Daher war seine Zunge, wenn er sprechen mußte, schwerfällig und ungeschickt, gleich einer Tür mit verrosteten Angeln.

In einem mißgestalteten Körper verkrüppelt der Geist. Quasimodo fühlte kaum wie sich in seinem Innern die nach seinem Bilde geformte Seele regte. Alle Eindrücke erlitten eine beträchtliche Brechung, bevor sie zu seinem Denkvermögen gelangten. Sein Gehirn war ein sonderbarer Vermittler; alle Ideen, welche es durchzogen, verließen es verzerrt. Der Widerschein, der aus dieser Brechung hervorging, war notwendigerweise auseinandergehend und abweichend. So erzeugten sich tausende optische Täuschungen, tausend Verirrungen des Urteils, tausend Abwege, auf denen seine Gedanken bald wahnsinnig, bald blödsinnig umherschwärmten.

Die erste Wirkung dieser unheilvollen Organisation war die Verwirrung seines Blicks. Nie erhielt er einen unmittelbaren Eindruck von den Dingen. Die äußere Welt erschien ihm bei weitem ferner als uns. Die zweite Wirkung seines Unglücks war Bosheit. Boshaft war er, weil er wild war; wild war er, weil er häßlich war. In jener Natur lag ebensowohl eine Logik, als in der unseren. Auch seine außerordentlich entwickelte Kraft war Ursache seiner Bosheit. Malus puer robustus*, sagt Hobbes. Übrigens muß man ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen. Bosheit war ihm nicht angeboren. Er fühlte sie schon bei seinen ersten Schritten unter Menschen; denn er ward bespien, beschimpft, zurückgestoßen. Das Wort des Menschen war für ihn Spott oder Fluch. Als er aufwuchs, fand er sich nur von Haß umringt; er nahm ihn auf, wie er war, und erlangte allgemeine Bosheit; er bemächtigte sich der Waffe, mit der man ihn verwundete.

* Lateinisch: Ein böser Knabe ist stark.

Übrigens wandte er sein Antlitz nur ungern Menschen zu; ihm genügte die Kathedrale. Sie war mit Gestalten aus Marmor, Königen, Bischöfen, Heiligen, bevölkert, die ihm wenigstens nicht ins Gesicht lachten und auch für ihn einen ruhigen, wohlwollenden Blick hatten. Die Statuen der Ungeheuer und Dämonen hegten gegen ihn keinen Haß. Er glich ihnen zu sehr. Die Heiligen waren seine Freunde und segneten ihn; die Ungeheuer waren seine Freunde und bewachten ihn. Auch hatte er mit ihnen langdauernde Herzensergießungen; bisweilen brachte er ganze Stunden, vor einer der Statuen niedergekauert, damit zu, mit ihr einsam zu schwatzen. Kam ein anderer hinzu, so floh er gleich einem Liebhaber, den man auf einer Serenade überrascht.

Die Kathedrale war seine Welt, und in dieser liebte er vor allem die Glocken. Sie weckten seine Seele, breiteten ihre armen, in die Höhlen gezwängten Flügel aus und machten ihn bisweilen glücklich. Mit ihnen sprach er, liebte sie, liebkoste sie und begriff sie. Lieben doch Mütter das Kind am meisten, das ihnen die heftigsten Schmerzen erregte.

Allerdings war ihre Stimme die einzige, die er noch vernehmen konnte. Deshalb hatte die größte Glocke den meisten Anspruch auf seine Liebe. Sie zog er unter allen lärmenden Töchtern in der Familie vor, die an Festtagen ihn umrauschte. Die große Glocke hieß Marie.