Der Rumpf hat kein Leck!

– Achtung! Zum Antreten am Spill!« befahl Kongre.

Die Kolderstöcke (dicke Pfähle zum Drehen des Spills) waren schon bereit; die Leute erwarteten nur den Befehl, sie in Bewegung zu setzen.

An die Schanzkleidung gelehnt, beobachtete Kongre die Flut, die nun schon seit dritthalb Stunden im Steigen war. Der Vordersteven wurde allmählich gehoben und auch der vordere Teil des Kiels lag nicht mehr auf dem Grunde auf. Die Hieling tauchte allerdings noch in den Sand ein und das Steuer ließ sich noch nicht frei bewegen. Jedenfalls ging noch eine Stunde darüber hin, ehe das Hinterteil des Fahrzeugs flott wurde.

Kongre wünschte die Abschleppung möglichst zu beschleunigen, und während er auf dem Vorderdeck stehen blieb, rief er:

»Ans Spill! Drehen… drehen!«

So fest sich die Leute aber auch gegen die Kolderstöcke stemmten, so vermochten sie dadurch doch nur, die Kette straffer zu spannen, der Steven wendete sich jedoch noch nicht dem Meere zu.

»Fest! Fest drücken!« mahnte Kongre.

 

 »Nun fest dran, Kinder!« rief Kongre. (S. 66.)

»Nun fest dran, Kinder!« rief Kongre. (S. 66.)

 

Die Befürchtung lag nahe, daß der Anker dadurch ausgehoben werden könnte, und es mußte jetzt schwierig sein, ihn wieder einzusenken.

Die Goelette hatte sich inzwischen völlig aufgerichtet, und Carcante, der durch den ganzen Frachtraum ging, überzeugte sich, daß kein Wasser dahin eingedrungen war.

War also irgendeine Havarie vorhanden, so hielten doch die Planken an dem eintauchenden Teile des Rumpfes fest zusammen. Das ließ auch hoffen, daß die ›Maule‹ weder bei der Strandung selbst, noch in den zwölf Stunden, wo sie auf dem Sande gelegen hatte, ernstlicher beschädigt worden wäre. Unter diesen Umständen konnte der Aufenthalt in der Pinguinbucht nicht von langer Dauer werden.

Am Nachmittag sollte das Fahrzeug beladen werden und am folgenden Tag würde es klar sein, wieder in See zu gehen. Der Wind versprach die Fahrt der ›Maule‹ zu begünstigen, ob diese nun in die Le Mairestraße einlief oder an der Südküste der Stateninsel hin steuerte, um nach dem Atlantischen Meere zu kommen.

Gegen neun Uhr sollte der höchste Wasserstand erreicht sein, zur Zeit der Mondviertel ist die Fluthöhe aber, wie früher erwähnt, immer nur eine mäßige. Da die Goelette aber geringen Tiefgang hatte, ließ sich annehmen, daß sie doch flott werden würde. Wirklich fing das Hinterteil gegen acht Uhr an, sich langsam zu erheben. Die ›Maule‹ drehte sich, ohne jede Gefahr, bei dem ruhigen Meere auf der Sandbank noch einmal festzulaufen.

Nach Prüfung der Sachlage meinte Kongre, daß das Abschleppen unter den jetzigen günstigeren Umständen wieder versucht werden könnte. Auf seinen Befehl hin begannen die Leute nochmals, das Gangspill zu drehen, und als sie etwa ein Dutzend Faden Kette eingezogen hatten, wendete sich der Vorderteil der ›Maule‹ endlich dem Meere zu. Der Anker hatte gut gehalten. Seine Klauen hatten sich fest in Zwischenräume der Felsblöcke eingezwängt und wären jedenfalls eher gebrochen, als dem Zuge des Spills nachzugeben.

»Nun fest dran, Kinder!« rief Kongre, die Leute anfeuernd.

Alle griffen tüchtig zu, selbst Carcante griff mit an, während Kongre, über die Reling hinausgebeugt, das Heck der Goelette im Auge behielt.

Noch ging die Sache etwas langsam von statten; die hintere Kielhälfte knirschte noch laut beim Streifen über den Sand.

Kongre und die andern fühlten sich dadurch nicht wenig beunruhigt. Das Wasser stieg nur noch zwanzig Minuten lang an, und die ›Maule‹ mußte entweder vorher ganz frei schwimmen oder sie blieb an dieser Stelle bis zur nächsten Flut festgebannt. Noch weitere zwei Tage nahm aber die Fluthöhe ein wenig ab; erst nach achtundvierzig Stunden sollte sie wieder langsam anwachsen.

Jetzt war der Augenblick für eine letzte Anstrengung gekommen. Man wird sich wohl vorstellen können, wie ärgerlich, ja wie wütend die Leute wurden, sich bisher zur Ohnmacht verurteilt zu sehen. Ein Schiff unter sich zu haben, nach dessen Besitz sie schon so lange begierig waren, das ihnen Freiheit bringen, vielleicht Straflosigkeit gewährleisten sollte, und das nicht von einer Sandbank losreißen zu können!

Da wetterten und fluchten sie in gottloser Weise, während alle am Gangspill arbeiteten, mit der Befürchtung, daß der Anker brechen oder herausgerissen werden könnte. Mußte in diesem Falle doch die Ebbe am Nachmittage abgewartet werden, um den Anker aufs neue anzulegen und ihm vielleicht einen zweiten hinzuzufügen. Wer konnte aber wissen, was dann in vierundzwanzig Stunden geschah und ob die atmosphärischen Verhältnisse dann noch so günstig wie jetzt wären?

Im Nordosten zogen schon einzelne, ziemlich dicke Wolken heraus. Hielten sie sich auch ferner auf dieser Seite, so wurde die Lage des Schiffes nicht verschlechtert, da die Sandbank unter dem Schutze des steilen Felsenufers lag. Das Meer konnte aber immerhin stark aufgewühlt werden, und der Wogenschlag vollendete dann vielleicht, was die Strandung in der vergangnen Nacht begonnen hatte.

Nordostwinde erschwerten aber, selbst wenn sie nur als schwache Brise auftraten, die Fahrt in der ziemlich engen Wasserstraße. Statt mit voll geschwellten Segeln dahin zu gleiten, mußte sich die ›Maule‹ vielleicht mehrere Tage dicht am Winde halten, und bei jeder Seefahrt kann eine Verzögerung immer die ernstesten Folgen haben.

Das Meer hatte jetzt fast den höchsten Stand erreicht und binnen wenigen Minuten mußte die Ebbe einsetzen. Augenblicklich war die ganze Sandbank überflutet, nur der oberste Teil einzelner Klippen ragte über die Wasserfläche auf. Vom Kap Saint-Barthelemy war die äußerste Spitze nicht mehr sichtbar, und am Ufer lag nur die letzte, von der Flut angespülte Sandlinie trocken.

Da machte sich der Unmut der Leute aufs neue in Flüchen und Verwünschungen Luft. Erschöpft und außer Atem wollten sie schon einen Versuch aufgeben, der zu nichts zu führen versprach. Wütenden Blickes und schäumend vor Zorn stürmte Kongre auf sie zu.