Das Brautpaar saß ganz gedankenvoll, wozu es wohl Ursache hatte, auf dem Fußboden und lehnte sich gegen den Tischfuß. Aber der Sandmann, in den schwarzen Rock der Großmutter gekleidet, traute sie. Als die Trauung vorbei war, stimmten alle Möbel in der Stube folgenden Gesang an, welcher von der Bleifeder geschrieben war; er ging nach der Melodie des Zapfenstreichs.

Das Lied ertönte wie der Wind

Dem Brautpaar Hoch! das sich verbind't;

Sie prangen beide steif und blind,

Da sie von Handschuhleder sind,

:,; Hurrah! Hurrah! ob taub und blind,

Wir singen es im Wetter und Wind! :,:

Und nun bekamen sie Geschenke; aber sie hatten sich alle Eßwaren verbeten, denn sie hatten an ihrer Liebe genug.

»Wollen wir nun eine Sommerwohnung beziehen oder auf Reisen gehen?« fragte der Bräutigam. Die Schwalbe, die viel gereist war, und die Hofhenne, welche fünfmal Küchlein ausgebrütet hatte, wurden zu Rate gezogen. Und die Schwalbe erzählte von den herrlichen, warmen Ländern, wo die Weintrauben groß und schwer hängen, wo die Luft so mild ist und die Berge Farbe haben, wie man sie hier gar nicht an denselben kennt.

»Sie haben doch nicht unsern Grünkohl!« sagte die Henne. »Ich war einen Sommer mit allen meinen Kücheln auf dem Lande, da war eine Sandgrube, in der wir gehen und kratzen konnten, und dann hatten wir Zutritt zu einem Garten mit Grünkohl! O, wie war der grün! Ich kann mir nichts Schöneres denken!«

»Aber ein Kohlstrunk sieht gerade so aus wie der andere,« sagte die Schwalbe, »und dann ist hier oft schlechtes Wetter!«

»Ja, daran ist man gewöhnt!«

»Aber hier ist es kalt, es friert!«

»Das ist gut für den Kohl!« sagte die Henne. »Übrigens können wir es auch warm haben. Hatten wir nicht vor Jahren einen Sommer, so heiß, daß man kaum atmen konnte? Dann haben wir nicht alle die giftigen Tiere, die sie dort haben, und wir sind von Räubern befreit! Der ist ein Bösewicht, der nicht findet, daß unser Land das schönste ist; er verdiente wahrlich nicht hier zu sein!« Und dann weinte die Henne und fuhr fort: »Ich bin auch gereist! Ich bin einmal über zwölf Meilen gefahren! Es ist durchaus kein Vergnügen beim Reisen!«

»Ja, die Henne ist eine vernünftige Frau!« sagte die Puppe Bertha. »Ich halte nichts davon, Berge zu bereisen, denn das geht nur hinauf und dann wieder herunter! Nein, wir wollen nach der Sandgrube hinausziehen und im Kohlgarten spazieren!«

Und dabei blieb es.

 

Sonnabend

 

 

»Bekomme ich nun Geschichten zu hören?« fragte der kleine Friedrich, sobald der Sandmann ihn in den Schlaf gebracht hatte.

»Diesen Abend haben wir nicht Zeit dazu,« sagte der Sandmann und spannte seinen schönsten Regenschirm über ihn auf. »Betrachte nur die Chinesen!« Der ganze Regenschirm sah aus wie eine große chinesische Schale mit blauen Bäumen und spitzen Brücken und mit kleinen Chinesen darauf, die dastanden und mit dem Kopfe nickten. »Wir müssen die ganze Welt zu morgen schön ausgeputzt haben,« sagte der Sandmann; »es ist ja morgen Sonntag. Ich will die Kirchtürme besuchen, um zu sehen, ob die kleinen Kirchkobolde die Glocken polieren, damit sie hübsch klingen; ich will hinaus auf das Feld gehen und sehen, ob die Winde den Staub von Gras und Blätter blasen, und was die größte Arbeit ist, ich will alle Sterne herunterholen, um sie zu polieren. Ich nehme sie in meine Schürze; aber erst muß ein jeder numeriert werden, und die Löcher, worin sie da oben sitzen, müssen auch numeriert werden, damit sie wieder auf den rechten Fleck kommen, sonst würden sie nicht festsitzen und wir würden zu viele Sternschnuppen bekommen, indem der eine nach dem andern herunterpurzeln würde!«

»Hören Sie, wissen Sie was, Herr Sandmann?« sagte ein altes Bild, welches an der Wand hing, wo Friedrich schlief. »Ich bin Friedrichs Urgroßvater; ich danke Ihnen, daß Sie dem Knaben Geschichten erzählen, aber Sie müssen seine Begriffe nicht verdrehen. Die Sterne können nicht heruntergenommen und poliert werden! Die Sterne sind Kugeln, ebenso wie unsere Erde, und das ist gerade das Gute an ihnen.«

»Ich danke Dir, Du alter Urgroßvater,« sagte der Sandmann, »ich danke Dir! Du bist ja das Haupt der Familie, Du bist das Urhaupt, aber ich bin doch älter als Du! Ich bin ein alter Heide; Römer und Griechen nannten mich den Traumgott! Ich bin in die vornehmsten Häuser gekommen und komme noch dahin; ich weiß sowohl mit Geringen wie mit Großen umzugehen! Nun kannst Du erzählen!« Und da ging der Sandmann und nahm seinen Regenschirm mit.

»Nun darf man wohl seine Meinung gar nicht mehr sagen!« brummte das Bild.

Da erwachte Friedrich.

 

Sonntag

 

 

»Guten Abend!« sagte der Sandmann, Friedrich nickte und wandte das Bild des Urgroßvaters gegen die Wand um, damit es nicht, wie gestern, mitspreche.

»Nun mußt Du mir Geschichten erzählen: von den fünf grünen Erbsen, die in einer Schote wohnten, und von dem Hahnenfuß, der dem Hühnerfuße den Hof machte, und von der Stopfnadel, die so vornehm that, daß sie sich einbildete, eine Nähnadel zu sein!«

»Man kann auch des Guten zu viel bekommen!« sagte der Sandmann. »Du weißt wohl, daß ich Dir am liebsten etwas zeige! Ich will Dir meinen Bruder zeigen. Er heißt auch Sandmann, aber er kommt zu niemand öfters als einmal, und zu wem er kommt, den nimmt er mit auf sein Pferd und erzählt ihm Geschichten. Er kennt nur zwei; die eine ist so außerordentlich schön, daß niemand in der Welt sie sich denken kann, und die andere ist so häßlich und greulich - es ist gar nicht zu beschreiben!« Und dann hob der Sandmann den kleinen Friedrich zum Fenster hinauf und sagte: »Da wirst Du meinen Bruder sehen, sie nennen ihn auch den Tod! Siehst Du, er sieht gar nicht so schlimm aus wie in den Bilderbüchern, wo er nur ein Knochengerippe ist! Nein, das ist Silberstickerei, die er auf dem Kleide hat, die schönste Husarenuniform, ein Mantel von schwarzem Sammet fliegt hinten über das Pferd. Sieh, wie er im Galopp reitet!«

Friedrich sah, wie der Sandmann davon ritt und sowohl junge wie alte Leute auf sein Pferd nahm. Einige setzte er vorn, andere hinten auf, aber immer fragte er erst: »Wie steht es mit dem Zeugnisbuch?« - »Gut!« sagten sie allesamt. »Ja, laßt mich selbst sehen!« sagte er, und sie mußten ihm das Buch zeigen; alle die, welche »Sehr gut« und »Ausgezeichnet gut« hatten, kamen vorn auf das Pferd und bekamen die herrliche Geschichte zu hören; die aber, welche »Ziemlich gut« und »Mittelmäßig« hatten, mußten hinten auf und bekamen die greuliche Geschichte; sie zitterten und weinten, sie wollten vom Pferde springen, konnten es aber nicht, denn sie waren sogleich daran festgewachsen.

»Aber der Tod ist ja der prächtigste Sandmann!« sagte Friedrich. »Vor ihm ist mir nicht bange!«

»Das soll auch nicht sein!« sagte der Sandmann. »Sieh nur zu, daß Du ein gutes Zeugnis hast!«

»Ja, das ist lehrreich!« murmelte des Urgroßvaters Bild. »Es hilft doch, wenn man seine Meinung sagt!« Und nun war es zufrieden.

Sieh, das ist die Geschichte vom Sandmann! Nun mag er Dir selbst diesen Abend mehr erzählen!

 

* * *

 

Fußnote

Im Dänischen führt dieses Märchen den Titel »Ole-Luköie«, was wörtlich übersetzt »Ole Augenschließer« heißt, weshalb ich keinen Anstand nahm, den deutschen »Sandmann« dafür zu wählen, wenn dieser auch keine so gemütliche und den Kindern liebe Erscheinung als jener.

* * *

 

Ende

 

 

  

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