Er griff die Regierungen entschieden an. Sie seien schuld am Aufstand durch ihre Bedrückungen; nicht die Bauern setzten sich wie er sie, sondern Gott selbst. Der Aufstand sei freilich auch ungöttlich und wider das Evangelium, hieß es auf der andern Seite. Schließlich riet er beiden Parteien, nachzugeben und sich gütlich zu vertragen.[349]

Aber der Aufstand, trotz dieser wohlmeinenden Vermittlungsvorschläge, dehnte sich rasch aus, ergriff sogar protestantische, von lutherischen Fürsten, Herren und Städten beherrschte Gegenden und wuchs der bürgerlichen, »besonnenen« Reform rasch über den Kopf. In Luthers nächster Nähe, in Thüringen, schlug die entschiedenste Fraktion der Insurgenten unter Münzer ihr Hauptquartier auf. Noch ein paar Erfolge, und ganz Deutschland stand in Flammen, Luther war umzingelt, vielleicht als Verräter durch die Spieße gejagt, und die bürgerliche Reform weggeschwemmt von der Sturmflut der bäurisch-plebejischen Revolution. Da galt kein Besinnen mehr. Gegenüber der Revolution wurden alle alten Feindschaften vergessen; im Vergleich mit den Rotten der Bauern waren die Diener der römischen Sodoma unschuldige Lämmer, sanftmütige Kinder Gottes; und Bürger und Fürsten, Adel und Pfaffen, Luther und Papst verbanden sich »wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern«.

»Man soll sie zerschmeißen, würgen und stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund totschlagen muß!« schrie Luther. »Darum, liebe Herren, loset hie, rettet da, steche, schlage, würge sie, wer da kann, bleibst du darüber tot, wohl dir, seligeren Tod kannst du nimmermehr überkommen.«

Man solle nur keine falsche Barmherzigkeit mit den Bauern haben. Die mengen sich selber unter die Aufrührischen, die sich derer erbarmen, welcher sich Gott nicht erbarmt, sondern welche er gestraft und verderbet haben will. Nachher werden die Bauern selber Gott danken lernen, wenn sie die eine Kuh hergeben müssen, auf daß sie die andre in Frieden genießen können; und die Fürsten werden durch den Aufruhr erkennen, wes Geistes der Pöbel sei, der nur mit Gewalt zu regieren.

»Der weise Mann sagt: Cibus, onus et virga asino – in einen Bauern gehört Haberstroh, sie hören nicht das Wort und sind unsinnig, so müssen sie die virgam, die Büchse, hören, und geschieht ihnen recht. Bitten sollen wir für sie, daß sie gehorchen; wo nicht, so gilt's hier nicht viel Erbarmens. Lasset nur die Büchsen unter sie sausen, sie machen's sonst tausendmal ärger.«

Geradeso sprachen unsere weiland sozialistischen und philanthropischen Bourgeois, als das Proletariat nach den Märztagen seinen Anteil an den Früchten des Siegs reklamieren kam.

Luther hatte der plebejischen Bewegung ein mächtiges Werkzeug in die Hand gegeben durch die Übersetzung der Bibel. In der Bibel hatte er dem feudalisierten Christentum der Zeit das bescheidene Christentum der ersten[350] Jahrhunderte, der zerfallenden feudalen Gesellschaft das Abbild einer Gesellschaft entgegengehalten, die nichts von der weitschichtigen, kunstmäßigen Feudalhierarchie wußte. Die Bauern hatten dies Werkzeug gegen Fürsten, Adel, Pfaffen, nach allen Seiten hin benutzt. Jetzt kehrte Luther es gegen sie und stellte aus der Bibel einen wahren Dithyrambus auf die von Gott eingesetzte Obrigkeit zusammen, wie ihn kein Tellerlecker der absoluten Monarchie je zustande gebracht hat. Das Fürstentum von Gottes Gnaden, der passive Gehorsam, selbst die Leibeigenschaft wurde mit der Bibel sanktioniert. Nicht nur der Bauernaufstand, auch die ganze Auflehnung Luthers selbst gegen die geistliche und weltliche Autorität war hierin verleugnet; nicht nur die populäre Bewegung, auch die bürgerliche war damit an die Fürsten verraten.

Brauchen wir die Bourgeois zu nennen, die auch von dieser Verleugnung ihrer eignen Vergangenheit uns kürzlich wieder Beispiele gegeben haben?

Stellen wir nun dem bürgerlichen Reformator Luther den plebejischen Revolutionär Münzer gegenüber.

Thomas Münzer war geboren zu Stolberg am Harz, um das Jahr 1498. Sein Vater soll, ein Opfer der Willkür der Stolbergschen Grafen, am Galgen gestorben sein. Schon in seinem fünfzehnten Jahre stiftete Münzer auf der Schule zu Halle einen geheimen Bund gegen den Erzbischof von Magdeburg und die römische Kirche überhaupt. Seine Gelehrsamkeit in der damaligen Theologie verschaffte ihm früh den Doktorgrad und eine Stelle als Kaplan in einem Nonnenkloster zu Halle. Hier behandelte er schon Dogmen und Ritus der Kirche mit der größten Verachtung, bei der Messe ließ er die Worte der Wandlung ganz aus und aß, wie Luther von ihm erzählt, die Herrgötter ungeweiht. Sein Hauptstudium waren die mittelalterlichen Mystiker, besonders die chiliastischen Schriften Joachims des Calabresen. Das Tausendjährige Reich, das Strafgericht über die entartete Kirche und die verderbte Welt, das dieser verkündete und ausmalte, schien Münzer mit der Reformation und der allgemeinen Aufregung der Zeit nahe herbeigekommen. Er predigte in der Umgegend mit großem Beifall. 1520 ging er als erster evangelischer Prediger nach Zwickau. Hier fand er eine jener schwärmerischen chiliastischen Sekten vor, die in vielen Gegenden im stillen fortexistierten, hinter deren momentaner Demut und Zurückgezogenheit sich die fortwuchernde Opposition der untersten Gesellschaftsschichten gegen die bestehenden Zustände verborgen hatte und die jetzt mit der wachsenden Agitation immer offener und beharrlicher ans Tageslicht hervortraten. Es war die Sekte der Wiedertäufer, an deren Spitze Niklas Storch stand. Sie predigten das Nahen des jüngsten Gerichts und des Tausendjährigen Reichs; sie[351] hatten »Gesichte, Verzückungen und den Geist der Weissagung«. Bald kamen sie in Konflikt mit dem Zwickauer Rat; Münzer verteidigte sie, obwohl er sich ihnen nie unbedingt anschloß, sondern sie vielmehr unter seinen Einfluß bekam.