Die Klasse dröhnte vor Lachen. Ich lachte mit, obgleich mein Erfindungsgeist auf dem Gebiet von Schwatzaufsätzen erschöpft schien. Ich mußte etwas Neues, etwas Originelles finden. Meine Freundin Sanne, eine perfekte Dichterin, riet mir, Verse zu machen, und stellte mir ihr Talent zur Verfügung. Ich war begeistert. Kepler wollte mich aufziehen, aber ich konnte ihn nun doppelt und dreifach hochnehmen.
Das Gedicht kam zustande und war ein Erfolg. Es handelte von einer Entenmama und einem »Vater Schwan« mit drei kleinen Entchen, die wegen zu vielen Schnatterns von dem Vater totgebissen wurden. Glücklicherweise verstand Kepler den Scherz und las das Gedicht in unserer und anderen Klassen mit Erläuterungen vor. Seitdem darf ich schwatzen, ohne eine Strafarbeit zu kriegen. Kepler macht nur noch seine Witzchen darüber.
Anne
Mittwoch, 24. Juni 1942
Liebe Kitty!
Es ist glühend heiß. Jeder schnauft und schwitzt, und in
dieser Hitze muß ich jeden Weg laufen. Jetzt sehe ich erst ein, wie angenehm die Elektrische ist, vor allem die offenen Wagen. Aber das ist ein Genuß, der für uns Juden nicht mehr existiert. Für uns sind die »Gebrüder Beenekens« gerade gut genug. Gestern mußte ich mittags zum Zahnarzt in die JanLuykenstraat. Das ist ein langer Weg von unserer Schule am Stadtgarten. Im Unterricht am Nachmittag schlief ich dann auch beinahe ein. Es ist nur gut, daß die Menschen nett sind und einem von selbst etwas zu trinken anbieten. Die Schwester beim Zahnarzt hat Verständnis für uns.
Nur ein Fahrzeug ist noch erlaubt: die Fähre. An der JosephIsraelskade liegt ein kleines Boot, und auf unsere Frage nahm der Fährmann uns sofort mit ans andere Ufer. Wahrlich, an den Holländern liegt es nicht, daß es uns Juden so schlecht geht.
Müßte ich nur nicht zur Schule! Während der Osterferien wurde mein Fahrrad gestohlen, und Vater hat Mutters Rad bei Bekannten sichergestellt. Aber glücklicherweise kommen die Ferien in Sicht, noch eine Woche und ich hab's überstanden.
Gestern vormittag habe ich etwas Hübsches erlebt. Als ich bei der Stelle vorbeikam, wo ich sonst mein Rad unterstellte, rief mich jemand. Ich drehte mich um und sah einen netten Jungen hinter mir stehen, den ich am vorhergehenden Abend bei Eva, einer Bekannten, getroffen hatte. Er war ein bißchen schüchtern und nannte seinen Namen: Harry Goldberg. Ich war etwas erstaunt und wußte nicht recht, was er eigentlich wollte. Das zeigte sich jedoch rasch. Er wollte mich zur Schule begleiten. »Wenn du doch denselben Weg gehst, nun gut«, antwortete ich, und so gingen wir zusammen.
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