Auch Oswald kniete nieder; und der Herr Pfarrer und die Rathsherren aus der Stadt, da sie alles sich demüthigen sahen vor dem Ewigen, folgten dem Beispiel Aller und knieten auch. Dann las der Schulmeister ein schönes, rührendes Gebet, welches vor ihm auf dem Stuhle lag. Es war so verständlich abgefaßt, daß es auch dem Verstande des kleinen sechsjährigen Kindes begreiflich war. Das bewegte das Herz eines der Rathsherren so tief, daß ihm die Augen voller Thränen wurden.

Dann standen Alle auf, und die Aeltesten der Schule, indem sie auf eine mit Noten und Worten beschriebene schwarze Tafel sahen, sangen mit sanfter Stimme vierstimmig ein schönes Morgenlied. Die Kleinen sumseten den Gesang für sich ganz leise nach. Darauf lasen die bessern Leser aus einem Buche, abwechselnd einen frommen Vers; jede Zeile aber ward von der ganzen Schule mit halblauter Stimme nachgesprochen, dann das Buch geschlossen, und erst von der Schule, dann wieder von einzelnen Kindern, die Oswald aufrief, der fromme Vers auswendig hergesagt.

Nach diesem wandten sich die Kinder in vier Haufen nach vier verschiedenen Seiten vor eben so viele schwarze Tafeln, auf welchen theils lateinische, theils deutsche Buchstaben, theils Sylben, theils ganze Zeilen in großer Vorschrift geschrieben zu sehen waren. Alle schrieben und malten auf Rechentafeln mit Dinte und Feder die Vorschriften nach. Oswald ging von Kind zu Kind, belobte das eine, belehrte das andere, ließ das dritte Feder und Griffel besser halten, und dergleichen mehr.

Nach einer Stunde theilten sich die Kinder wieder in vier Haufen, und man sah statt eines Schulmeisters vier Schulmeister. Denn die, welche am besten lesen konnten, stellten auf den schwarzen Tafeln gedruckte lateinische oder deutsche Buchstabe einzeln oder in Sylben oder ganzen Sätzen auf, wie Oswald es angab. Die Buchstaben waren auf Pappe geklebt, beweglich und einzeln. Dann sah Oswald nach, ob Alles recht gemacht sei; und jeder der kleinen Schulmeister ließ seinen Haufen die Buchstaben, die Sylben, die Wörter und Sätze sprechen mit halblauter Stimme. Keiner störte den Andern. Oswalds Auge und Ohr war bei Allen, und mit leiser Stimme half er bald links, bald rechts nach.

Und abermals nach einer Stunde vertheilten sich die Haufen, und statt der Buchstaben kamen Zahlen und Rechenexempel auf die schwarzen Tafeln, und neue Lehrmeister und Lehrmeisterinnen dazu; und die Einen sprachen Zahlen zusammen, die Andern addirten, die Dritten subtrahirten, die Vierten sagten das Einmaleins, und so weiter. Den besten Rechnern gab Oswald geschriebene Exempel, die rechneten für sich. Am Ende sagte Jeder an, was er herausgebracht. Oswald sah in einem Büchlein nach, worin die gelösten Aufgaben standen, und sagte auf der Stelle, ob recht oder falsch.

Gar bewundernswürdig war die Stille, die Ordnung, die Lernbegierde Aller. So etwas hatten die Rathsherren und der Pfarrer in ihrem Leben noch nicht gesehen.

Als nun so der Morgen vollbracht war, begaben sich die Kinder, den Schulmeister und die Fremden grüßend, still hinweg. Draußen aber war frohes Gelächter und lauter Jubel der Kleinen.

Und Nachmittags sah man in der Schule die Kinder wieder vor den schwarzen Tafeln. Da zeichneten sie künstliche Figuren von geraden und krummen Linien auf ihren Rechentafeln und Papieren, einige sogar schon Umrisse von Blumen und wunderbaren Gefäßen. Dies gethan, lasen die besten Leser aus einem Buche lustige und lehrreiche Geschichten und Gespräche vor. Da hätte man die Freude der Kinder sehen sollen über alles das, was sie hörten. Dann befahl Oswald denen, die am besten schreiben konnten, die angehörte Geschichte aufzuschreiben und ihm morgen zu bringen, doch keine Fehler gegen die Rechtschreibung zu begehen. Zuletzt nannte Oswald öffentlich mit Lobspruch die Namen derer, die an diesem Tage ihre Sache am besten gethan. Und weil derselben sechs waren, machte er Allen die Freude, ihnen noch eine Stunde lang etwas Schönes zu erzählen. Und er erzählte ihnen eine ganz erschreckliche Geschichte von einem Manne, der in der strengsten Winterkälte auf der Landstraße schläfrig geworden und erfroren sei, daß man ihn todt in ein Dorf gebracht; und wie unwissende Bauern ihn haben sogleich in eine warme Stube legen und aufthauen wollen. Aber ein geschickter Arzt sei gekommen, habe den Erfrorenen entkleidet und bis an die Nase in Schnee vergraben, nachher sogar in eiskaltes Wasser gelegt, daß um die Gliedmaßen dünnes Eis geworden; dann habe er den Leib in kalte Betten in ein ungeheiztes Zimmer gebracht, mit Wollentüchern stark gerieben, bis der Todtgeglaubte wieder zum Leben gekommen wäre. Wie das zugegangen, erklärte Oswald Alles.

So war der Schultag zu Ende.

 

9. Von der Sonntagsschule, und dem Vorfall in der Mühle.

 

So und auf andere Weise unterrichtete Oswald die Schulkinder; alle Tage hatte er etwas Neues für sie. Die Rathsherren und der Herr Pfarrer gaben ihm große Lobsprüche und nannten ihn den vortrefflichsten Schulmeister im Lande. Das konnten die Bauern in Goldenthal nicht begreifen, und sprachen unter einander: »Wie will's doch der Oswald besser verstehen, als die alten Schulmeister, die wir in unserer Jugend gehabt? Aber er kann allerlei Blendwerk machen, und hat es selbst dem Pfarrer und den Rathsherren angethan.