Übrigens ließ er sich nicht aus der Fassung bringen, fühlte sich ganz behaglich, stand fest hingepflanzt auf seinen kräftigen Beinen da und musterte mit seinen blutunterlaufenen Augen den Gemäldeentwurf. Ohne sich Zwang anzutun, gab er in einem Satz, in dem Ironie und Zärtlichkeit lagen, sein Urteil ab: »Das ist aber ein Ding!« Und da niemand ein Sterbenswörtchen sagte, spazierte er seelenruhig mit kleinen Schritten im Atelier herum und betrachtete, was an den Wänden hing.

Unter seiner dicken Dreckschicht war Vater Malgras ein sehr schlauer Bruder, der Neigung und Witterung für gute Malerei hatte. Niemals verirrte er sich zu den mittelmäßigen Klecksern, er ging aus Instinkt schnurstracks zu den noch umstrittenen Künstlern mit persönlicher Note, deren große Zukunft seine flammendrote Säufernase schon aus großer Entfernung roch. Dessenungeachtet feilschte er grimmig, er legte die Verschlagenheit eines Wilden an den Tag, um das Bild, nach dem es ihn gelüstete, billig zu kriegen. Dann begnügte er sich mit einem recht mäßigen Gewinn, zwanzig Prozent, dreißig Prozent höchstens, weil sein Geschäft auf dem raschen Umschlag seines kleinen Kapitals beruhte und er niemals am Morgen etwas kaufte, ohne zu wissen, welchem seiner Kunstliebhaber er es am Abend verkaufen würde. Er log übrigens wie gedruckt.

Er war in der Nähe der Tür vor den in Boutins Atelier gemalten Aktstudien stehengeblieben und betrachtete sie ein paar Minuten schweigend mit Augen, in denen das Genießen eines Kenners leuchtete und das er unter seinen schweren Lidern auslöschte. Was für ein Talent, was für ein Lebensgefühl bei diesem großen Verrückten, der seine Zeit mit riesigen Schinken vertat, die niemand haben wollte! Die hübschen Beine des kleinen Mädchens, vor allem der wunderbare Bauch der Frau entzückten ihn. Aber so was ließ sich nicht absetzen, und er hatte schon seine Wahl getroffen, eine kleine Skizze, einen Ausschnitt aus der Landschaft von Plassans in grellen und zarten Farben, die er absichtlich nicht zu sehen schien. Schließlich trat er heran und sagte nachlässig:

»Was ist denn das hier? Ach ja, eine Ihrer Sachen aus dem Süden … Das ist zu derb, ich habe noch die beiden, die ich Ihnen neulich abgekauft habe.« Und er redete endlos weiter in seiner lässigen Art: »Sie werden mir das vielleicht nicht glauben wollen, Herr Lantier, so was läßt sich überhaupt nicht verkaufen. Ich habe schon eine ganze Wohnung damit vollstehen, ich habe immerzu Angst, daß ich irgendwas zerhaue, wenn ich mich bloß umdrehe. So kann ich unmöglich weitermachen. Ehrenwort! Ich muß das zu Gelde machen, oder ich werde im Hospital enden … Nicht wahr, Sie kennen mich, mein Herz ist größer als mein Geldbeutel, ich wünsche nichts sehnlicher, als talentvollen jungen Leuten wie Ihnen gefällig zu sein. Oh, was das anbetrifft, Sie haben Talent, das schreie ich den Leuten unaufhörlich ins Gesicht. Aber was soll man tun? Die Kundschaft beißt nicht an, ach, nein, sie beißt nicht an.« Er machte in Rührung; dann gab er sich einen Ruck, wie jemand, der etwas Verrücktes anstellt, und sagte: »Kurz und gut, ich will nicht umsonst gekommen sein … Was verlangen Sie für diese Skizze da?«

Ärgerlich malte Claude mit nervösem Zittern weiter. Ohne den Kopf zu wenden, antwortete er mit trockener Stimme:

»Zwanzig Francs.«

»Was, zwanzig Francs! Sie sind verrückt! Die anderen haben Sie mir für zehn Francs das Stück verkauft … Heute gebe ich Ihnen nur acht Francs, nicht einen Sou mehr!«

Gewöhnlich gab der Maler sofort nach, dem diese elenden Streitereien peinlich und lästig waren und der sich im Grunde sehr freute, etwas Geld zu kriegen. Aber diesmal wurde er starrköpfig, er schrie dem Bilderhändler Beleidigungen ins Gesicht, der darauf anfing, ihn zu duzen, ihm jedes Talent absprach, ihn mit Schimpfworten überschüttete und ihn einen undankbaren Sohn schalt.

Der Händler hatte schließlich nacheinander drei Hundertsousstücke aus seiner Tasche hervorgeholt und warf sie von weitem wie Wurfscheiben auf den Tisch, wo sie klirrend zwischen den Tellern niederfielen.

»Eins, zwei, drei … Nicht eines mehr, hörst du? Denn eines ist schon zuviel, und du wirst es mir wieder rausgeben, ich werde es dir bei etwas anderem abziehen, Ehrenwort! – Fünfzehn Francs, da! Ach, mein Kleiner, das ist nicht recht von dir, das ist ein dreckiger Trick, den du noch bereuen wirst!«

Erschöpft ließ Claude ihn das Bild abnehmen. Es verschwand wie weggezaubert in Malgras’ großem grünem Überzieher. War es tief in eine Extratasche geglitten? Schlief es unter dem Revers? Keine Aufbauschung verriet, wo es versteckt war.

Nachdem Vater Malgras sein alter Trick wieder geglückt war, wandte er sich, plötzlich vollkommen ruhig, zur Tür. Aber er besann sich wieder, kam zurück und sagte mit seiner Biedermannsmiene:

»Hören Sie mal, Lantier, ich brauche einen Hummer … Na, das sind Sie mir doch schuldig, nachdem Sie mich so geprellt haben … Ich bringe Ihnen den Hummer, Sie malen mir danach ein Stilleben, und Sie behalten ihn für Ihre Mühe. Sie essen ihn mit Ihren Freunden … Abgemacht, nicht wahr?«

Bei diesem Vorschlag brachen Sandoz und Dubuche, die bis dahin neugierig zugehört hatten, in so lautes Gelächter aus, daß der Händler von der Heiterkeit angesteckt wurde. Solche Rindviecher, die Maler, die brachten nichts Gutes zustande, die verreckten vor Hunger! Was wäre aus den verdammten Nichtstuern geworden, wenn Vater Malgras ihnen nicht von Zeit zu Zeit eine schöne Hammelkeule gebracht hätte, eine ganz frische Barbe oder einen Hummer mit einem Sträußchen Petersilie?

»Ich kriege mein Hummerstilleben, nicht wahr? Lantier … Danke schön!« Wiederum pflanzte er sich mit einem Lächeln voll spöttischer Bewunderung vor dem Entwurf des großen Gemäldes auf. Dann ging er endlich, wobei er mehrmals wiederholte: »Das ist mir ein Dings!«

Claude wollte seine Palette und seine Pinsel wieder zur Hand nehmen. Aber ihm war weich in den Knien, seine Arme sanken stocksteif herab, gleichsam durch eine höhere Gewalt an seinen Körper festgebunden. In dem großen, düsteren Schweigen, das nach dem Ausbruch des Streites entstanden war, wankte er geblendet, verwirrt vor seinem ungestalten Werk. Dann stammelte er: »Ach, ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr … Dieses Schwein hat mir den Rest gegeben!«

Sieben hatte die Kuckucksuhr geschlagen, er hatte acht lange Stunden hier im Stehen, von Fieber geschüttelt, gearbeitet, ohne etwas anderes als eine Kruste zu essen, ohne sich eine Minute auszuruhen.