Die gebraßten Rahen ließen erkennen, daß die Besatzung alles getan hatte, gegen den Wind aufzukommen. Jedenfalls war es dazu aber zu spät gewesen, denn später lag das Fahrzeug gestrandet auf der Sandbank.
Was dessen Kapitän und Mannschaft anging, war man nur auf Vermutungen angewiesen. Höchst wahrscheinlich aber hatten sie, als sie sich durch Wind und Strömung auf eine gefährliche, klippenreiche Küste zu getrieben sahen, das große Boot aufs Meer gesetzt, in der Annahme, daß ihr Schiff an den Felsen zerschellen würde und sie also Gefahr liefen, bis zum letzten Mann elend unterzugehen. Ein beklagenswerter Irrtum. Wären sie an Bord geblieben, so wären der Kapitän und seine Leute heil und gesund davongekommen. Jetzt war aber gar nicht zu bezweifeln, daß sie umgekommen waren, da ihr Boot zwei Seemeilen weit im Nordosten kieloben schwankte und vom Winde nach der Franklinbai getrieben wurde.
Da das Meer eben noch sank, bot es keine Schwierigkeiten, zur Goelette zu gelangen. Vom Kap Saint-Barthelemy aus konnte man von einem Felsblock zum andern bis zu der kaum eine halbe Seemeile entfernten Strandungsstelle vordringen. Das taten denn auch Kongre und Carcante in Begleitung zweier ihrer Gefährten. Die übrigen blieben am Fuße des Steilufers auf Beobachtung zurück, um zu sehen, ob sie vielleicht einen Überlebenden vom Schiffe entdeckten.
Als Kongre und seine Begleiter die Sandbank betraten, lag die Goelette vollständig auf dem Trocknen. Da das Wasser bei der nächsten Flut aber um sieben bis acht Fuß steigen mußte, wurde das Fahrzeug voraussichtlich wieder flott, wenn es nicht unten am Rumpfe geborsten war.
Kongre hatte sich nicht getäuscht, als er die Tragfähigkeit des Schiffes etwa auf hundertsechzig Tonnen abschätzte. Er ging darum herum und las, vor dessen Stern tretend, den Namen ›Maule Valparaiso‹.
Ein chilenisches Fahrzeug war es also, das in der Nacht vom 22. zum 23. Dezember an der Stateninsel gestrandet war.
»Na, das kommt uns ja recht gelegen! rief Carcante.
– Vorausgesetzt, daß die Goelette kein Leck im Bauche hat, meinte einer der Leute.
– Ob ein Leck oder eine andre Havarie… das läßt sich allemal ausbessern,« begnügte sich Kongre zu antworten.
Er besichtigte darauf den Rumpf an der freiliegenden Seite. An den Plankenfugen schien dieser nicht gelitten zu haben. Der in den Sand etwas eingesunkene Vordersteven zeigte ebenfalls keine Beschädigung, so wenig wie der Hintersteven, und an diesem hing auch das Steuerruder noch in seinen Angeln. Über den auf der Sandbank ruhenden Teil, der ja nicht unmittelbar besichtigt werden konnte, ließ sich vorläufig freilich nichts sagen. Wenn die Flut zwei Stunden lang gestiegen war, würde Kongre schon erkennen können, wie es mit diesem stand.
»An Bord!« sagte er kurz.
Wenn die stark geneigte Lage des Schiffes auch ein Erklettern an Backbord erleichterte, so verhinderte sie es doch, über das Deck hin zu gehen, so daß sich alle, nur an der Reling festhaltend, hinziehen mußten. Kongre und die übrigen gelangten so bis an die Rüsten des Großmastes, wo sie zunächst stehen blieben.
Die Strandung konnte kaum mit einem heftigeren Aufschlagen erfolgt sein, denn außer einigen nicht festgebundnen Spieren war alles an seinem Platze. Die Goelette, die nicht besonders seine Linien und wenig hervortretende Bauchstücke hatte, lag gar nicht übermäßig schief und mußte sich bei Hochwasser allein aufrichten, wenn sie an den lebenswichtigen, d. h. bis zur Schwimmlinie eintauchenden Teilen kein Leck hatte.
Kongres erste Sorge war es nun, bis zum Deckhause vorzudringen, dessen Tür er ohne Schwierigkeiten öffnete. In der gemeinsamen Kajüte fand er die Kabine des Kapitäns. Gegen die Wand gestemmt, betrat er den kleinen Raum, holte die Schiffspapiere aus dem Schubkasten eines Wandschrankes und ging nach dem Deck zurück, wo Carcante ihn erwartete.
Beide besichtigten die Mannschaftsrolle und erfuhren daraus, daß die im Hafen von Valparaiso beheimatete Goelette ›Maule‹ von hundertsiebenundfünfzig Tonnen, Kapitän Pailha, sechs Mann Besatzung gehabt hatte, und am 23. November unter Ballast mit der Bestimmung nach den Falklandsinseln ausgelaufen war.
Nach glücklicher Umschiffung des Kaps Horn wollte die ›Maule‹ also in die Le Mairestraße einsegeln, als sie auf dem klippenreichen Strande der Stateninsel verunglückte. Weder der Kapitän Pailha noch einer seiner Leute hatten sich bei dem Schiffbruche retten können, denn wenn auch nur einer von ihnen mit dem Leben davongekommen wäre, hätte er unbedingt auf dem Kap Barthelemy Zuflucht gesucht. Seit den zwei Stunden, wo es jetzt schon wieder hell war, war aber noch keiner wieder sichtbar geworden.
Wie erwähnt, führte die Goelette keine Ladung, da sie sich unter Ballast nach den Maluinen begeben wollte. Die Hauptsache war aber doch, daß Kongre ein Fahrzeug in die Hände bekam, auf dem er die Insel mit seinen geraubten Schätzen verlassen konnte, und diese Gelegenheit war ihm ja nun geboten, wenn es gelang, die ›Maule‹ wieder flott zu machen.
Um den Frachtraum zu besichtigen, wäre es nötig gewesen, den Ballast von einer Stelle zur andern zu schaffen.
Dieser Ballast bestand aus Stücken alten Eisens, die ohne Ordnung in den Raum hinuntergeworfen waren. Ihn ganz zu beseitigen, hätte eine gewisse Zeit beansprucht und die Goelette wäre doch zu schutzlos gewesen, wenn der Wind von der Seeseite her auffrischte. Zunächst erschien es daher angezeigt, sie von der Sandbank abzubringen, sobald sie schwimmen würde. Die Flut mußte sich bald bemerkbar machen und nach wenigen Stunden würde schon Hochwasser sein.
So sagte Kongre denn zu Carcante:
»Wir wollen alles bereit machen, die Goelette wegzubugsieren, sobald genug Wasser unter dem Kiel steht.
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