(Setzt
sich.)
80
Otto: Das sind mir viel zu wenig
Kinder, als daß Sie mir da was von erzählen brauchten.
Aber Kurt, sag mal Kurt, was das für eine Frau und dieser
Onkel Schuster – was, eine Hexe, eine richtige Hexe?
(Steht auf.)
Boll: Ja, ja, was denn weiter, ist
das nicht genug? Ich sollte denken, das wäre mehr als genug
– setz dich doch, Otto!
Otto: Eine richtige Hexe, Kurt?
Boll: Und obendrein habe ich sie
bei einem richtigen Teufel untergebracht. (Zum
Herrn): Der Herr muß trachten, keine Absicht darin zu
sehen, daß er von solcher Sippe unterhalten wird. (Zu Otto): Setz dich doch, Otto!
Herr: Ich bin auch mit Teufeln und
Hexen gut Freund, wir sind alle auf demselben Wege.
Otto: Kurt, ich setze mich nicht,
das hab ich Martha versprechen müssen, darauf hab ich ihr die
Hand geben müssen. Ich darf mich nicht setzen, so lange ich
ein anständiger Kerl bin. Und was du da von bitterer
Familienähnlichkeit sagtest, das ist einerlei, das kann ich
mit demselben Grund auf dich anwenden. Ich schäme mich, Kurt,
Gott sei Dank, das ist eine erschreckende Wahrnehmung, ich
schäme mich wegen der Familienähnlichkeit – Martha,
arme Martha! (Gibt ihr die Hand, sie
schluchzt.)
Frau Boll: Setz dich hin, Otto, es
ist viel zu spät, als daß wir noch einigermaßen
genug Schlaf kriegen. Soll ich uns nicht einen Kaffee kommen
lassen?
Otto: Tu das, Martha, Kaffee tut
gut und also tust du wohl daran. Aber sitzen – nein, das kann
ich nicht. 81
(Frau Boll betränt hinaus.) Sieh,
Kurt, was du da mit allem Fleiß zuwege gebracht hast, ich
schäme mich, daß ich Martha so was überhaupt
versprechen gemußt habe. Warum können wir das alles nicht
ruhig miteinander bereden?
Boll: Wenn du es ihr doch
versprochen hast, Otto, nämlich, wie ich denken muß,
daß es nicht in Ruhe, sondern im Gegenteil unter Anwendung
verwandtschaftlicher Geraktheit vor sich gehen
soll . . .?
Holtfreter (steht auf, devot zum Herrn): Wenn Er erlaubt!
– Ich tu mir was zugute und rufe zur Wahrnehmung auf,
daß in unserer Stadt vom Morgen an das Werden auf gloriose Art
vorkommt. Und so spät, daß ein Kaffee gekocht werden
muß, so spät ist das Werden offenbar in ewig
müheloser Rüstigkeit frisch in Schwung gekommen. Und ich
weise all und jeden in Demut und nicht, ohne mir was drauf zugute
zu tun, auf die Anwesenheit des (neigt sich vor
dem Herrn) als ursächliche Wirksamkeit hin.
(Setzt sich.)
Frau Boll (kommt zurück).
Otto: Na, Martha, Gott sei Dank,
Martha, wir haben Pipelow höchst nötig, denn Pipelow
besorgt doch wohl den Kaffee, oder ist Pipelow auch schon zu
Bett?
Frau Boll: Ich konnte doch nicht
gut so vorbeigehen und guckte mal bei Bertha hinein, Otto –
Bertha verbietet patuh, daß noch Kaffee getrunken wird und du
sollst auch gleich zu Bett kommen, Otto. (Zu
Boll): Saugwurm spannt an – so spät sind wir noch
nie gefahren.
82
Otto: So? Keinen Kaffee? Ja, liebe
Martha, ausgerechnet Bertha erzählst du das mit dem Kaffee?
Das finde ich eine unentschuldbare Achtsamkeit. (Zum Herrn): Wollten Sie etwa aufstehen, so will ich
Sie gern durchlassen, ich verstand es so, als ob Sie etwas
dergleichen sagten.
Herr: Ehe ich Sie bemühe,
Herr, möchte ich Sie etwas fragen.
Otto: Leihen tu ich prinzipiell
außer aus Grundsatz nichts, danach müssen Sie sich
gefälligst mit Ihren Fragen einrichten.
Herr: Es soll von keinem Geld die
Rede sein. Ich wäre sogar in der glücklichen Lage, Ihnen
im Bedarfsfalle mit einer kleinen Summe aushelfen zu
können.
Otto: Im Bedarfsfalle? Meinen Sie,
ich und, na, wir haben Geld nötig? Ich kenne keine solchen
Kreise, in denen ich verkehre, Sie scheinen solche Art Leute zu
kennen – unsere Kreise sind nie im Bedarfsfalle.
Herr: Leider gibt es viele
bedürftige gute Menschen unter meinen Freunden. Indessen, wenn
auch nicht im gleichen, so doch im verwandten Bedarfsfalle sind wir
wohl alle miteinander.
Otto: Das wird ja immer zusehender!
Im verwandten – etwa mit Ihnen im verwandten Dings? Oder bin
ich betrunken?
Herr: Es wird Ihnen weder im
bedauerlichen noch nüchternen Zustand entgehen können,
daß Ihr vorheriges Wort von der bitteren
Familienähnlichkeit das Bedürfnis 83 einer andern Beschaffenheit
Ihrer Familie, also wohl einer bessern Beschaffenheit,
ausdrücklich anzeigt. Oder einfacher gesagt, Sie fühlen,
daß Ihr Zustand durchaus einer Veränderung
benötigt.
Otto: Weißt du, Kurt, zu was
wollen wir diese Leute nicht wegschicken, he? Ich meine, dieser
Herrgott hat nun genug Wein getrunken, den er nicht bezahlt.
Boll: Was heißt schicken, er
wohnt in der Kugel wie du selbst und ist mein Gast. (Schlägt ihm auf die Schulter): Aber Mensch,
Otto, da holst du deine Worte aus der Kluft und dem Kern deines
Holzes – Wetter nochmal: wir im Bedarfsfalle! Möchte
wissen, was wir in diesem Falle zu suchen haben, wonach hätten
wir Bedarf, das soll uns mal jemand nachweisen. Tut uns
Veränderung not?
Ver – än – de – rung?
Otto: Alter Junge –
nicht?
Boll (zum
Herrn): Sodann ist Ihnen wohl nicht entgangen, daß mein
Vetter an dem bösen Wort von der Familienähnlichkeit
unschuldig ist?
Herr: Aufgegriffen von Ihrem Herrn
Vetter, gewiß – aber ein gutes Wort, kein böses,
Herr Boll! In ihm liegt ein Keim, Bereitschaft regt sich, Werden
will sprossen. (Zu Otto): O, auch Ihnen
stehen in Bälde große Veränderungen bevor, nein,
nicht Ihnen allein, Herr Prunkhorst, wir alle fühlen uns in
gleicher Gunst des Geschehens, stehen wir doch alle miteinander
verquickt und versippt im leidigen Zustand einer
allgemein-menschlichen und bitteren Familienähnlichkeit.
84
Otto: Ich bin nicht betrunken genug,
um so betrunken zu sein, daß ich seine lachhafte
Gotthaftigkeit nicht durch und durch schaute – ein Schwindler
ist das, Kurt, ein Schwindler, sag ich!
Herr: Ein solcher, Herr Prunkhorst,
ein Schwindler, eine Hexe, ein Teufel auf dem gleichen Wege mit
Ihnen und allen. Betrachten Sie die schöne Handlungsweise des
Herrn Boll: er trägt Verantwortung für die Hexe, auch in
ihm keimt das hüllensprengende Drängen des Werdens und es
darf Sie nicht kränken, Herr – wir alle miteinander sind
in diesem tieferen Sinne Hexengenossen und Teufelsbrüder
– Sie eingeschlossen!
Otto (schwingt
die Fäuste): Kurt, ich berufe dich, fasse dich
– – hubuh, was weht die Fahne meiner
Gekränktheit hin und her, was wackelt sie! Also Kurt, ich
berufe dich – schwöre ab – ab den Zustand jeder
Veränderung. Steh fest, alter Junge, im Zustand der Ehe, steh
fest im Zustand vor der Ehe und hinter der Ehe und neben der Ehe,
krieg beim Wickel, wen du willst, meinetwegen Hexen, und vor allem
bleib fest im Zustand der Verantwortungslosigkeit, darin steh fest!
Schwöre die Verantwortung ab! (Saugwurm
erscheint in der Tür, halberstickt): Saugwurm, da kommt
zum Glück Saugwurm gespökt, oller Saugwurm, lang' mir
doch da aus der Ecke linker Hand, da steht ein Spucknapf, nicht? Ja
doch, her damit. (Stellt den Spucknapf vor den
Herrn, schenkt Reste aus den Flaschen) So, Sie Wahrsager,
Sie Halskünstler, Sie Schreibfehler an einer Abtrittswand, Sie
verdautes 85
Mittagessen, Sie allgemein benutzte Gelegenheit, Sie vergessener
Umstand – wahren Sie sich vor meiner sicheren Hand, wozu ich
Ihnen rate, und letzen Sie sich an dem, was Ihnen meine
Verantwortung vorspeit! (Zu Boll):
Schwörst du die Verantwortung ab?
Auf Bolls Wink nimmt Saugwurm den Napf wieder
fort.
Otto will sprechen, stockt und setzt
sich nieder.
Saugwurm: Die Herrschaften
können denn auch einsteigen. (ab.)
Frau Boll: Gottlob, daß wir
endlich fortkommen.
Boll: Abfahren – nach Haus?
Ich? Nein, Grete, nicht abfahren!
Frau Boll: Grete sagst du?
Boll: Nein, nun und nimmer fahre
ich, Grete. Führe ich aber, es ginge gradeswegs zur Hölle
mit mir. Grete in den Klauen des Teufels – und ich soll
abfahren? Grete, die nicht weiß was sie tut, Grete, für
die ich Vormund bin, Grete, die die Hütten in Brand stecken
will, in denen ihre Kinderseelen wohnen, Grete, der ich versprochen
habe, dabei zu helfen, anstatt ihr zum Gegenteil beizustehen!
Frau Boll: Hört nicht auf ihn.
Ich für mein Teil will ihm Verzeihung aufheben und er soll sie
haben. Aber jetzt muß er, muß mitfahren –
muß!
Otto (mühsam): Ich hol' wohl am besten meine Fahne
auf Halbmast runter – kann ich dir noch bei was helfen, arme
Martha, soll ich ihn noch mal berufen? (macht
sich stark).
86
Frau Boll: Ach, Otto, wozu könnte
das auch helfen – ich versteh beinah den lieben Gott nicht
mehr, denn was könnte er wohl mit uns im Sinne haben, da ers
offenbar anders meint als wir – nein, o, nein!
Boll: Also, liebe Martha, verzeihen
willst du mir? Sag aber bloß, was nützt mir deine
Verzeihung, wenn ich mir nicht selbst verzeih? Da, da, da bin ich
im Bedarfsfalle, das ist der Fall der Fälle. Kannst du dir das
Folgende nicht denken, Martha: draußen die stille Nacht und
ich, Boll selbst, im Turm die Treppe raufgequält, und was sagt
der Turm dazu? Er sagt: Boll muß! Und dann so läßt
die stille Nacht ein Lüftchen fahren, nur eins und ein ganz
geheimes – von oben her und niemand siehts, aber ein
schwarzes, schweres Stück Nacht kommt mit dem Lüftchen
angefahren und schlägt das Pflaster entzwei und am Morgen
waschen sie ein halb Dutzend Meter Bollsches Rot von den Steinen?
Stell dir vor, was für vielleicht unnötige Umstände
und sieh es bitte gründlich ein – lieber als ich mit
Saugwurm an deiner grünen Seite in die Hölle kutschier,
fahre ich durch die Luft und schieß unterweg Kobolz.
Frau Boll: Es – es, es kann
mich doch nur schauerlich erschrecken, oder was kann ich sonst
dabei tun?
Boll: Verstehst du nicht? Hör
mal genau zu, denn heute Morgen habe ich dabeigestanden, wie du als
Dulderin und gekränkt stolz und schweigend – du
weißt doch – – so sollst du jetzt vor allem
Volk geehrt werden, denn alles Volk soll erkennen, daß dein
die große Ehre 87 der Entscheidung ist. Ihr Beide teilt euch in der
Gewalt über mich, du und der Turm, ihr Beide redet und ratet
und ihr entscheidet. Erheb dich siegend, Martha, du bist
berufen.
Frau Boll: Gott, mir wird so
fürchterlich bange, wo denkst du denn wohl an, Kurt, wie soll
ich das alles denn auch gleich verstehen.
Boll (hebt den
Finger und schüttelt ihn, als wünsche er ungestört
zu lauschen.
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