Alles bot einen so wunderbaren Anblick, machte den Ort so bezaubernd, daß der Admiral sich kaum loszureißen vermochte. Er sagte zu seiner Umgebung, es wären tausend Zungen nötig, um dem König und der Königin einen kleinen Begriff von diesem Feenreich zu geben.« Oder beim Anblick des Hafens von Baracoa: »Der Admiral kann die Schönheit des Landes nicht genug rühmen. Die Ebene breitet sich gegen Südost aus, und große Flüsse entströmen ihr, was ganz herrlich anzusehen ist.« Und später, über die Insel Española: »Aller Boden ist bepflanzt und das Tal von einem Fluß durchzogen, mit dessen Wassern die ganze Insel getränkt werden kann. Die Bäume sind grün und voller Früchte, die Gräser von Blumen untermengt und sehr hoch, die Luft balsamisch wie in Kastilien im April. Der Gesang der Nachtigall ist so lieblich wie das Klima, allerorten hört man Grillen und Frösche. Ich flehe Eure Hoheiten an, zu glauben, daß die Insel so gut und fruchtbar ist, daß nur der davon sprechen kann, der sie mit Augen gesehen.« Oder: »Ich versichere Eure Hoheiten, daß es in der ganzen Welt kein besseres Land und keine besseren Leute gibt. Sie lieben ihren Nächsten wie sich selbst, sie haben eine wahrhaft gewinnende Art zu reden und stets ein freundliches Lächeln bereit.«
Armseliges Gestammel, armselige Augen, die nur die roheste Materie sehen, nicht die Seltsamkeit der neuen Formen, die exotische Üppigkeit der Farben, die Penetranz des Lichts, die silberne Flüssigkeit der Atmosphäre, arme Feder, die keine Worte hat für das Glück der Erstmaligkeit, traurig abhängiger, in niedrigen Erwägungen befangener Geist, der diese neue Menschenwelt denkfaul ins Schema seiner engsten Begriffe preßt und während er ihr Leben, ihre Seele, ihr Tun und Lassen platt schematisiert, nichts von ihrer geheimnisvollen Kompliziertheit, ihren uralten sozialen und religiösen Regelungen und sittlichen Gesetzen begreift und wahrnimmt. Das ist ein Kaufmann, der seine Ware anpreist und keine Möglichkeit sieht, sie dem Besteller zu zeigen, damit er auch wisse, was er bekommt. Immerhin ein phantasievoller Kaufmann, der seinen Kredit überspannt hat und den die Erwartung des Gewinns nicht mehr schlafen läßt. Er sehnt den Augenblick herbei, wo er sein Glück verkündigen, wo er sich Glauben verschaffen kann, denn ihm selbst, ob er es gleich lebt, ist alles noch so sonderbar unglaubhaft. Ungeduld mündet stets in die Angst; er hat Angst, der europäischen Welt könne seine Entdeckung vorenthalten bleiben; der Ozean ist noch zu durchfahren; die Stürme, denen er auf der Herreise entgangen ist, werden ihn vielleicht auf der Rückreise vernichten; aber auch wenn sie ihn verschonen, wenn er glücklich heimgelangt, ist alles unsicher, alles lediglich auf Mitteilung gestützt; kann die neue Erde, die er der Menschheit aufgedeckt hat, nicht eine Fata morgana sein, wird sie nicht in Wesenlosigkeit zerrinnen, wenn er den Rücken kehrt, so wie sie wesenlos war, ehe er sie gefunden hatte? Das ist seine Angst, Realitätsangst, die schrecklichste Erschütterung des Geistes; darum scharrt er Gold zusammen mit allen Mitteln, auf allen Wegen, denn Gold ist die einzige sinnfällige Wirklichkeit, mit der er sich legitimieren und verständlich machen kann, Herzextrakt des entschleierten Mysteriums und Inbild seiner Tat.
Achtes Kapitel
Rückkehr und Triumph
Alle großen Handelnden sind große Menschenkenner, geboren mit dem untrüglichen Instinkt für die Brauchbarkeit, den inneren wie den politischen Wert der Leute, die sie an sich fesseln und ihren Zwecken unterwerfen. Einer der auffallendsten Züge des Columbus ist seine geringe Menschenkenntnis. Wem immer er sein Vertrauen schenkt, von dem erfährt er die bitterste Enttäuschung, sei es, daß er ihm einen Verwaltungsposten oder ein Kommando oder die Vertretung seiner Interessen in Spanien überträgt. Er hat eine unglückliche Hand in der Wahl seiner Diener und Helfer, er kann sich weder Autorität noch Respekt verschaffen; um seinen Willen unter allen Umständen durchzusetzen, fehlt es ihm an Folgerichtigkeit und an Verstandeskälte, hauptsächlich aber an jener moralischen Furchtlosigkeit, die gefürchtet macht. Er wird immer belogen und hintergangen, er gibt stets dem recht, der sich zu behaupten weiß, und seine Kraft im Befehlen ist etwa die eines subalternen Beamten, der durch einen lächerlichen Zufall plötzlich zum Minister avanciert. Als seine Leute von den Eingeborenen das Tabakrauchen lernen und durch den ungewohnten Genuß des Narkotikums in ermattende Rauschzustände verfallen und dienstunfähig werden, bringt er nicht den Mut auf, ihnen das Gift zu verbieten, sondern sucht sie nur mit dem Hinweis auf die barbarische Sitte abzuschrecken, und da sie ihm antworten, es stünde nicht mehr in ihrer Macht, davon zu lassen, bemerkt er nur resigniert: »Was für einen Gewinn sie von dem glimmenden Saugrohr haben, verstehe ich nicht.«
Am 21. November trennt sich Martin Alonzo Pinzon mit der »Pinta« von ihm und den beiden andern Schiffen und geht auf eigene Faust auf Entdeckungen aus, nicht nur ohne die Erlaubnis des Admirals, wie es im Bericht an die Königin heißt, sondern bewiesenermaßen gegen dessen ausdrücklichen Befehl. Sechs Wochen lang streift er in den benachbarten Meeren umher, es ist einfach Desertion, darüber konnte Columbus gar nicht in Ungewißheit sein; nun, er wagt es nicht einmal, ihn zur Rede zu stellen, als er eines Tages wieder erscheint. »Pinzon hat noch ganz andere Dinge getan«, ist alles, was er über die grobe Pflicht- und Gehorsamsverletzung in feigem Lakonismus zu sagen weiß.
Eines Nachts läuft die »Santa Maria«, das Admiralsschiff, durch eine unverantwortliche Fahrlässigkeit auf den Strand. Columbus erzählt: »Es war elf Uhr abends, als der Admiral sich entschloß, der Ruhe zu pflegen, denn er hatte zwei Tage und eine Nacht nicht geschlafen. Da die See still war, legte sich der Steuermann ebenfalls schlafen und überließ das Steuer einem Schiffsjungen, was der Admiral streng untersagt hatte. Da gefiel es unserm Herrn, daß um Mitternacht, als vollkommene Windstille eintrat und das Meer so ruhig lag wie Suppe in einem Näpfchen, das Schiff von der Strömung auf eine Sandbank getrieben wurde, und zwar so sanft, daß man es kaum merkte. Der Schiffsjunge erhob ein Geschrei, der Admiral stürzte als erster an Deck, befahl das Boot niederzulassen und einen Anker auszuwerfen. Der Steuermann und mehrere andre sprangen in das Boot, und der Admiral glaubte, sie würden seinen Anordnungen folgen; statt dessen waren sie nur darauf bedacht, sich an Bord der ›Niña‹ zu retten, die eine halbe Seemeile entfernt lag ...«
Wieder die vollkommene Ohnmacht. Es ist auch nirgends von einer Bestrafung die Rede, dergleichen darf er gar nicht riskieren. Er hat ja keine geschulte und erzogene Mannschaft unter sich, sondern eine Horde von Wegelagerern und Zuchthausanwärtern. Der Verlust der »Santa Maria« hatte weittragende Folgen. Die »Niña« war zu klein, um die gesamte Mannschaft wieder über den Ozean befördern zu können, so mußte der Admiral einen Teil der Leute auf der Insel lassen und sie unter den Schutz des Kaziken Guacamari stellen, dessen Zuneigung er gewonnen hatte und dem er vertraute. Diese Zurückgelassenen waren die ersten europäischen Ansiedler der neuen Welt und gleicherweise die ersten, die den Versuch mit dem Leben bezahlten. Ob der Admiral dem Guacamari mit Recht oder Unrecht sein Vertrauen schenkte, ist niemals zu ergründen gewesen, nur so viel steht für gewiß, daß er durchaus unvermögend war, diese oder irgendwelche andere Persönlichkeiten unter den Indios zu begreifen, er bemühte sich auch gar nicht um tiefere Einsicht, sondern verschloß sich in der einmal gefaßten Vormeinung wie in einen Panzer.
Seine beständigen Beteuerungen, wie harmlos, edelmütig und offen sich die »Wilden« gegen ihn und seine Leute betragen, arten in Geschwätzigkeit aus.
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