»Nein, das sind die alten.« »Es sind die neuen, ich aber bin der alte, der dem Herrn Landvermesser heute nachkam.« »Nein«, schrie es nun. »Wer bin ich also?« fragte K. ruhig wie bisher. Und nach einer Pause sagte die gleiche Stimme mit dem gleichen Sprachfehler und war doch wie eine andere tiefere achtungswertere Stimme: »Du bist der alte Gehilfe.«
K. horchte dem Stimmklang nach und überhörte dabei fast die Frage: »Was willst Du?« Am liebsten hätte er den Hörer schon weggelegt. Von diesem Gespräch erwartete er nichts mehr. Nur gezwungen fragte er noch schnell: »Wann darf mein Herr ins Schloß kommen?« »Niemals«, war die Antwort. »Gut«, sagte K. und hing den Hörer an.
Hinter ihm die Bauern waren schon ganz nah an ihn herangerückt. Die Gehilfen waren mit vielen Seitenblicken nach ihm damit beschäftigt die Bauern von ihm abzuhalten. Es schien aber nur Komödie zu sein, auch gaben die Bauern, von dem Ergebnis des Gespräches befriedigt, langsam nach. Da wurde ihre Gruppe von hinten mit raschem Schritt von einem Mann geteilt, der sich vor K. verneigte und ihm einen Brief übergab. K. behielt den Brief in der Hand und sah den Mann an, der ihm im Augenblick wichtiger schien. Es bestand eine große Ähnlichkeit zwischen ihm und den Gehilfen, er war-so schlank wie sie, ebenso knapp gekleidet, auch so gelenkig und flink wie sie, aber doch ganz anders. Hätte K. doch lieber ihn als Gehilfen gehabt! Ein wenig erinnerte er ihn an die Frau mit dem Säugling, die er beim Gerbermeister gesehen hatte. Er war fast weiß gekleidet, das Kleid war wohl nicht aus Seide, es war ein Winterkleid wie alle andern, aber die Zartheit und Feierlichkeit eines Seidenkleides hatte es. Sein Gesicht war hell und offen, die Augen übergroß. Sein Lächeln war ungemein aufmunternd; er fuhr mit der Hand über sein Gesicht, so als wolle er dieses Lächeln verscheuchen, doch gelang ihm das nicht. »Wer bist Du?« fragte K. »Barnabas heiße ich«, sagte er, »ein Bote bin ich.« Männlich und doch sanft öffneten und schlossen sich seine Lippen beim Reden. »Gefällt es Dir hier?« fragte K. und zeigte auf die Bauern, für die er noch immer nicht an Interesse verloren hatte und die mit ihren förmlich gequälten Gesichtern – der Schädel sah aus als sei er oben platt geschlagen worden und die Gesichtszüge hätten sich im Schmerz des Geschlagenwerdens gebildet – ihren wulstigen Lippen, ihren offenen Mündern zusahen aber doch auch wieder nicht zusahn, denn manchmal irrte ihr Blick ab und blieb ehe er zurückkehrte lange an irgendeinem gleichgültigen Gegenstande haften, und dann zeigte K. auch auf die Gehilfen, die einander umfaßt hielten, Wange an Wange lehnten und lächelten, man wußte nicht, ob demütig oder spöttisch, er zeigte diese alle, so als stellte er ein ihm durch besondere Umstände aufgezwungenes Gefolge vor und erwartete – darin lag Vertraulichkeit und auf die kam es K. an – daß Barnabas verständig unterscheiden werde zwischen ihm und ihnen. Aber Barnabas nahm – in aller Unschuld freilich, das war zu erkennen – die Frage gar nicht auf, ließ sie über sich ergehn, wie ein wohlerzogener Diener ein für ihn nur scheinbar bestimmtes Wort des Herrn, und blickte nur im Sinne der Frage umher, begrüßte durch Handwinken Bekannte unter den Bauern und tauschte mit den Gehilfen paar Worte aus, das alles frei und selbstständig, ohne sich mit ihnen zu vermischen. K. kehrte – abgewiesen aber nicht beschämt – zu dem Brief in seiner Hand zurück und öffnete ihn.
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