Kreatur, und niemand sich vor seinem Angesicht rühme. Wer sich aber rühmt, rühme sich in dem Herrn.« Da erschrak Bruder Masseo über diese Antwort, die so demütig war und mit so viel Inbrunst gesprochen.
In dem Gedicht ging dann Bruder Masseo in den Wald, aus welchem Sankt Franziskus gekommen, und es war ein orgelndes Brausen in den Baumwipfeln, das ihm vernehmlicher zu der Frage wurde: Willst du wissen, warum? willst du wissen, warum? Und er warf sich zur Erde, auf Wurzeln und Steine, er küßte Wurzeln und Steine und rief aus: »Ich weiß warum, ich weiß warum.«
7
Die Strophen hatten eine süße Ekstase; ein gedämpftes Hinrinnen war ihnen eigen, mit Reimen, die gleichsam versteckt waren.
»Es ist schön,« sagte Sir Denis Lay, der die deutsche Sprache vollkommen beherrschte.
Crammon sagte: »Es ist wie alte Glasmalerei.«
»Was mir am meisten gefällt,« fuhr Sir Denis fort, »ist, daß einem die Figur des Franziskus nahetritt und daß er jenes Bezaubernde hat, das ihm vor allen Heiligen zugeschrieben wurde, die Cortesia.«
»Die Cortesia? Was ist darunter zu verstehen?« fragte Fürst Wiguniewski. »Höflichkeit? Fromme Höflichkeit?«
Eva erhob sich. »Das ist es,« sagte sie, »das.« Und sie machte mit beiden Händen eine entzückende Gebärde. Alle sahen sie an. Sie fügte hinzu: »Geben, was mein ist, und nehmen, zum Scheine nur, was des andern ist. Das ist Cortesia.«
Christian hatte sich während dieses Gesprächs aus dem Kreis entfernt. Widerwille zeigte sich in seinem Gesicht. Auch während der Vorlesung hatte er es kaum ertragen, auf seinem Stuhle ruhig sitzen zu müssen. Er wußte nicht, was es war, das sich in ihm aufbäumte, ihn im höchsten Grad reizte. Hohn und Trotz erfüllten ihn und drängten ihn zu einer Kundgebung. Mit verstellter Gleichgültigkeit rief er Sir Denis Lay zu sich und begann mit ihm von dem Vollbluthengst zu sprechen, den Sir Denis zu verkaufen und den Christian zu besitzen wünschte. Er hatte vierzigtausend Franken schon geboten, jetzt bot er fünfundvierzigtausend, so laut, daß es alle hören konnten.
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