Wie ein dunkles Gespenst ist er vom Abend bis zum Morgengrauen am Bug der »Santa Maria« gestanden, die hellgrauen Fanatikeraugen in gefrorener Glut nach Westen gerichtet. Daß ihn seine Untergebenen geliebt haben, läßt sich schwerlich annehmen; solche Männer werden nicht geliebt; schreibt er doch von sich selbst: »Ich bin nicht schmeichlerisch von Worten, vielmehr gelte ich für rauh«; die bewußtseinslähmende Spannung, die ihn bis zum zwölften Oktober erfüllte, trieb ihn von aller Menschheit weg, und wenn es auch Leute waren, die vor nichts und niemand zurückschreckten, ihm wichen sie in scheuem Bogen aus, wie sie einem verrufenen Zauberer ausgewichen wären. Dabei mußte er mehr vor ihnen auf der Hut sein als sie vor ihm. Damit die Ungeduld sie nicht zu früh rebellisch werden ließ, griff er von vornherein zu dem nicht ganz einwandfreien Mittel, sie über den zurückgelegten Weg zu täuschen, indem er doppelt Buch führte, einmal, in der wirklichen Zahl der Seemeilen, für sich, und einmal, in verkürzten Ziffern, für das Schiffsvolk, eine Maßregel, die wahrscheinlich auf allen drei Caravellen gleichmäßig getroffen werden mußte, da man sich ja bei ruhigem Wetter von Fahrzeug zu Fahrzeug leicht verständigen konnte.

Eine Sonderbarkeit des Tagebuchs besteht darin, daß er bisweilen in der Ichform berichtet, dann wieder, ohne Übergang, von sich in der dritten Person als dem Admiral spricht. Es scheint mir nicht, als sei dies bloß eine stilistische Achtlosigkeit oder leere Form. Es wird wohl tiefer liegen. Das Ich und der Admiral standen in seiner Brust einander fremd gegenüber. Es waren zwei Personen von verschiedenem Rang, verschiedener Verantwortlichkeit, verschiedenem Belang, die eine ein mißtrauischer, fieberhaft erregter, traumgequälter, selbstquälerischer, müder alter starrer Mensch, die andere ein zum Symbol erhobenes Werkzeug göttlicher Mächte, unfehlbarer Geist.

Da schon drei Tage nach der Ausfahrt das Steuerruder der »Pinta« zerbrach (man hatte den Cristobal Quintero, den Eigentümer der Barke, in Verdacht, die Havarie mit Absicht herbeigeführt zu haben), mußte die Flottille die kanarische Insel Lanzerot anlaufen und konnte die Reise erst am achten September fortsetzen. Am siebzehnten meldet er im Logbuch, daß die Luft immer milder wird und daß er einen weißen Vogel gesehen hat, der nie auf dem Meer schläft. Der Ozean ist so ruhig wie der Fluß bei Sevilla. Am neunzehnten ist die Flotte vierhundert Meilen von den Kanaren entfernt. Am zwanzigsten fängt einer mit der Hand einen Vogel, der einer Meerschwalbe gleicht, es ist aber bei näherer Untersuchung ein Flußvogel. So wird gesagt, vielleicht nur, um die Hoffnung zu beleben. Auch ein Alcatraz, eine Pelikanart, fliegt von Nordwest nach Südost, Colón vermutet daher im Nordwesten Land. Am einundzwanzigsten herrscht Windstille, in der Nacht ist das Meer dicht mit Gras bedeckt. Am zweiundzwanzigsten, als sich Gegenwind erhebt, schreibt Columbus: »Der Admiral sagt, der widrige Wind war ihm notwendig, denn es war eine Gärung unter den Leuten, weil sie glaubten, es wehen unter diesen Himmelsstrichen keine Winde, die die Rückkehr möglich machen.« Am dreiundzwanzigsten fängt das Schiffsvolk ernstlich zu murren an, weil die See immerfort ruhig und glatt ist, bald aber regt sich das Meer, ohne daß ein Wind bläst, und wird so mächtig, daß alle sich verwundern. Columbus sagt hierzu: »Das ist noch nie geschehen, außer zur Zeit der Juden, als die Ägypter aus Ägypten auszogen, um Moses zu verfolgen.«

Es ist immer wieder das nämliche, was zum Ereignis wird: Abflauen und Auffrischen des Windes, gesichtete Vögel und Fische, die wundersamen Flächen grünen stillen Grases auf dem Wasser, die zarten Nebelbänke am Horizont, die die Hoffnung auf Nähe von Land wecken, um dann schmerzliche Enttäuschung zu hinterlassen, die Bahn der Sterne, ein schwimmender Zweig mit wilden Rosen, ein aufgefischtes Rohr. Es herrscht Unsicherheit über die Richtung, und von Schiff zu Schiff wird mit Alonzo Pinzon über den zu verändernden Kurs beraten, wobei der erfahrenere Kapitän der »Pinta« schroff seine bessere Meinung durchsetzt; der Admiral gibt den direkten Kurs nach Westen auf und befiehlt, das Steuer gegen Westsüdwest zu kehren.

In neuerer Zeit sind allerlei Zweifel an der Unbeirrbarkeit des Columbus während der Fahrt laut geworden, man hat behauptet, er selbst sei, beeinflußt von der Stimmung der Mannschaft, kleinmütig geworden und habe sich mit dem Gedanken an Umkehr befaßt; da sei es eben jener Alonzo Pinzon gewesen, der das Unternehmen durch seine entschlossene, geradezu drohende Haltung gerettet habe. Und um auch das Verdienst des Pinzon noch um einen Grad herabzudrücken, wird hinzugefügt, für ihn seien so viele materielle Interessen auf dem Spiel gestanden, daß er unverrichteter Dinge nicht auf halbem Weg hätte zurückkehren können.

Ich glaube von alledem kein Wort. Äußere Gründe mögen dafür sprechen, die innere Unwahrscheinlichkeit ist evident. Und selbst wenn es wahr wäre, d.h. wenn es das trügerische Zeugnis eines Vorgangs, eines Tages, einer Stunde für sich hätte, so wäre es doch menschlich und psychologisch unwahr. Es gibt forschungsmäßige Nachweise und Erhärtungen von rein destruktiver Natur, die immer dort Verwirrung hervorbringen, wo Bild und Anschauung fehlen. Umkehr: die Vokabel existierte nicht für den Admiral des »ozeanischen Meeres«. Don Quichote läßt sich steinigen, verhöhnen, er verzichtet auf Schlaf und Nahrung, er gibt sich preis, er gibt sich auf, aber er kehrt nicht um.

Hernando Colón erzählt, daß das meuterische Schiffsvolk sich verschworen habe, den Admiral zu einer bestimmten Zeit der Nacht, wenn er wieder berauscht von den Sternen sei, ins Meer zu werfen. (Wie unmittelbar wirklich, in einem knappen Nebensatz, das Bild des Mannes Berauscht von den Sternen Auf einmal steht er da, als ob ihn Greco gemalt hätte; expressiver ließ es sich kaum sagen.) Die aufgeregte Szene, in der dem Columbus von der empörten Rotte drei Tage zugestanden werden, wenn bis dahin nicht Land in Sicht käme, hätte er sein Leben verwirkt, dieser dramatische Knalleffekt geht auf den zeitgenössischen Geschichtsschreiber Oviedo zurück, einen kritiklosen Zusammensteller unsicherer Tatsachen. In dem Punkt darf man dem Admiral schon trauen, daß es mit der ganzen Revolte nicht weit her war, so skeptisch auch sonst seine Nachrichten aufzunehmen sind; wäre es zu jener äußersten Ausschreitung gekommen, so hätte er gewiß nicht versäumt, sie mit der Breite und Großartigkeit mitzuteilen, die ihm bei solchen Gelegenheiten eigen waren; es wäre für ihn ein willkommener Anlaß gewesen, sich eine Gloriole ums Haupt zu flechten und mit seiner überlegenen Geisteskraft zu prahlen. Jedoch er spricht immer nur von vorübergehenden Ungeduldsausbrüchen der Mannschaft, von hervorbrechender und wieder schwindender Mutlosigkeit, von Unruhe, Beklommenheit, sogar Widersetzlichkeit; von meuterischen Exzessen keine Silbe; an dem Tag, wo die offene Meuterei hätte stattfinden müssen, am zehnten Oktober, notiert er nur: »Die Leute beklagten sich über die Länge der Reise und wollten nicht weiter. Der Admiral begütigte sie, indem er ihnen den Nutzen vorstellte, den sie aus der Fahrt ziehen würden. Er fügte aber auch hinzu, ihr Murren sei ganz vergeblich, da sein fester Entschluß, nach Indien zu gelangen, durch nichts erschüttert werden könne.«

Daß seine Situation von Tag zu Tag bedenklicher wurde, verhehlte er sich nicht.