Der Freigeist

Lessing, Gotthold Ephraim

Der Freigeist

 

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Gotthold Ephraim Lessing

Der Freigeist

Ein Lustspiel in fünf Aufzügen

 

 

Personen.

Adrast, der Freigeist.

 

Theophan, ein junger Geistlicher.

 

Lisidor.

 

Juliane,

Henriette, , Töchter des Lisidor.

 

Frau Philane.

 

Araspe, Theophans Vetter.

 

Johann.

 

Martin.

 

Lisette.

 

Ein Wechsler.

 

Die Szene ist ein Saal.

 

 

Erster Aufzug

 

Erster Auftritt

Adrast. Theophan.

 

THEOPHAN. Werden Sie es übel nehmen, Adrast, wenn ich mich endlich über den stolzen Kaltsinn beklage, den Sie nicht aufhören gegen mich zu äußern? Schon seit Monaten sind wir in Einem Hause, und warten auf einerlei Glück. Zwei liebenswürdige Schwestern sollen es uns machen. Bedenken Sie doch, Adrast! können wir noch dringender eingeladen werden, uns zu lieben, und eine Freundschaft unter uns zu stiften, wie sie unter Brüdern sein sollte? Wie oft bin ich nicht darauf bestanden? – –

ADRAST. Eben so oft haben Sie gesehen, daß ich mich nicht einlassen will. Freundschaft? Freundschaft unter uns? – – Wissen Sie, muß ich fragen, was Freundschaft ist?

THEOPHAN. Ob ich es weiß?

ADRAST. Alle Fragen bestürzen, deren wir nicht gewärtig sind. Gut, Sie wissen es. Aber meine Art zu denken, und die Ihrige, diese kennen Sie doch auch?

THEOPHAN. Ich verstehe Sie. Also sollen wir wohl Feinde sein?

ADRAST. Sie haben mich schön verstanden! Feinde? Ist denn kein Mittel? Muß denn der Mensch eines von beiden, hassen, oder lieben? Gleichgültig wollen wir einander bleiben. Und ich weiß, eigentlich wünschen Sie dieses selbst. Lernen Sie wenigstens nur die Aufrichtigkeit von mir.

THEOPHAN. Ich bin bereit. Werden Sie mich aber diese Tugend in aller ihrer Lauterkeit lehren?

ADRAST. Erst fragen Sie sich selbst, ob sie Ihnen in aller ihrer Lauterkeit gefallen würde?

THEOPHAN. Gewiß. Und Ihnen zu zeigen, ob Ihr künftiger Schüler einige Fähigkeit dazu hat, wollen Sie mich wohl einen Versuch machen lassen?

ADRAST. Recht gern.

THEOPHAN. Wo nur mein Versuch nicht ein Meisterstück wird. Hören Sie also, Adrast – – Aber erlauben Sie mir, daß ich mit einer Schmeichelei gegen mich selbst anfange. Ich habe von je her einigen Wert auf meine Freundschaft gelegt; ich bin vorsichtig, ich bin karg damit gewesen. Sie sind der erste, dem ich sie angeboten habe; und Sie sind der einzige, dem ich sie aufdringen will. – – Umsonst sagt mir Ihr verächtlicher Blick, daß es mir nicht gelingen solle. Gewiß, es soll mir gelingen. Ihr eigen Herz ist mir Bürge; Ihr eigen Herz, Adrast, welches unendlich besser ist, als es Ihr Witz, der sich in gewisse groß scheinende Meinungen verliebt hat, vielleicht wünschet.

ADRAST. Ich hasse die Lobsprüche, Theophan, und besonders die, welche meinem Herzen auf Unkosten meines Verstandes gegeben werden.