Ich fand die Familie beisammen ohne Spur eines zurückgebliebenen besondern Eindrucks. Doch hing die Geige mit einer Art Symmetrie geordnet neben dem Spiegel und einem Kruzifix gegenüber an der Wand. Als ich mein Anliegen erklärte und einen verhältnismäßig hohen Preis anbot, schien der Mann nicht abgeneigt, ein vorteilhaftes Geschäft zu machen. Die Frau aber fuhr vom Stuhle empor und sagte: »Warum nicht gar! Die Geige gehört unserem Jakob, und auf ein paar Gulden mehr oder weniger kommt es uns nicht an!« Dabei nahm sie das Instrument von der Wand, besah es von allen Seiten, blies den Staub herab und legte es in die Schublade, die sie, wie einen Raub befürchtend, heftig zustieß und abschloß. Ihr Gesicht war dabei von mir abgewandt, so daß ich nicht sehen konnte, was etwa darauf vorging. Da nun zu gleicher Zeit die Magd mit der Suppe eintrat und der Fleischer, ohne sich durch den Besuch stören zu lassen, mit lauter Stimme sein Tischgebet anhob, in das die Kinder gellend einstimmten, wünschte ich gesegnete Mahlzeit und ging zur Türe hinaus. Mein letzter Blick traf die Frau. Sie hatte sich umgewendet, und die Tränen liefen ihr stromweise über die Backen.

Informationen zum Autor

Franz Grillparzer

Geboren am 15.1.1791 in Wien; gestorben am 21.1.1872 in Wien

1807 nahm Grillparzer, Sohn eines angesehenen Rechtsanwalts, in Wien das Studium der Rechte auf. Nach dem Studienabschluß 1811 war er zunächst Privatlehrer, dann Beamter. Nach einer (unbesoldeten) Konzipistenstelle in der Hofbibliothek wurde er 1813 bei der Hofkammer als Konzeptspraktikant angestellt, 1821 ins Finanzministerium versetzt. 1832 wurde er Direktor des Hofkammerarchivs und bekleidete diese Stelle, bis er 1856 in den Ruhestand trat.

Werke u.a.

  • 1817 Die Ahnfrau
  • 1819 Sappho
  • 1822 Das goldene Vließ
  • 1825 König Ottokars Glück und Ende
  • 1828 Ein treuer Diener seines Herrn
  • 1835 Tristia ex Ponto
  • 1840 Des Meeres und der Liebe Wellen
  • 1840 Der Traum ein Leben
  • 1840 Weh' dem, der lügt!
  • 1847 Der arme Spielmann
  • 1847 Libussa
  • 1848 Feldmarschall Radetzky
  • 1848 Ein Bruderzwist in Habsburg
  • 1851 Die Jüdin von Toledo
  • Impressum

    Verlag: ekz.bibliotheksservice GmbH, Reutlingen

    Ebook erstellt durch epublius GmbH, Berlin

    ISBN: 978-3-95608-404-1

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