Er hatte dabei zu tun, denn die alte Leinwand war hart und steif. Schließlich hing es nur noch an einem Faden. Er riß es heraus und trat es mit dem Fuße aus, als es noch zitterte.
Mit dem linken Auge tat er ebenso, aber es war noch fester, es wollte nicht mit, als er es herausriß. Und als er es endlich losbekam, hing noch ein großer Fetzen der Stirn daran.
Damit war es aber noch nicht ganz getan. Jetzt kam der Mund an die Reihe. Er konnte es sich nicht versagen, ihn noch einmal zu streicheln, einmal noch leise mit dem Zeigefinger über diese Lippen zu fahren.
Dann, da wo das Lachen am bösesten saß, an dem rechten Mundwinkel, stach er herein.
Er schnitt den Mund oben und unten bis zur Mitte fort und hob den Fetzen heraus. Und dann ging er ein paar Schritte zurück und betrachtete sein Werk wie ein Künstler. Er mußte lachen, zum erstenmal seit einer Ewigkeit. Er machte sich mit dem Schneiden keine Arbeit mehr, er packte den Lappen mit der Faust an und riß ihn heraus, quer über das ganze Gesicht, während er sich vor Lachen den Bauch hielt.
Er war fürchterlich anzuschauen, dieser Kopf, aus dem plötzlich der Tod von innen herausgebrochen war wie ein Gefangener aus seinem Loche. Der Kopf mit diesen ungeheuren Augenhöhlen, wie mehrere Fenster, hinter denen das Dunkel saß. Und dieser große, leere Mund, der wirklich nicht mehr lächelte, aber sich zu dem furchtbaren Lachen des Todes auseinandergezerrt hatte, einem Lachen unhörbar und doch laut, unsichtbar und doch da, alt und dunkel wie die Jahrtausende.
Und plötzlich konnte er, als er seine Tat übersah, das Wesen der Dinge erkennen, und er wußte, daß nichts war, kein Leben, kein Sein, keine Welt, nichts, nur ein großer schwarzer Schatten um ihn herum. Und er war ganz allein oben auf einem Felsen. Und wenn er nur einen Schritt tat, sank er herunter in den ewigen Abgrund.
Eine furchtbare Müdigkeit kam über ihn. Es war ja auch nichts mehr zu tun. In einem Winkel hockte er sich zusammen unter einer Bodenluke, wie ein schwarzes Tier in dem Viereck des blauen Mondlichtes.
Er war eingeschlafen. Und wie er da saß gegen die Wand gelehnt, den Kopf zwischen den Knien herunterhängend und die langen Arme schlapp auf der Erde, als wollten sie von ihm fortfließen, war er wie ein großer schwarzer Haufen zusammengefallener Asche, die der letzte Rest der Glut verlassen hat.
Das Licht, das er fortgeworfen hatte, war auf ein paar Lumpen gefallen, die langsam ins Glimmen kamen. Es dauerte eine Weile, dann hatte sich der Funken einen Weg bis zu einem Haufen Stroh gefressen. Ein Wind kam herein, und eine kleine rote Feuerschlange ringelte sich aus den trockenen Halmen.
Nach einiger Zeit wieder sahen auf der Straße einige Betrunkene, die sich verirrt hatten, wie ein großer roter Feuerdrache oben auf dem Dache saß und mit seinen riesigen Flügeln auf den brennenden Sparren herumschlug.
Die Sache nahm ihren Verlauf. Die Betrunkenen begannen zu schreien, ein paar Fenster gingen auf, ein paar Nachtmützen flatterten heraus, ein paar Haustüren öffneten sich, und drei oder vier Gestalten rannten die Straße herunter, nach der gelben Lampe des Polizeibureaus.
Die Straße wird voll Menschen, Lärm, Gezänk, Kindergeschrei, Polizisten, alles starrt herauf in das Feuer. Ein brennender Balken löst sich ab und fällt krachend herunter. Erneutes Geschrei. Man schafft ein paar Verwundete oder Tote fort.
Die Feuerwehr kommt, die Spritzen fahren in das Feuer, und ein großer gelber Dampf steigt in die Nacht, wo die Wasser in die Flammen einschlagen. Eine große Leiter dreht sich wie ein Krahn in der Luft oben hinauf, wo der Kopf des alten Mannes aus der Bodenluke heraushängt.
Sie legt gegen die Mauer an, und ein paar Feuerwehrleute mit großen Helmen laufen wie ein paar Affen die Sprossen herauf.
Als sie beinahe oben sind, geht der Kopf zurück. Nun kann man sehen, wie sie durch die glühenden Dachsparren springen, hinter einem schwarzen Schatten her, der vor ihnen flüchtet, immer hin und her durch die Glut und die Balken, wie ein paar große Teufel, die eine Maus jagen. Auf einmal verschwindet die wilde Jagd nach hinten in einer rauchenden Wolke.
Als die Feuerwehrleute durch Feuer und Qualm den alten Mann hinten in seinem Winkel fanden, kauerte er auf einem Bündel Sachen. Er hielt etwas Großes vor sein Gesicht, ein Gemälde, ohne Augen und Mund, aber die Augen des alten Mannes sahen ihnen aus den hohlen Ausschnitten entgegen, groß und wild aus seiner Maske hervor, und seine lange Zunge wippte aus dem leeren Munde des Bildes heraus.
Sie wollten ihm das Bild fortnehmen, er hielt es fest. Sie wollten ihn mitsamt dem Bilde heraustragen, er stieß sie mit seinen Füßen in ihren Bauch.
Das halbe Dach krachte zusammen, und die Leute waren schon am Ersticken. Sie versuchten noch einmal, ihn herauszuziehen, aber der Alte ließ das Bild mit der einen Hand los, riß eine glühende Sparre mit großen glühenden Nägeln über seinem Kopfe heraus und schlug sie dem einen Feuerwehrmann über das Gesicht, daß er zusammenbrach.
Da fiel das Entsetzen über die beiden andern, und sie ließen die beiden liegen, den Toten und den Verwundeten, und wollten zurück, heraus, da wo Luft war. Sie sprangen hinein in den Rauch, der ihnen entgegenschlug, aber sie fanden den Weg nicht mehr, sie warfen ihre Helme fort, um besser zu sehen, sie rannten wieder zurück, an dem Alten vorbei, nach der andern Seite, sprangen über die feurigen Trümmer, wieder zurück, wieder an dem Alten vorbei, und als sie wieder an ihm vorüberflogen, hörten sie noch in ihre Verzweiflung hinein sein lautes Gelächter hinter sich her.
Die Flammen ergriffen sie. Sie schlugen mit ihren bloßen Händen darauf, immer rennend, immer schlagend, auf einmal waren sie ein paar brennende Feuersäulen, sie rannten noch einmal zurück, aber da war eine brennende Bretterwand, nach rechts, da war eine Mauer, sie konnten nicht weiter, sie schrien und schlugen mit ihren bratenden Händen gegen die Steine, nichts, nichts, das Feuer fraß ihr Haar, ihren Schädel, die Flammen zerrissen ihre Augen, sie waren blind, sie sahen nichts mehr, das Feuer fraß ihr Gesicht, das Fleisch flog in Stücken von ihren Händen, aber noch im Tode hämmerten sie die verkohlten Klumpen ihrer Fäuste gegen die Mauer.
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