Aber des Geldes wegen mochte die Kiste nicht schwer gewogen haben.
»Laßt ihn laufen!« sagten die Einen: »Er ist ein armer Teufel, und ein dummer Teufel dazu, der im Kriege seine Sache nicht verstanden hat zu machen. Nicht einmal Sonntags kann er ins Wirthshaus gehen und sein Glas trinken, geschweige einen Tanz zahlen. Dabei muß er arbeiten wie ein Pferd, von Sonnenaufgang bis in die finstere Nacht. Ein Glück für ihn, daß er vom Vater noch etwas geerbt hat, sonst läge er der Gemeinde zur Last.«
»Laßt ihn laufen!« sagten die Andern: »Heldenthaten hat er nicht viel verrichtet, denn er weiß nicht viel zu erzählen. Und wer weiß, wo der Narr den Hieb über die Stirn geholt hat. Der ist froh, daß er kein Pulver mehr riechen muß.«
»Laßt ihn laufen!« sagten wieder Andere: »Er gibt nur Keinem ein gutes Wort, und meint, weil er Soldat gewesen, müsse man Respekt vor ihm haben. Wir wollen's ihm aber zeigen. Er ist ein hochmüthiger Bursch, der froh sein soll, wenn wir ihm keinen Tritt geben.«
»Laßt ihn laufen!« sagten noch Andere: »Der hat im Kriege nichts Gutes gelernt. Er hat Bücher, die kein Mensch lesen kann, vielleicht der Pfarrer selber nicht. Und Zeichen und Karaktere stehen darin, daß es ein Graus ist. Was gilt's, der geht mit dem Teufel um und kann ihn beschwören.«
»Gott sei bei uns!« riefen Andere: »Richtig ist es bei ihm nicht, das weiß man wohl. Er hat noch keinen Menschen in seine kleine Hinterstube gehen lassen, selbst Müllers nicht, die viel mit ihm zu thun haben. Da sieht der Wächter alle Nacht noch Licht brennen, was durch die Fensterladen schimmert. Die Stube hält er beständig verschlossen, und die Vorladen der Fenster sind auch bei hellem Tage nie auf.«
So sprachen die Leute, und machten ans Oswald nicht viel.
2. Was Oswald im Dorfe sieht.
Wenn sich auch die Leute nicht viel aus dem Oswald machten, war er doch sehr zuthunlich und mit Allen freundlich. Anfangs ging er rechts und links zu Jedem ins Haus und besuchte Einen um den Andern, fragte nach den Kindern, nach den Gütern, nach der Art, die Felder zu bestellen und nach allen Umständen.
Vorzeiten war Goldenthal ein recht stattliches Dorf gewesen; zwar kein übergroßer Reichthum darin, doch Wohlhabenheit in allen Häusern. Nun aber, mit Ausnahme einiger reichen Bauern und Wirthe, wie auch des Müllers, stand es überall schlecht. Das Elend schaute zu den Fenstern hinaus, und am Feuerherd kochte Schmalhans ungeschmalzte Suppen. Von hundert Haushaltungen schickten wohl zwanzig ihre Kinder zum Betteln aus; sechszig halfen sich kümmerlich im Druck von Schuldenlasten durch, und die andern waren zum Theil noch im Stande, die Gemeindesteuern ordentlich zu entrichten, und sich wohl aufrecht zu halten.
Man sah es den Häusern schon von außen an, wie übel es drinnen sein mochte; man sah es an den zerfallenen Dächern; an den Mauern, von welchen der Kalk abgefallen war; an den verschmierten Wänden und Thüren; an den zerbrochenen und mit Papier verklebten Fenstern. Kam man hinein, war Koth und Gestank; Tisch und Bänke unsauber; der Spiegel, wenn noch einer war, seit Jahren von Fliegen blind; der Fußboden voller Löcher; die Dielen schwarz, wie Erde, vom verhärteten Unrath. In den Küchen befand sich wenig und schlechtes Geschirr, das nicht einmal rein gewaschen da stand. In den Gärten am Hause sah man keine Ordnung, keine Zierlichkeit, sondern etwas Gemüs ganz nachlässig hingepflanzt. Man schien froh zu sein, wenn man für Säue und Menschen nur Erdäpfel genug hatte. Vor den Häusern lagen Misthaufen. Ackergeräte, Holz und was man sonst nicht unter Dach bringen konnte, bunt durcheinander. Männer und Weiber gingen in zerrissenen oder grob geflickten, besudelten Kleidern; Stroh und Federn in den struppigen, ungekämmten Haaren; Hände und Gesicht oft Tage lang nicht gewaschen. Die kleinen Kinder blieben oft einen halben Tag in ihren Wiegen im Unflath liegen, oder waren sie größer, spielten sie halbnackt vor den Häusern im Kothe.
Kein Wunder, daß bei solcher bettlerischen Unreinlichkeit häufig Krankheiten entstunden. Man ging aber lieber zu einem alten Weibe, zum Scharfrichter, zu einem Harnbeschauer und Quacksalber, wenn er es nur wohlfeil machte, als zu einem erfahrenen und gelehrten Doktor. Wenn nun Mann oder Frau bettlägerig waren und nicht arbeiten konnten, ging es in der Wirtschaft den Krebsgang. Da mußte ein Stück Hausgeräth oder Vieh oder gar Land in der Noth verkauft, oder Geld gegen schweren Zins entliehen werden.
1 comment