Dann war ihr Leib so voll vornehmer Sachen, daß er kaum noch zusammenhielt. Sie blickte träg strahlend um sich, und obgleich sie niemals sehr gesprächig war, schloß sie in diesem Zustand gerne rückschauende Betrachtungen an die Kostbarkeiten an, die sie verspeist hatte. Wenn sie Polmone à la Torlogna oder Aepfel à la Melville sagte, streute sie es hin, wie ein anderer gesucht beiläufig erwähnt, daß er mit dem Fürsten oder dem Lord gleichen Namens gesprochen habe.

Weil das öffentliche Auftreten mit Leona nicht gerade nach Ulrichs Geschmack war, verlegte er ihre Fütterung gewöhnlich in sein Haus, wo sie den Hirschgeweihen und Stilmöbeln zuspeisen mochte. Sie aber sah sich dadurch um die gesellschaftliche Genugtuung gebracht, und wenn der Mann ohne Eigenschaften durch die unerhörtesten Gerichte, die ein Garkoch liefern kann, sie zu einsamer Unmäßigkeit reizte, empfand sie sich genau so mißbraucht wie eine Frau, die bemerkt, daß sie nicht um ihrer Seele willen geliebt wird. Sie war schön und eine Sängerin, sie brauchte sich nicht zu verstecken, und jeden Abend hingen an ihr die Begierden einiger Dutzend Männer, die ihr recht gegeben haben würden. Dieser Mensch aber, obgleich er mit ihr allein sein wollte, brachte es nicht einmal fertig, ihr zu sagen: Jesus Maria, Leona, dein A… macht mich selig! und sich den Schnurrbart vor Appetit zu lecken, wenn er sie bloß ansah, wie sie es von ihren Kavalieren gewohnt war. Leona verachtete ihn ein bißchen, obgleich sie natürlich treu an ihm festhielt, und Ulrich wußte das. Er wußte übrigens wohl, was sich in Leonas Gesellschaft gehörte, aber die Zeit, wo er so etwas noch über die Lippen gebracht hätte und seine Lippen noch einen Schnurrbart trugen, lag zu weit zurück. Und wenn man etwas nicht mehr zuwege bringt, das man früher gekonnt hat, es mag noch so dumm gewesen sein, so ist das doch genau so, wie wenn der Schlagfluß in die Hand und in das Bein gefahren ist. Die Augäpfel schlotterten ihm, wenn er seine Freundin ansah, der Speise und Trank zu Kopf gestiegen waren. Man konnte ihre Schönheit vorsichtig von ihr abheben. Es war die Schönheit der Herzogin, die Scheffels Ekkehard über die Schwelle des Klosters getragen hat, die Schönheit der Ritterin mit dem Falken am Handschuh, die Schönheit der sagenumwobenen Kaiserin Elisabeth mit dem schweren Kranz von Haar, ein Entzücken für Leute, die alle schon tot waren. Und um es genau zu sagen, sie erinnerte auch an die göttliche Juno, aber nicht an die ewige und unvergängliche, sondern an das, was eine vergangene oder vergehende Zeit junonisch nannte. So war der Traum des Seins nur lose über die Materie gestülpt. Leona aber wußte, daß man für eine vornehme Einladung auch dann etwas schuldig ist, wenn sich der Gastgeber nichts wünscht, und daß man sich nicht bloß anglotzen lassen dürfe; so stand sie denn, sobald sie dessen wieder fähig war, auf und begann gelassen, aber mit lautem Vortrag zu singen. Ihrem Freund kamen solche Abende vor wie ein herausgerissenes Blatt, belebt von allerhand Einfällen und Gedanken, aber mumifiziert, wie es alles aus dem Zusammenhang Gerissene wird, und voll von jener Tyrannis des nun ewig so Stehenbleibenden, die den unheimlichen Reiz lebender Bilder ausmacht, als hätte das Leben plötzlich ein Schlafmittel erhalten, und nun steht es da, steif, voll Verbindung in sich, scharf begrenzt und doch ungeheuer sinnlos im Ganzen.

7

In einem Zustand von Schwäche zieht sich Ulrich eine neue Geliebte zu

EINES MORGENS kam Ulrich nachhaus und war übel zugerichtet. Seine Kleider hingen zerrissen von ihm, er mußte feuchte Bauschen auf den zerschundenen Kopf legen, seine Uhr und seine Brieftasche fehlten. Er wußte nicht, ob die drei Männer, mit denen er in Streit geraten war, sie geraubt hatten oder ob sie ihm während der kurzen Zeit, wo er bewußtlos auf dem Pflaster lag, von einem stillen Menschenfreund gestohlen worden waren. Er legte sich zu Bett, und indes die matten Glieder sich wieder behutsam getragen und umhüllt fühlten, überlegte er noch einmal dieses Abenteuer.

Die drei Köpfe waren plötzlich vor ihm gestanden; er mochte in der spät-einsamen Straße einen der Männer gestreift haben, denn seine Gedanken waren zerstreut und mit etwas anderem beschäftigt gewesen, aber diese Gesichter waren schon vorbereitet auf Zorn und traten verzerrt in den Kreis der Laterne. Da hatte er einen Fehler begangen. Er hätte sofort zurückprallen müssen, als fürchte er sich, und dabei fest mit dem Rücken gegen den Kerl stoßen, der hinter ihn getreten war, oder mit dem Ellenbogen gegen seinen Magen, und noch im selben Augenblick trachten müssen, zu entwischen, denn gegen drei starke Männer gibt es kein Kämpfen. Statt dessen hatte er einen Augenblick gezögert. Das machte das Alter; seine zweiunddreißig Jahre; Feindseligkeit und Liebe brauchen da schon etwas mehr Zeit. Er wollte nicht glauben, daß die drei Antlitze, die ihn mit einemmal in der Nacht mit Zorn und Verachtung anblickten, es nur auf sein Geld abgesehen hatten, sondern gab sich dem Gefühl hin, daß da Haß gegen ihn zusammengeströmt und zu Gestalten geworden war; und während die Strolche ihn schon mit gemeinen Worten beschimpften, freute ihn der Gedanke, daß es vielleicht gar keine Strolche seien, sondern Bürger wie er, bloß etwas angetrunken und von Hemmungen befreit, die an seiner vorübergleitenden Erscheinung hängengeblieben waren und einen Haß auf ihn entluden, der für ihn und für jeden fremden Menschen stets vorbereitet ist wie das Gewitter in der Atmosphäre. Denn etwas Ähnliches fühlte auch er mitunter. Ungemein viele Menschen fühlen sich heute in bedauerlichem Gegensatz stehen zu ungemein viel anderen Menschen. Es ist ein Grundzug der Kultur, daß der Mensch dem außerhalb seines eigenen Kreises lebenden Menschen aufs tiefste mißtraut, also daß nicht nur ein Germane einen Juden, sondern auch ein Fußballspieler einen Klavierspieler für ein unbegreifliches und minderwertiges Wesen hält. Schließlich besteht ja das Ding nur durch seine Grenzen und damit durch einen gewissermaßen feindseligen Akt gegen seine Umgebung; ohne den Papst hätte es keinen Luther gegeben und ohne die Heiden keinen Papst, darum ist es nicht von der Hand zu weisen, daß die tiefste Anlehnung des Menschen an seinen Mitmenschen in dessen Ablehnung besteht. Das dachte er natürlich nicht so ausführlich; aber er kannte diesen Zustand einer ungewissen, atmosphärischen Feindseligkeit, von dem in unserem Menschenalter die Luft voll ist, und wenn sich das einmal plötzlich in drei unbekannten, nachher wieder auf ewig verschwindenden Männern zusammenzieht, um wie Donner und Blitz auszuschlagen, so ist das fast eine Erleichterung.

Immerhin schien er doch angesichts dreier Strolche etwas zu viel gedacht zu haben. Denn als ihn nun der erste ansprang, flog er zwar zurück, da ihm Ulrich mit einem Schlag aufs Kinn zuvorgekommen war, aber der zweite, der blitzschnell danach hätte erledigt werden müssen, wurde von der Faust nur noch gestreift, denn inzwischen hatte ein Hieb von hinten mit einem schweren Gegenstand Ulrichs Kopf beinahe zersprengt.