Ein beweglicher Brief des Fray Juan Perez, dem sie unbedingtes Vertrauen schenkte, ließ ihr als Pflicht erscheinen, was bisher vielleicht nur Gedankenspiel gewesen war.
Sie ruft also Columbus zu sich. Sie sendet zwanzigtausend Maravedis in Guldenstücken für die Reise und Instandsetzung seiner Garderobe. Er ist in Palos bei dem Arzt Garcia Hernandez, es hat ihn in die Hafenstadt getrieben, er will das Meer sehen, es ist ihm zumute, als sei der Ozean nicht mehr da. Man händigt ihm Brief und Geld aus. Es wird für ein wohlgezäumtes Roß, anständige Diener und seidene Gewänder gesorgt. Er reitet nach Santa Fé, in der Vega von Granada, wo das Hoflager ist.
Aber was hat ihm die Königin zu sagen? Nichts. Soviel wie nichts. Er möge sich noch gedulden. Granada ist vor dem Fall, die Ungläubigen haben sich in der Alhambra eingeschlossen, jede Stunde kann die Entscheidung bringen. Man schreibt Dezember 1491. Geduld? Er hat die letzten Reste davon verbraucht. Der Hunger zwingt den maurischen König Mohamed Boabdil zur Übergabe von Stadt und Festung. Damit ist ganz Spanien von den Sarazenen befreit, achthundert Jahre nach der Eroberung. Großer Jubel im spanischen Lager, Siegesfeste, Dankgottesdienste. Darf der unglückliche Supplikant jetzt endlich Hoffnung schöpfen? Wird man ihn hören? Wird man ihm glauben? Trübsinnig und fast mit Haß blickt er auf die allgemeinen Lustbarkeiten, zuviel von seiner Lebenskraft ist aufgezehrt, der Körper ist morsch, der Geist hat die Biegsamkeit eingebüßt, die Seele ist erfroren. Er erscheint vor dem königlichen Paar, um seine Glückwünsche darzubringen, man bemerkt ihn, die Königin würdigt ihn gnädiger Anrede, sie verspricht ihm, daß eine Kommission eingesetzt werden soll, um bestimmte Abmachungen mit ihm zu treffen. Sie hält Wort. Zum Haupt der Kommission wird Talavera ernannt, der eben Erzbischof von Granada geworden ist. Er hat nicht viel übrig für die überspannten Ideen dieses Cristobal Colón und noch weniger für ihn selbst. Doch die Königin wünscht, daß er mit ihm verhandle, und so befiehlt er ihn zu sich. Man wird ihm den kleinsten Teil des unumgänglich Nötigen bewilligen, damit ist die Sache abgetan, und der aufdringliche Graukopf mag zeigen, ob seine Verheißungen was anderes sind als eitel Dunst. Schön; was geschieht aber zum unermeßlichen Erstaunen des Kirchenfürsten? Der hergelaufene Fremdling und projekteschmiedende Hungerleider, der von Almosen des Hofs und einiger Granden lebt und mit seinen ungereimten Anerbietungen jahrelang die Langmut der Majestäten mißbraucht hat, schlägt auf einmal, kaum daß er der durch ihren Sieg über die Ungläubigen froh gestimmten Regentin die erste Gewährung abgelistet hat, einen Ton an, der alles überbietet, was man je an frecher Anmaßung gehört hat, so daß man noch milde verfährt, wenn man die Verhandlungen wortlos abbricht und dem unverschämten Narren die Tür weist.
Laßt uns sehen. Columbus hat also seine Forderungen gestellt. Er ist durchaus nicht geneigt, sich mit dem zu begnügen, was ihm die Monarchin freundlich bietet, einige Schiffe, eine angemessene Geldunterstützung, ihren gnädigen Schutz und Schirm, sondern gibt seinerseits die Bedingungen bekannt, unter denen er die Reise antreten will. Und wahrhaftig, es ist nichts Geringes, was er verlangt. Es ist sogar, im ganzen und im Hinblick auf seine Situation betrachtet, etwas derartig Unfaßliches, daß die nüchtern rechnenden Leute am spanischen Hofe sich wirklich fragen müssen, ob der gute Mann nicht einfach den Verstand verloren hat. Folgendes ist es, was er fordert: Das Amt des Vizekönigs und Generalgouverneurs über alle Inseln und Festländer, die er entdecken und für Spanien in Besitz nehmen wird; Erhebung zum Admiral des Weltmeers; ein Zehntel von allen Reichtümern: Perlen, Diamanten, Gold, Silber, Gewürzen, Früchten und Produkten irgendwelcher Art, die in den seiner Verwaltung unterstellten Gebieten gefunden und nach Spanien sollen ausgeführt werden; das Eigentumsrecht auf ein Achtel der zu entdeckenden und zu erobernden Länder sowie aller daraus gezogenen Einkünfte, wogegen er seinerseits ein Achtel der Ausrüstungskosten zu tragen sich erbot (am Rande: er besaß ja keinen roten Heller, wahrscheinlich hatte ihm die wohlhabende Familie Pinzon bereits damals eine Kapitalsbeteiligung in Form eines Schiffes zugesagt); schließlich: Vererbung aller dieser Rechte, Titel und Würden auf seine Nachkommen, vom Erstgeborenen zum Erstgeborenen.
Überraschende Manifestation. Sie legt die Frage nach der innersten Beschaffenheit dieses geheimnisvollen Menschenwesens nah.
Fünftes Kapitel
Letzte Hindernisse und endliche Ausreise
Was der Figur des Columbus die donquichotische Prägung verleiht, ist nicht bloß der eine zentrale Irrtum, der ihn bis zu seinem Tod aufs leidenschaftlichste die Erkenntnis abwehren hieß, daß er einen neuen Kontinent, eine neue Welt entdeckt hatte, es ist im weitesten Ausmaß Richtung und Anlage seines Geistes, alle dessen Behelfe, Berufungen, Urteile, Schutzwaffen, Verklausulierungen und Kundgebungen. Und zwar so sehr, daß ich die Empfindung nicht loszuwerden vermag, Cervantes müsse bei der Konzeption seines unsterblichen Junkers von diesem realen Vorbild beeinflußt worden sein. Man darf nicht glauben, daß ein Genius solchen Ranges seine welthistorische Gestalt sozusagen in einer privaten Dichterlaune zeugte.
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