Damit sei zufrieden…
Felder hörte zum ersten Male seinem Freund nur halb zu.
Sein Klub hatte ihn hinausgesandt. In seinen Händen lag seine Ehre.
Er durfte ihm keine Schande machen; er mußte siegen—er mußte!—
7
So kam der Sonntag des Festes heran. Franz hatte in der letzten Woche nach der Arbeit des Tages noch allabendlich trainiert. Gestern war er früh zu Bett gegangen, aber er hatte wenig schlafen können.
Am liebsten hätte er am Morgen noch einmal die Strecke geschwommen— nur einmal … aber das wurde ihm natürlich nicht erlaubt. So verging der Vormittag in untätiger Ungeduld. Er aß mäßig und trank fast nichts.
Man hatte in dem Restaurant des Klublokals in der Lindenstraße gegessen und spielte nun gemütlich im Sitzungszimmer einen Kaffeeskat an verschiedenen Tischen. Franz, der keine Karte anrührte, sah wie gewöhnlich zu, aber es wurde ihm diesmal nicht leicht, ruhig zu bleiben. Er ging von Tisch zu Tisch, bis ihn eine plötzliche Müdigkeit überfiel und er vor sich hindruselte.
—Leg' dich doch hin, wir wollen dich schon wecken, wenn es Zeit ist! rief Brüning ihm zu und Franz rollte sich hinter dem großen Tisch auf dem alten, knarrenden Sofa zusammen, auf dem sonst bei den feierlichen Beratungen der Vorsitzende saß. Nach zwei Minuten schlief er wie ein Toter.
Allmählich leerten sich die Tische; man ging zum Fest. Der, an dem
Nagel und Brüning saßen, spielte ruhig weiter.
Um halb vier warf Brüning die Karten zusammen und zog seine goldene
Uhr:
Massenhaft Zeit noch!—Aber wollen doch lieber gehen…
Er und Nagel standen vor dem Sofa, auf dem Franz noch immer schlief.
Er lag da wie ein Kind, und sein Atem ging still und friedlich durch
die etwas geöffneten Lippen. Sicherlich träumte er jetzt von keiner
Niederlage.
Brüning betrachtete ihn mit fast zärtlichem Lächeln.
—Wie ein junger Gott, was?—Und noch das reine Kind!—Aber wecken wir unseren jungen Sieger!
—Er ist es noch nicht, sagte Nagel und rührte den Schlafenden bei der Schulter.
Franz führ in die Höhe, und sein erster Griff war nach der Uhr.
—Aber wir versäumen das Schwimmen, rief er außer sich, als er sah, daß sie bereits über halb vier zeigte.
Die anderen lachten ihn aus, packten ihn in eine Droschke und fuhren mit ihm zum Fest.—
Die enorme Halle des großen Schwimmbassins der Wasserfreunde war festlich geschmückt. Der weite Raum mit den hohen, gotischen Wölbungen war bis in den letzten Winkel durch die großen, elektrischen Bogenlampen erleuchtet, denn durch die bunten Fensterdrang nur noch das trübe Licht eines frühdunklen Wintertages. Die sonst so kahle Halle war nicht wiederzuerkennen. An der Rückwand hingen von der Decke bis zur Galerie die langen Fahnen der veranstaltenden Vereine herab und verhüllten die weiße Fläche der Mauern mit ihren bunten Farben. An den Langseiten zogen sich von Pfeiler zu Pfeiler in langen Reihen hunderte von winzigen, auf Seile gezogenen Fähnchen in buntem Farbengemisch, und hoch von der Wölbung der Decke hernieder schwebte regungslos über der Mitte des Bassins die mächtige weiße Fahne des "S.-C. B. 1879" mit dem blauen Rande und dem blauen Namenszuge in der linken Ecke. An der Eingangsseite bei dem großen, sechs Meter hohen Sprungbrett spielte—hinter grünem Blattwerk verborgen—die Musik.
Die Seiten des Bassins und die breiten Galerien waren dicht mit Zuschauern besetzt, die sich gespannt vornüber beugten, um besser die Wasserfläche unter sich überschauen zu können, in der die Wettkämpfe stattfanden. Die engen Reihen boten ein buntes Bild: jung und alt— alles saß hier durcheinander, und unter die dunklen Röcke der Herren mischten sich die festlichen Toiletten der Damen und gruppenweise die weißen, buntgeränderten Mützen der zahllosen Sportgenossen. Alle Schwimmvereine Berlins waren vertreten und scharten sich ihrer Zusammengehörigkeit nach hier und dort zusammen.
In den Pausen und zu Beginn jedes neuen Rennens waren alle Augen auf die Eingangswand gerichtet. Dort saß unter der Galerie an einem mit Papieren bedeckten Tische der Ausschuß des Festes: die Preis- und Zielrichter, die beiden Schiedsrichter und in ihrer Nähe einige hervorragende Gäste, Vertreter der Stadt Berlin und einiger Behörden. Hier befanden sich auch die reservierten Plätze für die Vorstände der Vereine, denn hier nahmen die Rennen ihren Anfang.
Als Felder und seine Begleiter ankamen, mußten sie sich an der
Aufgangstreppe, wo an der Kasse die üblichen fünfzig Pfennig als
Entree erhoben und von Sportkameraden die Programme verkauft und die
Besucher empfangen wurden, bereits durch dichte Menschenmassen
arbeiten und hatten Mühe, sich durchzudrängen, um zu den
Auskleideräumen zu gelangen.
Es war gerade eine Pause, und die Wölbung hallte wider von dem erregten Sprechen und Lachen der vielen Menschen. Es war bereits erstickend heiß. Über der noch vom letzten Rennen her leise bewegten Wasserfläche zogen sich leichte, weiße Streifen, und die ganze Halle dampfte von dem Dunst des Wassers und der Menschen.
Die Uhr wies über die vierte Stunde hinaus. Man näherte sich den großen Wettkämpfen. Längst war die stereotype Eröffnungsrede des Vorsitzenden des Berliner Schwimmerbundes, eines redegewandten und liebenswürdigen Herrn, in seiner bekannten eleganten Weise gehalten und der Eröffnungsreigen geschwommen. Bereits war das Schwimmen der Knaben und Junioren, der Kleinen bis zum vierzehnten und der Knaben bis zum siebzehnten Lebensjahre vorbei, und künftige Meister hatten den ersten Anhauch ihrer Erfolge auf der heißen Stirn gespürt.—Auch die älteren Herren, die über dreißig, hatten geschwommen und vielleicht zum letzten Male die Hand nach dem Siegeskranze gestreckt. Endlich war bereits ein interessanter Mehrkampf ausgefochten worden, über dessen unerwartetes Resultat noch hin und her geredet wurde.
Nun kam ein Brustschwimmen und ein großes Tellertauchen mit unzähligen Konkurrenzen an die Reihe. Es konnte also noch lange dauern, bevor die Meisterschaft Berlins ausgefochten werden sollte— für alle Kenner der Clou des Tages.
Felder wollte sich ausziehen, aber Nagel riet ihm ab. Wozu?—Man hatte noch lange Zeit.
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