Er war ja auch einmal im Fleisch und ich
bins noch – sieh dirs an, Grete.
Grete: Er macht den Mund zu und
seine Augen blinkern.
Boll: Glühen, glühen
– und meine?
Grete: Deine – ach, blauer
Boll, das ist nicht dein bester Putz. Da klappen Luken über
zusammen, Luken, daß man sich schämen sollte, daheraus zu
sehen. Sonst, die Augen sind richtige Augen, aber sie haben sich in
112 dicke
Walnußschalen verkrochen. Er hat einen Mund, aber er macht ihn
zu.
Boll: Fest! Hat nichts zu sagen,
will nichts sagen, außer dann einmal und wann einmal –
mehr nicht als ein halb Dutzend gut ausgekochte Wörter –
und meiner?
Grete: Dein Mund? Boll, deiner ist
nicht schlecht, gut zum Gähnen und Zähnezeigen und zum
Besorgen von allerlei Unrat für die Zähne. Aber deine
Zähne sind sehr gut, die können ihr Teil beschicken
– er, sieh hin, was für hohle Backen, da ist kein Platz
mehr für Zähne, die Kammer hat dünne Wände und
leere Betten. Vielleicht glühen seine Augen darum, weil er
keine Zähne hat und nach was anderm ausschauen kann als nach
Fleisch.
Boll: Nein, er ist hungrig, Grete
– und hungrig, kannst du zugeben, seh ich nicht aus!
Grete: Seine Stirn ist geteilt,
wenn man genau zusieht – zwei schöne schiere
Schalen!
Boll: Und meine?
Grete: Blauer Boll, du bist wohl
ein guter blauer Boll, aber ich wollte doch, ich hätte dich
nicht geküßt. Du hast eine glatte Backe unterm Haar und
deine Stirn ist das, weil sie da sitzt, wo sie bei dir sitzen soll.
Das tut sie auch.
Boll: Was wolltest du noch von
Elias sagen, Grete?
Grete: Hier ist es wirklich wie im
Himmel, wollen lieber still sein – ich bin auch müde.
Das Gift kratzt noch immer hinter den Augen, will gern gehen und
nach Haus – aber da hats was. (Faßt
an die Stirn.) Will gleich gehen, aber noch sitz ich ein
Stück.
113
Boll: Du brauchst nicht gehen, Grete.
Weil du noch schliefst, war ich drüben und weckte den armen
alten Saugwurm. Saugwurm spannt an, Grete. (Sieht nach der Uhr.) Kannst bald losfahren und
fährst nach Parum – und Saugwurm ist zurück, ehe
die Herrschaften ihre Stiefel gewichst kriegen. Aber sag mir, wie
es mit Elias war!
Grete: Du sollst hören, was du
hören willst – sprich mir vor, ich sags nach.
Boll: Na, Grete, sieh mal, wenns
auch kein schöner Schatten ist da an der Wand, die
allmächtige Sonne hat ihn ehrbar und ohne Spott hingemalt
– willst du böser mit mir sein als sie? Das Werden,
weißt du, Grete, ist eine saure Sache und wenn du nach Parum
rollst, kannst du in Parum aussteigen, als wäre der Besitzer
des Wagens der Mann im Mond und Boll eine Vogelscheuche sonstwo.
Das kannst du und das ist Bolls saures Werk und bei dem Werk ist
mein Werden reichlich in Schweiß gekommen – aber Werden
und Gedeihen sollen ihr Recht kriegen und also wird der blaue Boll
aus seinem ungeheuren Elendstal eingehen in den blanken Saal der
guten Geheuerlichkeit und – hoch soll er leben in
aufgetürmten Gehäusen! Was?
Grete: Sag's zu Ende.
Boll: Ach, ja, Grete, du hast den
Anfang gemacht, bei dir hat Boll den Einblick getan, wie das Werden
schmeckt. Solcher Aufstieg soll ihm nun immer vollkommener
glücken . . . .
114
Grete: Weiter, blauer Boll.
Boll: Denn Boll hat keine Wahl
mehr, Boll muß sich der Herrlichkeit des Werdens zubereiten
und darum hat er den Wagen anspannen lassen und Saugwurm fährt
die liebe Hexe im Trab heil und ganz, heil und ganz, Grete, das
weißt du nun – heil und ganz zu den lieben Kindern heim.
Und Boll winkt mit der ehrbaren Rechten und läßt fahren
dahin, was nie wiederkehrt – und wendet sich zum Wandel aus
dem geliebten Elendstal und eilt hinan und geht wohlbehalten ein,
wo? Im Festsaal der unvermeidlichen Dereinstigkeit – sieh,
Grete, so muß es werden und nicht anders.
Grete: Sprich zu Ende, blauer
Boll.
Boll: Gott, Grete, liebe Grete,
wieviel lieber bliebe ich im trauten Elendstal, wo ich so lustig
war und nicht mehr sein darf. Kein schlechter Wille, Bolls Wille,
aber ganz schlechte Lust ist Bolls Lust zum allfortigen steinigen
Wandelgang. Nichts von Elias!
Grete: Ich will dir alles gern
glauben und soll wahr sein, daß du an mir dein erstes
Probestück gemacht hast, und saure Arbeit solls auch gewesen
sein! Aber hör' mal, was war das für eine gewaltige Frau,
Elias' Satansweib, und sie hat mich aus seinen Klauen gezogen und
wie ichs sage, so ists und niemand kanns anders sagen. Hörst
du das gern? Wenn die Sonne in deine Augen scheint, glühen sie
besser als dem seine, das seh ich genau, wenn ich gut hinseh'.
Boll: Was Wunder – kann er
was anderes mit seinen Augen anfangen als läßt sie sehen
– ich aber sehe selbst 115 und seh dich sitzen und höre dich die
Wahrheit reden, und siehst aus deinen Augen wie eine heile gesunde
Frau. (Sieht nach der Uhr.) Kannst
gleich fahren, ich bring dich hin – frisch, es wird
losgefahren!
Grete (zögernd): Und wo bleibst du, blauer Boll, wenn
du doch nicht mehr lustig sein kannst?
Boll: Ach was, Grete, Boll kanns
nicht lassen und bringt Boll zur Welt, man wird schon sehen, Bolls
Geburt und turmhohe Veränderung steht vor der Tür. Jeder
ist sich selbst der Nächste bei seiner Entfaltung und muß
wissen, wie ers schafft.
Man hört die Tür
zum Turm knarren, sie sehen sich um.
Boll: Das trifft sich ja sehr gut,
Martha, da können wir gleich zusammen frühstücken
– nein, nein, komm gern heran, du störst nicht im
geringsten.
Frau
Boll kommt.
Frau Boll: Aber ob sie es
erlaubt?
Boll: Küß' der
gnädigen Frau die Hand, Grete, das ist Bolls Ehefrau –
na, was zierst du dich – wirds bald?
Frau Boll (winkt ab): Wie ich da zufällig aus meinem
Fenster seh . . . und du gingst über den Platz
und verschwandest in der Kirche . . . .
Boll: Küß ihr die Hand,
Grete! (Grete tut es mit äußerstem
Widerstreben, linkisch und furchtsam, kaum daß Frau Boll es
duldet.) Sie fährt dahin und kehrt nie wieder, Martha,
nie wieder, was wie Grete war. Saugwurm hält doch wohl vor der
Kugel, wie du hoffentlich bemerkt haben wirst – ja, nie
wieder, nie wieder.
116
Frau Boll: Würdest du mir das
alles nicht bitte besser verschweigen, Kurt? Nein, ich kann den
lieben Gott wirklich nicht mehr begreifen! (Kehrt sich ab und legt die Hand auf die Stirn.)
Ohne eine Sterbensmöglichkeit von Schlaf wie die Nacht
verlaufen ist – und habe ich denn nicht regelmäßig
Migräne nach solchen Aufregungen? (Wieder
zurück.) Gott, Kurt – du weißt wohl
überhaupt noch gar nicht, was heute Nacht geschah?
Boll: Ich denke doch – viel,
reichlich viel, aber vielleicht geschah noch mehr?
Frau Boll: Also du weißt es
wirklich noch nicht? Ich hätte es nie geglaubt!
Boll: Was denn, Martha, wenn du so
gut sein willst?
Frau Boll: Woher solltest du auch
– wer könnte . . . (Zu Grete): Ich muß meinem Mann, der leider
ganz unvorbereitet ist, von einer
er – schütternden Familienangelegenheit
Mitteilung machen.
Grete: Ja, Frau Boll?
Frau Boll: Sie versteht nicht,
Kurt.
Boll (zu
Grete): Wenn du noch was für mich tun willst, Grete,
kannst du nach vorn gehen und ein Vaterunser für mich beten.
Für mich wie für jemand, der keine Zeit mehr dazu hat
oder keine Kurage aufbringt – ja, Grete?
Grete (wendet
sich, Boll begleitet sie mehrere Schritte und zeigt ihr den Weg zum
Altar, Grete ab).
Boll: Also schlecht geschlafen,
Martha, auch Migräne wie immer nach solchen Geschichten?
117
Frau Boll: Eine Aufregung stürzt
sich auf die andere, Kurt.
Boll: Aufregungen, Martha, wenn du
mir das erlauben willst, einzuschieben, sind Gelegenheiten, Pulver
zu nehmen – aber ich unterbrach dich.
Frau Boll: Kannst du es auch
anhören, Kurt? Wenn dir nur im Geringsten unklar vor Augen
wird, oder gar . . .
Boll: Einerlei, ich bin ja wohl der
Erste an der Reihe, also los!
Frau Boll: Setz dich lieber in den
Stuhl, Kurt, und nimm dir fest vor und gib dir Mühe, dich von
vornherein dagegen gefühllos zu machen – mein Gott, die
Zeit tut es dann ja doch und du wirst einmal sagen, es geschah, was
schon längst hätte geschehen können oder auch
später erst – ich hätte es wirklich nie
geglaubt.
Boll: Na, ja, Martha, jetzt bin ich
wirklich auf alles vorbereitet – wenn du denn so gut sein
willst.
Frau Boll: Du weißt vielleicht
noch, daß ihr gestern Abend nicht grade sehr freundlich
auseinanders gegangen seid, du und Otto?
Boll: Ich und Otto? Na, dergleichen
kam schon öfter vor – mir ist es durchs Gedächtnis
gerutscht – hat er noch was gesagt?
Frau Boll: Ach, Kurt, wie soll ich
dirs nur schonend und zartfühlend genug beibringen. Erst trank
er noch ganz allein für sich und sagte, er müßte
diesen Herrgott mit Schnaps von seiner inwendigen Furnitur abbeizen
– und dann, als er zu Bett wollte, war Bertha gerade
118
eingeschlafen und so störte er sie auch noch, und dann schlug
er vor dem Waschtisch leibeslang zu Boden. Es war nur gut, daß
der Mann, den sie den Herrgott nennen, gleich zur Hand war, schlief
ja nebenbei und Bertha brauchte bloß zu klopfen. Solche Leute
sind bei solchen Sachen ja wirklich gut zu gebrauchen. Wir taten
alles, was richtig war – nun liegt er ganz still zu Bett und
der Mensch sitzt dabei und spricht mit ihm. Aber er ist wirklich
auffallend verändert, Kurt, und seine Hand zittert
unaufhörlich. Selbst sagen kann er denn ja nichts. Der
Sanitätsrat meint, er wird für dies Mal noch ziemlich
wieder in Ordnung kommen – ich hätte es nie
geglaubt.
Boll: Du hast ganz recht mit deinem
Bonmot, das hätte ihm längst passieren können, oder
es wäre bald mal oder auch später soweit gewesen –
siehst du, wie gefaßt ich bin?
Frau Boll: Na, Kurt, das ist ja
auch gut, aber es tut mir doch immerhin schrecklich leid, der arme
Otto!
Boll: Ist er vielleicht tot, soll
ich es etwa nach und nach eingetrichtert kriegen – von mir
aus könnte er nämlich ebensogern tot sein. Die
Wohngelegenheit in dem so veränderten Elendstal kann
bestenfalls doch nur noch ein Schweinestall sein.
Frau Boll: Wie du so was sagen
magst, Kurt, nein, Gott sei Lob und Dank – er lebt.
Boll: Aber sehr verändert und
die Hand zittert? Sieh mal an, wer hätte das von Otto gedacht,
nein, das hätte ich auch nie geglaubt! Ich will wetten, diese
Art 119 zu
werden ist ihm leichter gefallen, als mir das saure Probestück
an der Grete. Dieser Otto – er redet jetzt wie mit
Engelszungen, es dröhnt mir in den Ohren, kann ich dir sagen,
grade als hätte ihm eine von den Tanten die Tute an den Mund
gesetzt und er stößt darein mit seiner ganzen
Leibeskraft. (Ruft:) Hörst du,
Grete?
Grete (von
hinten); Ja, Herr Boll?
Boll: Hast wohl ausgebetet, wenn du
dich nicht allzu lang auf den Anfang besonnen hast, um Kurage ist
mir nicht mehr zu tun.
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