Er war nicht nur aufreizend blond und ehrgeizig, sondern auch rachsüchtig. Hinter biegsamen und schmeichlerischen Manieren verbarg er eine, dem Eichmeister Eibenschütz aber wohl erkenntliche Sucht, seinem Vorgesetzten zu schaden. Unter den Briefen, die an das Eichmeisteramt kamen, befanden sich auch die seinen, mit verstellter Hand geschriebenen. Es waren Droh- und Denunziationsbriefe. Sie verwirrten den Eichmeister Eibenschütz. Denn seine peinliche Bedachtsamkeit gebot ihm, jeder Anzeige nachzugehen und jede Drohung dem Gendarmeriekommando anzuzeigen. Im stillen gestand er sich selbst, daß er nicht dazu geschaffen war, Beamter zu sein, und gar in dieser Gegend. In der Kaserne hätte er bleiben müssen, ja, in der Kaserne. Bei den Soldaten war alles geregelt. Man bekam keine Drohbriefe und keine Denunziationen. Die Verantwortung eines jeden Soldaten für alles, was er tat, und für alles, was er unterließ, lag irgendwo hoch über ihm, er wußte selber gar nicht, wo. Wie leicht und frei war das Leben in der Kaserne gewesen!

Eines Tages nahm er ein paar Drohbriefe in seiner Aktentasche nach Hause, obwohl er das Gefühl hatte, daß er eine Unredlichkeit begehe. Aber es drängte ihn, die Briefe seiner Frau zu zeigen, und er konnte diesem Drang nicht widerstehen. Er kam also zum Mittagessen, pünktlich, wie er nur an den Tagen war, an denen er keine Fahrten in die Dörfer des Bezirks unternahm. Je näher er seinem Häuschen kam (es lag neben dem des Gendarmeriewachtmeisters Slama am Rande der Stadt), desto heißer wurde sein Zorn, und nahe vor der Tür war es bereits eine kochende Wut. Als er gar seine Frau erblickte – sie saß, wie gewöhnlich, am Fenster mit einem giftgrünen Strickzeug beschäftigt –, erwachte in ihm auch noch ein Haß, der ihn selbst erschreckte. Was will ich eigentlich von ihr? fragte er sich. Und da er keine Antwort geben konnte, wurde er noch zorniger, und als er eintrat, warf er die Briefe auf den bereits gedeckten Tisch und sagte mit unheimlich leiser Stimme – es war, als schrie er lautlos –: »Da lies, was du mir angerichtet hast!« Die Frau legte das Strickzeug weg. Mit gewissenhaften Gebärden, als wäre sie selbst ein Staatsbeamter, öffnete sie einen Brief nach dem andern. Indessen saß der Eichmeister Eibenschütz, in Hut und Mantel, wie bereit zu einer sofortigen Abreise, wütend auf seinem Stuhl, und je schweigsamer und gewissenhafter seine Frau las, desto heißer wurde seine Wut. Er beobachtete ihr Gesicht. Er glaubte deutlich zu sehen, daß seine Frau ein hartes, ein leidendes, aber dennoch böses Gesicht bekam. In manchen Augenblicken glich sie ihrer Mutter. Er erinnerte sich genau an seine Schwiegermutter. Sie lebte in Sternberg in Mähren. Als er sie zuletzt gesehen hatte, es war bei der Trauung, hatte sie ein grauseidenes Kleid getragen, es war ein Panzer. Ihren dürren und welken Leib umschloß es bis zum Halse, als hätte sie Pfeile und Lanzen zu befürchten. Ein Lorgnon trug sie vor den Augen; wenn sie es ablegte, glich sie einem Ritter, der ein Visier fallen läßt. Auch seine Frau ließ ein unsichtbares Lorgnon, ein unsichtbares Visier fallen. Sie erhob sich, nachdem sie gewissenhaft alle Briefe gelesen hatte und sagte: »Du hast doch keine Angst? Oder hast du etwa Angst?«

So wenig bekümmern sie also die Gefahren, die mich bedrohen, dachte da der Eichmeister.