Eine Tonne stand neben dem Feuer, und auf der Tonne saß ein Bettler; es war der König auf seinem Throne. Die drei, die Gringoire gepackt hatten, führten ihn zur Tonne, und das ganze Bacchanal schwieg plötzlich. Gringoire wagte weder Atem zu holen, noch die Augen aufzuschlagen. Der König aber redete ihn an von der Höhe seines Fasses:
„Wer ist der Spitzbube?“
Gringoire zitterte; diese Stimme, ob auch drohend, erinnerte ihn an eine andere, die an demselben Morgen den ersten Streich gegen sein Mysterium geführt hatte, als sie mitten im Publikum näselte: „Habt Erbarmen!“ Er erhob den Kopf; es war wirklich Clopin Trouillefou.
Clopin Trouillefou, mit den königlichen Insignien bekleidet, trug weder mehr, noch weniger Lumpen. Sein Geschwür am Arme war verschwunden. Er hielt in der Hand eine Peitsche mit weißen Riemen, wie sie damals die Sergeanten oft gebrauchten, um das Volk in Ordnung zu halten. Auf dem Kopfe trug er einen runden und oben geschlossenen Schmuck; es war aber sehr schwer zu unterscheiden, ob es eine Kindermütze oder eine Krone war; denn beide waren jenem Schmucke sehr ähnlich.
Als Gringoire in dem König des Hofes der Wunder seinen verfluchten Bettler vom Saale des Palais wiedererkannte, hatte er, ohne zu wissen warum, wieder einige Hoffnung gefaßt.
„Herr …“, stotterte er, „gnädiger Herr … Sire … Wie muß ich Euch nennen?“
„Gnädiger Herr, Majestät oder Kamerad, wie du willst. Aber eile, was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?“ Verteidigung, dachte Gringoire, das mißfällt mir.
Er begann stotternd seine Rede aufs neue: „Ich bin der, welcher heute morgen …“
„Bei des Teufels Krallen!“ unterbrach ihn Clopin, „deinen Namen und nichts weiter! Höre, du stehst vor drei mächtigen Herrschern; vor mir, Clopin Trouillefou, König von Thunes, höchstem Lehnsherrn des Königreichs Kauderwelsch; vor Matthias Hungardi Spiyali, Herzog der Zigeuner; es ist der alte Gelbe, den du dort mit der Fackel über dem Haupte siehst; Guillaume Rousseau, Kaiser von Galiäa, der uns jetzt nicht hört, weil er eine Landstreicherin liebkost. Wir sind deine Richter. Du bist in das Königreich Kauderwelsch eingetreten, ohne ein Kauderwelscher zu sein, und hast so die Privilegien unserer Stadt verletzt. Du mußt bestraft werden, wo du nicht Dieb, Bettler oder Vagabund bist. Bist du etwas der Art? Rechtfertige dich und entwickle deine Eigenschaften.“
„Ach“, sagte Gringoire, „ich habe nicht die Ehre; ich bin der Dichter …“
„Genug“, unterbrach ihn Trouillefou, ohne ihn ausreden zu lassen; „die Sache ist ganz einfach. Wie ihr Herrn ehrlichen Bürger die Unsern unter euch behandelt, behandeln wir die euren unter uns. Das Gesetz, das bei euch für die Landstreicher gilt, gilt bei den Landstreichern für euch. Ist es ungerecht, so ist es eure Schuld. Bisweilen muß man die Fratze eines ehrlichen Mannes über dem hanfenen Halsbande sehen. Dadurch wird das Halsband anständig. Wohlan, Freund, verteile deine Lumpen vergnügt unter die Damen. Ich lasse dich hängen, die Gauner zu vergnügen, und du magst ihnen deine Börse zum Vertrinken geben. Willst du noch eine Mummerei machen, so ist dort in der Büchse ein guter Gott-Vater von Stein, den wir in der Kirche St. Pierre aux Bœufs stahlen. Du hast noch vier Minuten, ihm deine Seele an den Hals zu werfen.“
Die Rede war furchtbar. – „Schön gesagt, bei meiner Seele! Clopin Trouillefou predigt wie der Papst, der heilige Vater“, rief der Kaiser von Galiläa, indem er seinen Krug zerbrach.
„Ihr gnädigen Herrn Kaiser und Könige“, sagte Gringoire kalten Blutes (ich weiß nicht, weshalb ein festerer Mut in seiner Seele Wurzel faßte), „daran denkt ihr nicht. Ich heiße Peter Gringoire und bin der Dichter, von dem man heute morgen eine Moralität aufgeführt hat.“
„So bist du es, Meister?“ sagte Clopin. „Ich war auch dabei; nun, Kamerad, weil du uns heute morgen langweiltest, ist das ein Grund, dich heute abend nicht zu hängen?“
Ich werde mich schwerlich aus der Schlinge ziehen, dachte Gringoire. Dennoch versuchte er noch eine Anstrengung. „Ich sehe nicht ein“, sagte er, „weshalb man die Dichter nicht zu den Landstreichern rechnet. Äsop war Vagabund, Homer ein Bettler, Merkur ein Dieb …“ – „Ich glaube“, unterbrach ihn Clopin, „du willst uns mit deinem Kauderwelsch zum besten haben. Zum Teufel! Laß dich hängen und mache keine Umstände.“
„Gnade, gnädiger Herr König von Thunes“, erwiderte Gringoire, das Terrain Schritt für Schritt verteidigend. „Es ist der Mühe wert … Einen Augenblick … Hört mich … Ihr werdet mich nicht verurteilen, ohne mich zu hören …“
Trouillefou gab ein Zeichen, und der Herzog, der Kaiser, die Würdenträger umringten ihn im Halbkreise, dessen Mittelpunkt Gringoire bildete, den die drei Gauner noch immer hart angepackt hielten.
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