- In unsern Staatsgrundsätzen muß das Recht an die Stelle der Pflicht, das Wohlbefinden an die der Tugend und die Notwehr an die der Strafe treten. Jeder muß sich geltend machen und seine Natur durchsetzen können. Er mag nun vernünftig oder unvernünftig, gebildet oder ungebildet, gut oder böse sein, das geht den Staat nichts an. Wir alle sind Narren, es hat keiner das Recht, einem andern seine eigentümliche Narrheit aufzudrängen. - Jeder muß in seiner Art genießen können, jedoch so, daß keiner auf Unkosten eines andern genießen oder ihn in seinem eigentümlichen Genuß stören darf.

Camille. Die Staatsform muß ein durchsichtiges Gewand sein, das sich dicht an den Leib des Volkes schmiegt. Jedes Schwellen der Adern, jedes Spannen der Muskeln, jedes Zucken der Sehnen muß sich darin abdrücken. Die Gestalt mag nun schön oder häßlich sein, sie hat einmal das Recht, zu sein, wie sie ist; wir sind nicht berechtigt, ihr ein Röcklein nach Belieben zuzuschneiden. - Wir werden den Leuten, welche über die nackten Schultern der allerliebsten Sünderin Frankreich den Nonnenschleier werfen wollen, auf die Finger schlagen. - Wir wollen nackte Götter, Bacchantinnen, olympische Spiele, und von melodischen Lippen: ach, die gliederlösende, böse Liebe! - Wir wollen den Römern nicht verwehren, sich in die Ecke zu setzen und Rüben zu kochen, aber sie sollen uns keine Gladiatorspiele mehr geben wollen. - Der göttliche Epikur und die Venus mit dem schönen Hintern müssen statt der Heiligen Marat und Chalier die Türsteher der Republik werden. - Danton, du wirst den Angriff im Konvent machen!

Danton. Ich werde, du wirst, er wird. Wenn wir bis dahin noch leben! sagen die alten Weiber. Nach einer Stunde werden sechzig Minuten verflossen sein. Nicht wahr, mein Junge?

Camille.
Was soll das hier? Das versteht sich von selbst.

Danton.
Oh, es versteht sich alles von selbst. Wer soll denn all die schönen
Dinge ins Werk setzen?

Philippeau.
Wir und die ehrlichen Leute.

Danton. Das »und« dazwischen ist ein langes Wort, es hält uns ein wenig weit auseinander; die Strecke ist lang, die Ehrlichkeit verliert den Atem, eh' wir zusammenkommen. Und wenn auch! - den ehrlichen Leuten kann man Geld leihen, man kann bei ihnen Gevatter stehn und seine Töchter an sie verheiraten, aber das ist alles!

Camille.
Wenn du das weißt, warum hast du den Kampf begonnen?

Danton. Die Leute waren mir zuwider. Ich konnte dergleichen gespreizte Katonen nie ansehn, ohne ihnen einen Tritt zu geben. Mein Naturell ist einmal so. (Er erhebt sich.)

Julie.
Du gehst?

Danton (zu Julie).
Ich muß fort, sie reiben mich mit ihrer Politik noch auf. - (Im
Hinausgehn:) Zwischen Tür und Angel will ich euch prophezeien: die
Statue der Freiheit ist noch nicht gegossen, der Ofen glüht, wir alle
können uns noch die Finger dabei verbrennen. (Ab.)

Camille.
Laßt ihn! Glaubt ihr, er könne die Finger davon lassen, wenn es zum
Handeln kömmt?

Hérault.
Ja, aber bloß zum Zeitvertreib, wie man Schach spielt.

Zweite Szene

Eine Gasse

Simon. Sein Weib.

Simon (schlägt das Weib).
Du Kuppelpelz, du runzlige Sublimatpille, du wurmstichiger
Sündenapfel!

Weib.
He, Hülfe! Hülfe!

(Es kommen Leute gelaufen.)

Leute.
Reißt sie auseinander, reißt sie auseinander!

Simon.
Nein, laßt mich, Römer! Zerschellen will ich dies Geripp! Du Vestalin!

Weib.
Ich eine Vestalin? Das will ich sehen, ich.

Simon.
        So reiß ich von den Schultern dein Gewand.
        Nackt in die Sonne schleudr' ich dann dein Aas.

Du Hurenbett, in jeder Runzel deines Leibes nistet Unzucht. (Sie werden getrennt.)

Erster Bürger.
Was gibt's?

Simon. Wo ist die Jungfrau? Sprich! Nein, so kann ich nicht sagen. Das Mädchen! Nein, auch das nicht. Die Frau, das Weib! Auch das, auch das nicht! Nur noch ein Name; oh, der erstickt mich! Ich habe keinen Atem dafür.

Zweiter Bürger.
Das ist gut, sonst würde der Name nach Schnaps riechen.

Simon.