Da er sich von weißem Licht überströmt sah, schaute er besorgt umher. Mit einer hastigen Bewegung setzte er sich wieder ins Dunkle, doch er vermochte nicht mehr in seine Träumerei zurückzufinden. Nun spürte er, daß seine Hände und Füße vor Kälte ganz erstarrt waren, und von neuem ergriff ihn Ungeduld. Abermals kletterte er auf den Stein, um einen Blick in den JasMeiffren hinüberzuwerfen, der noch immer stumm und leer dalag. Dann stieg er, weil er nicht mehr wußte, womit er die Zeit totschlagen sollte, hinunter, zog seine Flinte aus dem Bretterstapel, wo er sie versteckt hatte, und vertrieb sich die Zeit damit, das Schloß spielen zu lassen. Diese Waffe war eine lange, schwere Flinte, die sicherlich einmal einem Schmuggler gehört hatte. An der Stärke des Kolbens und an der mächtigen Schwanzschraube des Laufes konnte man die alte Steinschloßflinte erkennen, die ein einheimischer Büchsenmacher zu einem Perkussionsgewehr umgearbeitet hatte. Solche Flinten sieht man in den Bauernhäusern über den Kaminen hängen. Liebevoll streichelte der junge Bursche seine Waffe. Mehr als zwanzigmal ließ er den Hahn schnappen, steckte den kleinen Finger in den Lauf und prüfte aufmerksam den Kolben. Nach und nach erfüllte ihn eine jugendliche Begeisterung, die mit einem gut Teil Kinderei vermischt war. Schließlich legte er die Flinte an die Wange und zielte ins Leere wie ein Rekrut bei der Übung. Bald mußte es acht Uhr schlagen. Schon hielt er eine gute Minute lang seine Waffe an der Wange, als, leicht wie ein Hauch, eine leise und atemlose Stimme aus dem JasMeiffren herüberklang.
»Bist du da, Silvère?« fragte die Stimme.
Silvère ließ die Flinte fallen und war mit einem Satz oben auf dem Grabstein.
»Jaja«, antwortete er, gleichfalls die Stimme dämpfend. »Warte, ich will dir helfen!«
Er hatte die Arme noch nicht ausgestreckt, als schon der Kopf eines jungen Mädchens über der Mauer erschien. Die Kleine hatte sich mit seltener Behendigkeit den Stamm eines Maulbeerbaumes zunutze gemacht und war an ihm wie eine junge Katze hochgeklettert. An der Sicherheit und Leichtigkeit ihrer Bewegungen sah man, daß dieser seltsame Weg ihr vertraut sein mußte. Im Handumdrehen saß sie oben auf der Mauer. Da nahm Silvère sie in die Arme und wollte sie auf die Bank setzen. Aber sie wehrte sich.
»Laß doch«, sagte sie unter schelmischem Lachen wie ein Mädchen, das schäkert. »Laß doch! – Ich kann wirklich allein herunter.« Dann, als sie auf dem Stein war: »Wartest du schon lange auf mich? Ich bin so gerannt, ich bin ganz außer Atem.«
Silvère antwortete nicht. Er schien wenig zum Lachen aufgelegt und sah die Kleine bekümmert an. Er setzte sich neben sie und sagte:
»Ich wollte dich unbedingt sehen, Miette. Ich hätte die ganze Nacht auf dich gewartet … Morgen in aller Frühe geht es fort.«
Miette hatte gerade die Flinte erblickt, die im Gras lag. Sie wurde ernst und murmelte:
»Ach! – Es ist also beschlossen … Da liegt deine Flinte …«
Beide schwiegen.
»Ja«, antwortete Silvère dann mit noch unsicherer Stimme, »es ist meine Flinte … Ich wollte sie lieber schon heute abend aus dem Hause schaffen.
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