Sie schien ganz verzweifelt: dieses Kind werde noch ihr Tod sein. Mouret hatte mittlerweile die Anwesenheit Denises bemerkt und beugte sich zu Frau Aurélie, um sie zu fragen, was das Mädchen hier wolle. Als die Direktrice erwiderte, sie habe sich als Verkäuferin beworben, war Bourdoncle in seiner gewohnten Geringschätzung für alles Weibliche höchst erstaunt über diese Anmaßung.

»Das kann doch nur ein Scherz sein!« flüsterte er. »Sie ist ja viel zu häßlich.«

»Schön ist sie nicht, das stimmt«, sagte Mouret. Er wagte nicht, sie in Schutz zu nehmen, obgleich er durch ihr Staunen vor seiner Dekoration unten für sie eingenommen war.

Man brachte jetzt die Liste, und Frau Aurélie kam zu Denise zurück. Diese machte in der Tat keinen günstigen Eindruck. Sie wirkte zwar sehr sauber in ihrem dünnen schwarzen Wollkleid, und man nahm an der Ärmlichkeit ihres Aufzugs auch keinen Anstoß, denn das übliche Seidenkleid der Verkäuferinnen wurde von der Firma gestellt; allein sie sah zu zart aus, und ihr Gesicht war gar zu traurig. Die Verkäuferinnen mußten nicht gerade hübsch sein, aber es war doch wünschenswert, daß sie eine angenehme Figur machten. Unter den Blicken der Damen und Herren, die sie musterten und mit den Augen abschätzten wie eine Stute, um welche die Bauern auf dem Jahrmarkt feilschen, verlor Denise vollends die Fassung.

»Wie heißen Sie?« fragte die Direktrice.

»Denise Baudu.«

»Ihr Alter?«

»Zwanzig Jahre und vier Monate.«

Sie wagte es, die Augen zu Mouret zu erheben, den sie in allen Abteilungen mit der gleichen Autorität hatte auftreten sehen und dessen Anwesenheit sie in Verlegenheit setzte; unbeholfen fügte sie hinzu:

»Ich bin recht kräftig, wenn ich auch nicht danach aussehe.«

Alles lächelte.

»In welchem Haus haben Sie in Paris gearbeitet?« fragte die Direktrice.

»Ich bin eben erst aus Valognes angekommen.«

Das war ein neues Mißgeschick. Gewöhnlich verlangte man beim »Paradies der Damen«, daß die Verkäuferinnen mindestens ein Jahr in einer Pariser Firma gearbeitet hatten. Denise glaubte, nun sei alles verloren; und wären die beiden Brüder nicht gewesen, für die sie Geld verdienen mußte, sie wäre sicherlich davongelaufen, um diesem nutzlosen Verhör ein Ende zu machen.

»Wo waren Sie in Valognes?«

»Bei Cornaille.«

»Den kenne ich, das ist eine gute Firma«, bemerkte Mouret. Gewöhnlich enthielt er sich bei der Einstellung von Verkäufern oder Verkäuferinnen jeder Einmischung, denn die Abteilungsleiter waren für ihr Personal verantwortlich. Aber mit seinem feinen Sinn für Frauen spürte er bei diesem Mädchen einen verborgenen Reiz heraus, dessen sie sich selbst nicht bewußt war.

Der gute Ruf des Hauses, aus dem ein Anfänger kam, war von großer Bedeutung und oft entscheidend für die Aufnahme. Frau Aurélie fuhr mit milderer Stimme fort:

»Warum sind Sie von Cornaille weggegangen?«

»Aus Familienrücksichten«, erwiderte Denise errötend. »Wir haben unsere Eltern verloren, ich mußte mich meiner Brüder annehmen. Übrigens habe ich hier ein Zeugnis.«

Das Zeugnis war ausgezeichnet. Schon begann sie zu hoffen, als eine letzte Frage sie in Verlegenheit setzte.

»Können Sie uns in Paris irgendwelche Empfehlungen nennen? Wo wohnen Sie?«

»Bei meinem Onkel«, flüsterte sie, zunächst ohne den Namen zu nennen, denn sie fürchtete, daß man die Nichte eines Konkurrenten niemals einstellen werde. »Bei meinem Onkel Baudu gegenüber«, sagte sie endlich.

Da konnte sich Mouret nicht länger enthalten dreinzureden.

»Wie, Sie sind die Nichte Baudus? Hat Baudu Sie geschickt?«

»Oh nein!«

Sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, so seltsam erschien ihr die Frage. Im gleichen Augenblick war sie wie umgewandelt, ihr Gesicht bekam Farbe, und das Lächeln auf ihren Lippen schien ihr ganzes Wesen erschlossen zu haben. Ihre grauen Augen gewannen einen zarten Schimmer, allerliebste Grübchen erschienen auf ihren Wangen, selbst ihre schweren blonden Haare wirkten heiter und duftig.

»Sie ist ja sogar hübsch!« bemerkte Mouret leise zu Bourdoncle.

Dieser machte eine ablehnende Geste. Claire schürzte die Lippen, während Marguerite sich abwandte. Frau Aurélie allein schien gewonnen und stimmte mit einem Kopfnicken Mouret zu, als dieser fortfuhr:

»Es ist nicht recht von Ihrem Onkel, daß er Sie nicht herübergebracht hat, seine Empfehlung hätte genügt. Man erzählt, daß er böse auf uns sei. Wir sind nicht so engherzig, und wenn er für seine Nichte im eigenen Haus keine Beschäftigung hat, werden wir ihm zeigen, daß sie bei uns nur anzuklopfen braucht, um aufgenommen zu werden. Sagen Sie ihm, daß ich ihn hochachte und daß er nicht über mich ungehalten sein dürfe; die veränderten Verhältnisse im Handel sind an allem schuld. Und sagen Sie ihm auch, daß er verloren ist, wenn er an seinen lächerlichen alten Gewohnheiten eigensinnig festhält.«

Denise war ganz blaß geworden. Dieser Herr war also Mouret! Niemand hatte seinen Namen genannt, aber er selbst hatte sich als der Chef zu erkennen gegeben. Sie begriff jetzt, warum der junge Mann einen so tiefen Eindruck auf sie gemacht hatte, zuerst auf der Straße, dann in der Seidenabteilung und jetzt wieder. Dieser Eindruck, den sie sich nicht zu erklären vermochte, lastete immer schwerer auf ihrem Herzen. Alle Geschichten, die der Onkel ihr erzählt hatte, kehrten in ihre Erinnerung zurück und ließen Mouret noch ungewöhnlicher erscheinen, umgaben ihn mit einer Legende, machten aus ihm den Meister der schrecklichen Maschinerie dieses Warenhauses, von deren Rädern sie sich seit dem Morgen erfaßt fühlte.