Es ist übrigens nicht zu vergessen, daß ein großer Teil dieser Klasse, namentlich der in den Städten lebende, damals noch einen bedeutenden Kern gesunder Bauernnatur besaß und noch lange nicht die Käuflichkeit und Verkommenheit des heutigen zivilisierten Lumpenproletariats entwickelt hatte.

Man sieht, die plebejische Opposition der damaligen Städte bestand aus sehr gemischten Elementen. Sie vereinigte die verkommenen Bestandteile der alten feudalen und zünftigen Gesellschaft mit dem noch unentwickelten, kaum emportauchenden proletarischen Element der aufkeimenden, modernen bürgerlichen Gesellschaft. Verarmte Zunftbürger, die noch durch das Privilegium mit der bestehenden bürgerlichen Ordnung zusammenhingen, auf der einen Seite; verstoßene Bauern und abgedankte Dienstleute, die noch nicht Zuproletariern werden konnten, auf der andern. Zwischen beiden die Gesellen, momentan außerhalb der offiziellen Gesellschaft stehend und sich in ihrer Lebenslage dem Proletariat so sehr nähernd, wie dies bei der damaligen Industrie und unter dem Zunftprivilegium möglich; aber, zu gleicher Zeit, fast lauter zukünftige bürgerliche Meister, kraft eben dieses Zunftprivilegiums. Die Parteistellung dieses Gemisches von Elementen war daher notwendig höchst unsicher und je nach der Lokalität verschieden. Vor dem Bauernkriege tritt die plebejische Opposition in den politischen Kämpfen nicht als Partei, sie tritt nur als turbulenter, plünderungssüchtiger, mit einigen Fässern Wein an- und abkäuflicher Schwanz der bürgerlichen Opposition auf. Erst die Aufstände der Bauern machen sie zur Partei, und auch da ist sie fast überall in ihren Forderungen und ihrem Auftreten abhängig von den Bauern – ein merkwürdiger[338] Beweis, wie sehr damals die Stadt noch abhängig vom Lande war. Soweit sie selbständig auftritt, verlangt sie die Herstellung der städtischen Gewerksmonopole auf dem Lande, will sie die städtischen Einkünfte nicht durch Abschaffung der Feudallasten im Weichbild geschmälert wissen usw.; kurz, so weit ist sie reaktionär, ordnet sie sich ihren eigenen kleinbürgerlichen Elementen unter und liefert damit ein charakteristisches Vorspiel zu der Tragikomödie, die die moderne Kleinbürgerschaft seit drei Jahren unter der Firma der Demokratie aufführt.

Nur in Thüringen unter dem direkten Einfluß Münzers und an einzelnen andern Orten unter dem seiner Schüler wurde die plebejische Fraktion der Städte von dem allgemeinen Sturm so weit fortgerissen, daß das embryonische proletarische Element in ihr momentan die Oberhand über alle andern Fraktionen der Bewegung bekam. Diese Episode, die den Kulminationspunkt des ganzen Bauernkriegs bildet und sich um seine großartigste Gestalt, um Thomas Münzer, gruppiert, ist zugleich die kürzeste. Es versteht sich, daß sie am schnellsten zusammenbrechen und daß sie zu gleicher Zeit ein vorzugsweise phantastisches Gepräge tragen, daß der Ausdruck ihrer Forderungen höchst unbestimmt bleiben muß; gerade sie fand am wenigsten festen Boden in den damaligen Verhältnissen.

Unter allen diesen Klassen, mit Ausnahme der letzten, stand die große exploitierte Masse der Nation: die Bauern. Auf dem Bauer lastete der ganze Schichtenbau der Gesellschaft: Fürsten, Beamte, Adel, Pfaffen, Patrizier und Bürger. Ob er der Angehörige eines Fürsten, eines Reichsfreiherrn, eines Bischofs, eines Klosters, einer Stadt war, er wurde überall wie eine Sache, wie ein Lasttier behandelt, und schlimmer. War er Leibeigner, so war er seinem Herrn auf Gnade und Ungnade zur Verfügung gestellt. War er Höriger, so waren schon die gesetzlichen, vertragsmäßigen Leistungen hinreichend, ihn zu erdrücken; aber diese Leistungen wurden täglich vermehrt. Den größten Teil seiner Zeit mußte er auf den Gütern des Herrn arbeiten; von dem, was er sich in den wenigen freien Stunden erwarb, mußten Zehnten, Zins, Gült, Bede, Reisegeld (Kriegssteuer), Landessteuer und Reichssteuer gezahlt werden. Er konnte nicht heiraten und nicht sterben, ohne daß dem Herrn gezahlt wurde. Er mußte, außer den regelmäßigen Frondiensten, für den gnädigen Herrn Streu sammeln, Erdbeeren sammeln, Heidelbeeren sammeln, Schneckenhäuser sammeln, das Wild zur Jagd treiben, Holz hacken usw. Fischerei und Jagd gehörten dem Herrn; der Bauer mußte ruhig zusehen, wenn das Wild seine Ernte zerstörte. Die Gemeindeweiden und Waldungen der Bauern waren[339] fast überall gewaltsam von den Herren weggenommen worden. Und wie über das Eigentum, so schaltete der Herr willkürlich über die Person des Bauern, über die seiner Frau und seiner Töchter. Er hatte das Recht der ersten Nacht. Er warf ihn in den Turm, wenn's ihm beliebte, wo ihn mit derselben Sicherheit, wie jetzt der Untersuchungsrichter, damals die Folter erwartete. Er schlug ihn tot oder ließ ihn köpfen, wenn's ihm beliebte. Von jenen erbaulichen Kapiteln der Carolina, die da »von Ohrenabschneiden«, »von Nasenabschneiden«, »von Augenausstechen«, »von Abhacken der Finger und der Hände«, »von Köpfen«, »von Rädern«, »von Verbrennen«, »von Zwicken mit glühenden Zangen«, »von Vierteilen« usw. handeln, ist kein einziges, das der gnädige Leib- oder Schirmherr nicht nach Belieben gegen seine Bauern angewandt hätte. Wer sollte ihn schützen? In den Gerichten saßen Barone, Pfaffen, Patrizier oder Juristen, die wohl wußten, wofür sie bezahlt wurden. Alle offiziellen Stände des Reichs lebten ja von der Aussaugung der Bauern.

Die Bauern, knirschend unter dem furchtbaren Druck, waren dennoch schwer zum Aufstand zu bringen. Ihre Zersplitterung erschwerte jede gemeinsame Übereinkunft im höchsten Grade. Die lange Gewohnheit der von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzten Unterwerfung, die Entwöhnung vom Gebrauch der Waffen in vielen Gegenden, die je nach der Persönlichkeit der Herren bald ab-, bald zunehmende Härte der Ausbeutung trug dazu bei, die Bauern ruhig zu erhalten. Wir finden daher im Mittelalter Lokalinsurrektionen der Bauern in Menge, aber – wenigstens in Deutschland – vor dem Bauernkrieg keinen einzigen allgemeinen, nationalen Bauernaufstand.