Die moderne Kunstkritik hat die hohe Wertschätzung, die seine Zeitgenossen ihm entgegenbrachten, mehr als bestätigt.«

Die Augen des Inspektors nahmen einen abwesenden Ausdruck an.

»Sollten wir nicht lieber …« sagte er.

»Wir sind gerade dabei«, unterbrach ihn Holmes. »Alles, was ich sage, hat einen sehr unmittelbaren und wichtigen Bezug zu dem, was Sie das Rätsel von Birlstone genannt haben. In der Tat könnte man es in gewissem Sinne geradezu als sein Zentrum bezeichnen.«

MacDonald lächelte schwach und sah mich flehend an.

»Ihre Gedanken bewegen sich ein bißchen zu schnell für mich, Mr. Holmes. Sie lassen ein oder zwei Glieder aus, und ich kriege die Lücke nicht zusammen. Was in aller Welt soll der Zusammenhang sein zwischen diesem toten Herrn Maler und der Sache in Birlstone?«

»Jeder Wissenszweig ist für den Detektiv von Nutzen«, bemerkte Holmes. »Besonders die triviale Tatsache, daß im Jahre 1865 ein Bild von Greuze mit dem Titel La Jeune Fille à l’Agneau bei der Portalis-Auktion nicht weniger als viertausend Pfund8 erzielt hat, dürfte doch in Ihrem Kopf eine Reihe von Überlegungen in Gang setzen.«

Das tat sie ganz offensichtlich. Der Inspektor machte ein unverhohlen interessiertes Gesicht.

»Ich darf Sie daran erinnern«, fuhr Holmes fort, »daß das Gehalt des Professors sich aus mehreren zuverlässigen Nachschlagewerken ermitteln läßt. Es beträgt siebenhundert Pfund im Jahr.«

»Wie kommt er dann in den Besitz …«

»Ganz recht. Wie kommt er dazu?«

»Tja, das ist bemerkenswert«, sagte der Inspektor gedankenvoll, »Sprechen Sie weiter, Mr. Holmes. Die Sache gefallt mir. Das klingt gut.«

Holmes lächelte. Aufrichtige Bewunderung ließ ihn immer auftauen – ein Kennzeichen des wahren Künstlers.

»Und was ist mit Birlstone?« fragte er.

»Wir haben noch Zeit«, sagte der Inspektor; er warf einen schnellen Blick auf seine Uhr. »Mein Wagen steht vor der Tür, und zur Victoria Station brauchen wir keine zwanzig Minuten. Aber nochmal zu dem Bild – mir war, Mr. Holmes, als ob Sie mir mal erzählt hätten, daß Sie Professor Moriarty noch nie begegnet sind.«

»Nein, noch nie.«

»Woher wissen Sie dann über seine Wohnung Bescheid?«

»Oh, das steht auf einem anderen Blatt. In seiner Wohnung bin ich bereits dreimal gewesen; zweimal habe ich unter verschiedenen Vorwänden auf ihn gewartet und bin vor seiner Rückkunft wieder fortgegangen. Einmal – tja, davon dürfte ich einem Kriminalbeamten eigentlich gar nicht erzählen. Beim letzten Mal habe ich mir nämlich die Freiheit genommen, rasch seine Unterlagen zu überfliegen, was zu höchst unerwarteten Resultaten geführt hat.«

»Sie haben etwas Kompromittierendes gefunden?«

»Absolut nichts. Das war ja das Verblüffende. Wie auch immer, Sie haben jetzt den springenden Punkt bezüglich des Gemäldes erkannt. Es weist ihn als sehr vermögenden Mann aus. Aber wie kommt er zu diesem Vermögen? Er ist unverheiratet. Sein jüngerer Bruder ist Bahnhofsvorsteher9 im Westen von England. Sein Lehrstuhl bringt ihm siebenhundert im Jahr. Aber er besitzt einen Greuze.«

»Und weiter?«

»Die Schlußfolgerung ist doch wohl einfach.«

»Sie meinen, er hat hohe Einkünfte und muß sie sich auf illegale Weise verschaffen?«

»Ganz genau. Selbstverständlich habe ich noch weitere Gründe zu diesem Verdacht – Dutzende dünnster Fäden, die kaum wahrnehmbar zum Zentrum des Netzes hinführen, wo die giftige, regungslose Kreatur auf der Lauer liegt. Ich erwähne den Greuze auch nur, weil er die Sache in den Bereich Ihrer eigenen Beobachtungen rückt.«

»Tja, Mr. Holmes, ich gebe zu, was Sie da sagen, ist interessant.