Ich dankte ihr für ihre Sorgfalt. Schon in den nächsten Tagen richtete ich mich in der neuen Wohnung ein.
Den Winter benutzte ich zum Teile mit Vorbereitungen, um im nächsten Sommer wieder große Wanderungen machen zu können. Ich hatte mir vorgenommen, nun endlich einmal das Hochgebirge zu besuchen und in ihm so weit herum zu gehen, als es mir zusagen würde.
Als der Sommer gekommen war, fuhr ich von der Stadt auf dem kürzesten Wege in das Gebirge. Von dem Orte meiner Ankunft aus wollte ich dann in ihm längs seiner Richtung von Sonnenaufgang nach Sonnenuntergang zu Fuße fort wandern. Ich begab mich sofort auf meinen Weg. Ich ging den Tälern entlang, selbst wenn sie von meiner Richtung abwichen und allerlei Windungen verfolgten. Ich suchte nach solchen Abschweifungen immer meinen Hauptweg wieder zu gewinnen. Ich stieg auch auf Bergjoche, und ging auf der entgegengesetzten Seite wieder in das Tal hinab. Ich erklomm manchen Gipfel und suchte von ihm die Gegend zu sehen und auch schon die Richtung zu erspähen, in welcher ich in nächster Zeit vordringen würde. Im ganzen hielt ich mich stets, soweit es anging, nach dem Hauptzuge des Gebirges, und wich von der Wasserscheide so wenig als möglich ab.
In einem Tale an einem sehr klaren Wasser sah ich einmal einen toten Hirsch. Er war gejagt worden, eine Kugel hatte seine Seite getroffen, und er mochte das frische Wasser gesucht haben, um seinen Schmerz zu kühlen. Er war aber an dem Wasser gestorben. Jetzt lag er an demselben so, daß sein Haupt in den Sand gebettet war und seine Vorderfüße in die reine Flut ragten. Ringsum war kein lebendiges Wesen zu sehen. Das Tier gefiel mir so, daß ich seine Schönheit bewunderte und mit ihm großes Mitleid empfand. Sein Auge war noch kaum gebrochen, es glänzte noch in einem schmerzlichen Glanze, und dasselbe, so wie das Antlitz, das mir fast sprechend erschien, war gleichsam ein Vorwurf gegen seine Mörder. Ich griff den Hirsch an, er war noch nicht kalt. Als ich eine Weile bei dem toten Tiere gestanden war, hörte ich Laute in den Wäldern des Gebirges, die wie Jauchzen und wie Heulen von Hunden klangen. Diese Laute kamen näher, waren deutlich zu erkennen, und bald sprang ein Paar schöner Hunde über den Bach, denen noch einige folgten. Sie näherten sich mir. Als sie aber den fremden Mann bei dem Wilde sahen, blieben einige in der Entfernung stehen und bellten heftig gegen mich, während andere heulend weite Kreise um mich zogen, in ihnen dahin flogen, und in Eilfertigkeit sich an Steinen überschlugen und überstürzten. Nach geraumer Zeit kamen auch Männer mit Schießgewehren. Als sich diese dem Hirsche genähert hatten und neben mir standen, kamen auch die Hunde herzu, hatten vor mir keine Scheu mehr, beschnupperten mich, und bewegten sich, und zitterten um das Wild herum. Ich entfernte mich, nachdem die Jäger auf dem Schauplatze erschienen waren, sehr bald von ihm.
Bisher hatte ich keine Tiere zu meinen Bestrebungen in der Naturgeschichte aufgesucht, obwohl ich die Beschreibungen derselben eifrig gelesen und gelernt hatte. Diese Vernachlässigung der leiblichen wirklichen Gestalt war bei mir so weit gegangen, daß ich, selbst da ich einen Teil des Sommers schon auf dem Lande zubrachte, noch immer die Merkmale von Ziegen, Schafen, Kühen aus meinen Abbildungen nicht nach den Gestalten suchte, die vor mir wandelten.
Ich schlug jetzt einen andern Weg ein. Der Hirsch, den ich gesehen hatte, schwebte mir immer vor den Augen. Er war ein edler gefallner Held, und war ein reines Wesen. Auch die Hunde, seine Feinde, erschienen mir berechtigt wie in ihrem Berufe. Die schlanken springenden und gleichsam geschnellten Gestalten blieben mir ebenfalls vor den Augen. Nur die Menschen, welche das Tier geschossen hatten, waren mir widerwärtig, da sie daraus gleichsam ein Fest gemacht hatten.
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