Das war der Windbach, der seine Wasser herunterstürzte durch die enge Klamm.

In dem jungen Reiter erloschen die Bilder des Erinnerns. Er mußte scharf nach der Straße spähen, die zwischen den hohen, schwarzen Waldmauern kaum noch zu sehen war.

Nun kam die freie Höhe der Strub. Kleine, rötliche Lichter, weit zerstreut durch das finstere Tal hin – große, funkelnde Sterne im tiefen Blau des Himmels; und zwischen den Flammen der Höhe und den trüben Laternchen des tiefen Lebens, das zu schlummern anfing, dehnten sich die schwarzgrauen Wälle der Berge in die Ferne, vom klobigen Untersberg bis hinüber zum scharfen Zahn des Watzmann.

Das erste Haus von Berchtesgaden. Der Reiter mußte den Pongauer zu ruhigem Gange zwingen, weil das Pflaster der Marktstraße begann. Zwischen den groben Steinen drohten Löcher, die für einen Pferdehuf wie Fallen waren.

Die meisten Häuser standen schon in schlafendem Dunkel. Nur selten ein Licht. Bei einer Wende der engen Gasse sah man in lauschiger Ecke ein schmales, hohes Gebäude, aus dessen geschlossenen Läden zu ebener Erde es rötlich herausdunstete, das Badhaus. Im zweiten Stockwerk waren zwei Fenster offen und hell erleuchtet. Da droben war heiteres Lachen. Man hörte das Geklimper einer Laute und eine trällernde Mädchenstimme. Hier wohnte die Pfennigfrau eines Chorherrn. Noch immer war das Stift gelähmt unter schweren Schulden, aber so viel an Einkünften, die aus Holzschlägen, Salzgefäll, Steuern, Holdenzins und Erbrechtskäufen erflossen, hatte es noch immer, daß man sich das Leben heiter machen konnte.

Die Gasse wand sich, und es kam der stille Marktplatz. Schulter an Schulter standen da die schmucken Häuser der Handwerker und Kaufleute, mit schweren Eisenstangen und Hängschlössern vor den Gewölben.

Von den Mauern widerhallte der klirrende Huftritt des Pongauers. In der Tiefe des Marktplatzes, hinter dem schwarzen Umriß eines steinernen Brunnens, flackerte ein Pfannenfeuer vor der Pförtnerstube des Stiftstores.

Es kamen zwei Wächter, die halblaut miteinander schwatzten. Der eine von den beiden, ein magerer, baumlanger Spießknecht, grüßte den Reiter: »Schön gute Nacht, Herr Magister!«

Der dankte: »Vergelts, Marimpfel!« Und eine kleine Eitelkeit erwachte in ihm: »Aber weißt du, der Magister liegt in der Truhe. Jetzt mußt du Doktor sagen.«

»Gotts Teufel und Bohnenstroh!« Ein breites Lachen. »Da tu ich Glück ansagen, Edel Herr Doktor Someiner!« Wieder dieses Lachen. »Sucht sich ein Kind die richtig Mutter aus, so wird das Leben ein lustigs Aufwärtsschupfen.«

Der Huftritt des Pongauers klirrte. Und von irgendwo aus der Luft klang eine besorgte Frauenstimme: »Bub, bist du's? Bist du's?«

»Wohl, Mutter!«

»Endlich! Gott sei Dank! – Vater, so schau doch! Hast wieder umsonst gebrummt. Der Bub ist doch lang schon da.« Die Stimme erlosch, und man hörte das Geklapper eines Schubfensters, das herunterfiel.

Der Pongauer blieb vor einem dunklen Tore stehen, und der Reiter stieg aus dem Sattel.

Lampert Someiner, Magister artium und Doktor des kanonischen und gemeinen Rechts, hatte das Haus seines Vaters erreicht, des Amtmanns zu Berchtesgaden.

Der eichene Torflügel rasselte auf. Ein Knecht mit einem Windlicht erschien und nahm den dampfenden Moorle in Empfang. Und Lampert sprang über die Schwelle mit dem flinken Schritt des Sechsundzwanzigjährigen, der sich der Heimat freut und weiß: Jetzt hab ich mein Tischleindeckdich!

Ein Flur mit gewölbter Decke, erleuchtet von einer kleinen Hirschtalglampe. Eine Tür – die Türe der Amtsstube – war schwer vergittert. Über ein steiles, enggemauertes Trepplein gings hinauf. Und durch den gleichen Flur, in dem diese Herrentreppe war, wurde der Pongauer zu seinem Stall geführt.

Oben auf der Treppe stand Mutter Someiner mit hoch erhobenem Leuchter, dessen Teller einen schwarzen Schatten über die Frau herunterwarf. »Ach, Bub, wie kannst du denn nur so lang ...« Da sah sie den Zustand seiner Kleidung und erschrak. »Um Himmels willen! Bub? Was ist geschehen? Dir?«

»Nichts, Mutter, nichts!« Er lachte. »Der Moorle und ich, wir haben nur ein lützel durch schiechen Honig müssen. Süß ist er nicht gewesen, aber gepickt hat er.