Für sie wurden die Wege gereinigt, zu ihrem Empfang bereitete sich draußen in der Landschaft das Volk.
Kapitel 21
Um die sechste Stunde äußerte Atahuallpa das Verlangen, den General zu sprechen.
Pizarro kam, gefolgt von seinem Bruder Pedro und dem finsteren Don Almagro.
Eine Zeitlang blickte Atahuallpa verloren vor sich hin; plötzlich erhob er sich und rief: "Was habe ich getan, was haben meine Kinder getan, daß mich ein solches Los treffen soll, und noch dazu aus deinen Händen? Hast du denn vergessen, wie du von meinem Volk mit Güte und Zutraulichkeit behandelt worden bist? Und ich, habe ich dir nicht Freundschaft genug erwiesen?"
Der General schwieg.
Und nun geschah es, daß Atahuallpa, dieser Stolze aller Stolzen, die Hände faltete und um sein Leben bat. Mit ganz leiser Stimme, die Lippen ein wenig vorgewölbt, das Haupt ein wenig gebeugt, mit Augen ohne Glanz. Ich weiß nicht mehr die Worte, vor mir steht unverwischbar, unvergeßbar nur sein Bild. Von vielen ist behauptet worden, Francesco Pizarro sei so erschüttert gewesen, daß er geweint habe. Ich selbst, sagt sein Bruder Pedro in einer Schrift, sah den General weinen.
Was mich betrifft, ich sah nichts davon. Auch fand der Inka kein Gehör bei ihm. Wenn einer erschüttert ist und weint, so müßte er wohl seines Irrtums inne werden, sollte man denken. Aber ich sah nichts davon.
Da Atahuallpa erkannt, daß er den General in seinem Entschluß nicht wankend machen konnte, ergriff ihn eine ratlose Scham über die Selbsterniedrigung, zu der er sich hatte hinreißen lassen. Er schlug kreuzweis die Hände über die Brust und verharrte in tiefem Sinnen.
Kapitel 22
Als eine geraume Zeit in diesem beklemmenden Schweigen verstrichen war, wandte sich Atahuallpa plötzlich zu mir und sagte in seinem gebrochenen Spanisch, daß er von der wunderbaren Kunst des Schreibens vernommen habe, auf die wir uns verstünden, und daß er gern eine Probe davon sehen möchte.
Ich erkundigte mich, wie er das meine; da sagte er, ich solle ihm ein bestimmtes Wort auf den Nagel seines Daumens schreiben, dann sollten meine Gefährten es lesen und ihm so leise mitteilen, daß nur er allein es hören könne, welches Wort ich geschrieben. Wenn alle dasselbe Wort aussprächen, wolle er nicht länger zweifeln, daß wir mit dieser Kunst wirklich begabt seien.
Ich wußte nicht gleich, wie ich sein Begehren erfüllen sollte, für das Anlaß und Stunde seltsam gewählt waren. Aber meine Unschlüssigkeit dauerte nicht lange. Ich nestelte eine Agraffe von meinem Gewand, ritzte mich mit der Nadel in den Handrücken und schrieb, mit einiger Mühe zwar, doch immerhin leserlich, auf den Nagel des Inka das Wort Crux. Sodann forderte ich die Ritter auf, heranzutreten. Sie gehorchten teils murrend, teils lachend, und nachdem sie das Wort gelesen, flüsterten sie Atahuallpa leise ins Ohr: Crux. Er war darüber höchst erstaunt, und da alle ohne zu stocken dasselbe Wort nannten, war ihm die geheimnisvolle Macht der Schrift versinnlicht.
Nur der General hatte sich nicht von seinem Platz gerührt. Francesco Pizarro konnte weder schreiben noch lesen. Obwohl dies vielen unter uns bekannt war, wurmte es ihn, daß er nun vor seinen Offizieren und außerdem vor dem Inka bloßgestellt war, und er schaute düster vor sich hin. Atahuallpa begriff den Zusammenhang, und mit bewundernswertem Zartgefühl war er bestrebt, den begangenen Fehler wieder gutzumachen, indem er lächelnd zu dem General sagte: "Sicherlich hast du schon vorher gewußt, was geschrieben steht. Crux steht geschrieben. Du, ein Gott unter deinen Landsleuten, hattest nicht nötig, dich erst mit deinen Augen zu überzeugen."
"Ich bin kein Gott. Was weißt du Heide von Gott!" warf Pizarro verächtlich grollend hin.
"Von eurem Gott weiß ich wenig, von meinem weiß ich viel", war die sanfte Erwiderung. "Euern Gott kann man nicht sehen, der meine wandelt über den Himmel und grüßt seine Kinder täglich."
Kopfschüttelnd und fast mitleidigen Tons entgegnete der General: "Nur Einen Gott, Unseliger, gibt es, und es wäre gut für dich, wenn du dein Gebet an ihn richten wolltest."
"Wie kannst du mit solcher Bestimmtheit sagen, daß dein Gott der wirkliche und einzige Gott ist?" fragte der Inka mit hoheitsvoller Ruhe, "und wie soll ich an ihn glauben, da er es doch zuläßt, daß ihr, die ihr stets von seiner Liebe und Barmherzigkeit redet, unschuldige Menschen mordet?"
Der General schwieg und wandte sich ab.
Kapitel 23
Es war eine Stunde vor Mitternacht, als der Ritter Garcia de Jerez in mein Zimmer trat und mir die Meldung machte, in der großen Halle bereite sich etwas Ungewöhnliches vor, und man müsse auf der Hut sein. Er wußte nicht recht, weshalb er mich warnen zu sollen glaubte; es war nur allgemeine Furcht oder Befangenheit, denn als ich ihn ausforschte, konnte er mir bloß sagen, der Inka sitze ganz allein an einer langen Tafel, an welcher vierundzwanzig leere Plätze seien.
Ich hatte mich den Tag über krank gefühlt und war zeitig zur Ruhe gegangen; nun stand ich auf, kleidete mich rasch an und ging hinaus.
Auf dem Platz brannten Pechpfannen, in deren düsterm Schein eine Anzahl unserer Leute den Scheiterhaufen errichteten. Die große Halle war von Fackeln erleuchtet, und ich sah wirklich, wie es Garcia geschildert hatte, den Inka in der Mitte einer dort aufgestellten Tafel sitzen, vollkommen unbeweglich, und rechts und links von ihm je zwölf goldne Teller. Hinter jedem der dadurch angedeuteten Plätze und auch hinter dem Stuhl des Inka stand ein Diener, der eine mit Speisen besetzte Schüssel trug, fünfundzwanzig an der Zahl, vollkommen unbeweglich, und hinter den Dienern wieder standen in derselben Starrheit, im selben Schweigen die Edelleute und jungen Frauen Atahuallpas.
Es war ein Anblick, auf den ich nicht gefaßt gewesen war. Man liest zuweilen in Märchen, daß eine ganze Versammlung von Menschen durch das Wort eines bösen Zauberers in Stein verwandelt wird; daran gemahnte mich das Bild, das ich vor mir sah. Dazu die unheimliche Stunde, der unheimliche Ort; Garcia und ich schauten uns betroffen an.
Inzwischen war Cristoval de Perralta, der den Befehl über die Wachen in der Stadt hatte und die sonderbare Veranstaltung des gefangenen Fürsten ebenfalls bemerkt hatte, zum General gegangen, um ihm Bericht zu geben. Pizarro hatte einige seiner Freunde zu einem Gastmahl geladen, und Cristoval fand sie beim Wein und in lärmender Munterkeit. Seine Erzählung wurde mit groben Scherzen aufgenommen, aber dann sagte der General, dessen Wachsamkeit nie schlummerte, man müsse hinübergehen und sehen, was es mit dem geschilderten Schauspiel für eine Bewandtnis habe.
Er brach auf, und es begleiteten ihn seine beiden Brüder, Don Almagro, Don Riquelme, della Torre, Alonso de Molina und Cristoval de Perralta. Von der andern Seite des Platzes kam fast zu gleicher Zeit langsam und in seinem Brevier lesend der Pater Valverde und blieb, während das Folgende geschah, wie ein stummer Wächter und Mahner zwischen dem Scheiterhaufen und den Treppenstufen der Säulenhalle stehen.
Kapitel 24
Die Ritter, zu denen auch Garcia und ich uns gesellt hatten, waren auf einer Seite der Halle zusammengedrängt, und ich glaube, daß selbst die Herzhaftesten einen Schauer verspürten, als sie die völlig versteinerten Peruaner erblickten.
Plötzlich erhob Atahuallpa die Augenlider und schien uns damit erst zu gewahren.
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