Das hatte die Salbe bewirkt, aber die war auch nicht in der Apotheke zu haben. »Was willst Du mit den Ruten?« fragte Johannes nun seinen Reisekameraden. »Das sind drei schöne Kräuterbesen!« sagte er. »Die liebe ich sehr, denn ich bin ein sonderbarer Mann!« Dann gingen sie noch ein gutes Stück. »Wie der Himmel sich umzieht!« sagte Johannes und zeigte gerade aus. »Das sind erschrecklich dicke Wolken!« »Nein,« sagte der Reisekamerad, »das sind keine Wolken, das sind Berge, die herrlichen, großen Berge, wo man ganz hinauf über die Wolken in die frische Luft gelangt! Glaube mir, das ist herrlich! Bis morgen sind wir sicher schon dort!« Das war nicht so nahe, wie es aussah; sie hatten einen ganzen Tag zu gehen, bevor sie die Berge erreichten, wo die schwarzen Wälder gerade gegen den Himmel aufwuchsen, und wo es Steine gab, gerade so groß als eine ganze Stadt. Das mochte wahrlich eine schwere Anstrengung werden, da hinüberzukommen, aber darum gingen auch Johannes und der Reisekamerad in das Wirtshaus, um auszuruhen und Kräfte zum morgenden Marsche zu sammeln. Unten in der großen Schenkstube im Wirtshause waren viele Menschen versammelt, denn da war ein Mann, der gab ein Puppenspiel; er hatte gerade seine kleine Bühne aufgestellt, und die Leute saßen ringsumher, um die Komödie zu sehen. Ganz vorn aber hatte ein dicker Schlächter Platz genommen, und zwar den allerbesten; sein großer Bullenbeißer, der recht grimmig aussah, saß an seiner Seite und machte große Augen, gerade wie die andern Zuschauer. Nun begann ein niedliches Stück mit einem Könige und einer Königin; die saßen auf dem schönsten Thron, hatten goldene Kronen auf dem Haupte und lange Schleppen an den Kleidern, denn das konnten sie haben. Die niedlichsten Holzpuppen mit Glasaugen und großen Schnurrbärten standen an allen Thüren und machten auf und zu, damit frische Luft in das Zimmer kommen konnte. Es war gerade ein recht hübsches Stück und gar nicht traurig; aber wie die Königin aufstand und über den Fußboden hinging, da � Gott mag wissen, was der große Bullenbeißer sich dachte � machte er, da der dicke Schlächter ihn nicht hielt, einen Sprung in das Theater, nahm die Königin mitten um den Leib, sodaß es knick! knack! ging. Es war ganz erschrecklich! Der arme Mann, der das Stück aufführte, war sehr erschrocken und betrübt über seine Königin, denn es war die allerniedlichste Puppe, die er hatte, und nun hatte ihr der häßliche Bullenbeißer den Kopf abgebissen; aber als die Leute später fortgingen, sagte der Fremde, der mit Johannes gekommen war, daß er sie wieder zurecht machen werde, und dann nahm er seine Flasche hervor und schmierte die Puppe mit der Salbe, womit er der alten Frau geholfen, als sie ihr Bein gebrochen hatte. Sowie die Puppe geschmiert war, wurde sie wieder ganz, ja sie konnte sogar alle ihre Glieder bewegen, man brauchte gar nicht mehr an der Schnur zu ziehen; die Puppe war wie ein lebendiger Mensch, nur daß sie nicht sprechen konnte. Der Mann, der das kleine Puppentheater hatte, wurde sehr froh; nun brauchte er diese Puppe gar nicht mehr zu halten, die konnte ja von selbst tanzen. Das konnte keine der andern. Als es Nacht geworden und alle Leute im Wirtshause zu Bett gegangen waren, da war jemand, der erschrecklich tief seufzte und so lange damit fortfuhr, bis alle aufstanden, um zu sehen, wer es sein könnte. Der Mann, der das Stück gegeben hatte, ging nach seinem kleinen Theater hin, denn dort war es, wo jemand seufzte. Alle Holzpuppen lagen unter einander, der König und alle Trabanten, und die waren es, die so jämmerlich seufzten und mit ihren Glasaugen stierten, denn sie wollten so gern gleich der Königin ein wenig geschmiert werden, damit sie sich auch von selbst ein wenig bewegen könnten. Die Königin legte sich gerade auf die Kniee und streckte ihre prächtige Krone in die Höhe, während sie bat: »Nimm mir diese, aber schmiere meinen Gemahl und meine Hofleute!« Da konnte der arme Mann, der die Komödie und alle Puppen besaß, nicht unterlassen, zu weinen, denn es that ihm wirklich ihretwegen leid. Er versprach sogleich dem Reisekameraden, ihm alles Geld zu geben, was er am nächsten Abend für sein Spiel erhalten werde, wenn er nur vier bis fünf von seinen niedlichsten Puppen schmieren wollte; aber der Reisekamerad sagte, daß er durchaus nichts anderes verlange, als den großen Säbel, den jener an seiner Seite habe, und als er den erhielt, beschmierte er sechs Puppen, die sogleich tanzten, und das so niedlich, daß alle Mädchen, die lebendigen Menschenmädchen, die es sahen, sogleich mittanzten. Der Kutscher und die Köchin tanzten, der Diener und das Stubenmädchen, alle Fremden und die Feuerschaufel und die Feuerzange; aber diese fielen um, als sie die ersten Sprünge machten. Ja, das war eine lustige Nacht. Am nächsten Morgen ging Johannes mit seinem Reisekameraden fort, auf die hohen Berge hinauf und durch die hohen Tannenwälder. Sie kamen so hoch hinauf, daß die Kirchthürme tief unter ihnen zuletzt wie kleine, rote Beeren unten in all' dem Grünen aussahen, und sie konnten weit hin sehen, viele, viele Meilen weit, wo sie nie gewesen waren! So viel Schönes der prächtigen Welt hatte Johannes früher nie gesehen und die Sonne schien warm aus der frischen Luft, er hörte auch zwischen den Bergen die Jäger das Waldhorn so schön und lieblich blasen, daß ihm vor Freude das Wasser in die Augen trat und er nicht unterlassen konnte auszurufen: »Du guter, lieber Gott, ich möchte Dich küssen, weil Du so gut gegen uns alle bist und uns all' die Herrlichkeit, die in der Welt ist, gegeben hast!« Der Reisekamerad stand auch mit gefalteten Händen da und sah über den Wald und die Städte in den warmen Sonnenschein hinaus. Zu gleicher Zeit ertönte es wunderbarlieblich über ihren Häuptern, sie blickten in die Höhe: ein großer, weißer Schwan schwebte in der Luft und sang, wie sie früher nie einen Vogel hatten singen hören. Aber der Gesang wurde schwächer und schwächer, der schöne Vogel neigte seinen Kopf und sank ganz langsam zu ihren Füßen nieder, wo er tot liegen blieb. »Zwei so herrliche Flügel,« sagte der Reisekamerad, »so weiß und groß wie die, welche der Vogel hat, sind Geldes wert, die will ich mitnehmen! Siehst Du nun wohl, daß es gut war, daß ich einen Säbel bekam?« Und so hieb er beide Flügel des toten Schwanes ab, die wollte er behalten. Sie reisten nun viele, viele Meilen weit fort über die Berge, bis sie zuletzt eine große Stadt vor sich sahen, mit hundert Türmen, die wie Silber in der Sonne erglänzten; mitten in der Stadt war ein prächtiges Marmorschloß, mit Gold gedeckt, und hier wohnte der König. Johannes und der Reisekamerad wollten nicht sogleich in die Stadt gehen, sondern blieben im Wirtshause draußen vor der Stadt, damit sie sich putzen konnten, denn sie wollten gut aussehen, wenn sie in die Stadt kamen.