Ein behäbiger Mitreisender, so hatte ich erfreut bemerkt, las einen meiner Essays, während er sich sicher über die Bucht schippern ließ.
Ich wurde jäh aus meinen Gedanken gerissen, als ein rotgesichtiger Matrose die Kajütentür hinter sich zuschmiss und über das Deck gestapft kam. »Bei diesem scheußlichen Wetter wachsen einem ja vorzeitig graue Haare!«, schimpfte er und nickte zum Lotsenhaus hin.
»Gibt es irgendwelche Probleme?«, fragte ich. »Es scheint doch alles ganz einfach zu sein: Der Kompass gibt die Richtung an und die Entfernung und Geschwindigkeit sind bekannt. Nichts weiter als eine Rechenaufgabe.«
»Probleme!«, schnauzte er, »Rechenaufgabe! Und wie steht's mit Ebbe und Flut hier in der Golden Gate Bucht? Und die Strömung - was ist mit der, he? Horchen Sie mal: eine Glockenboje ... wir halten genau auf sie zu. - Sehen Sie, sie ändern den Kurs!« Aus dem Nebel ertönte der traurige Schlag einer Glocke und der Lotse drehte hastig am Steuerrad. Jetzt erklang die Glocke nicht mehr voraus, sondern querab. Unser eigenes Nebelhorn gellte heiser.
»Das ist irgendein Fährboot«, meinte der Matrose zu einem Warnsignal von rechts. »Und das? - Haben Sie das eben gehört? Von Hand geblasen! Vermutlich ein Leichter. Kann der Kerl nicht aufpassen? Jetzt haben wir den Schlamassel!« Das unsichtbare Fährboot gab ein Signal nach dem anderen, während das mundgeblasene Horn wild tutete. Dann erklang ein schrilles, irrsinniges Dröhnen unmittelbar vor uns und zum Anfassen nahe. Auf der Martinez schlug ein Gong. Unsere Schaufelräder stoppten, ihr Pulsschlag verebbte, dann griffen sie wieder. Der schrille Pfeifton drang jetzt eher von querab durch den Nebel und wurde allmählich schwächer, doch unsere Erleichterung hielt nicht lange an.
»Hallo, da kommt uns jemand in die Quere«, rief mein Gefährte, »und zwar ziemlich schnell! Hört uns wohl nicht, weil der Wind uns entgegenbläst.« »Eine Fähre?«, fragte ich.
Er nickte. »Da drinnen kriegen sie's schon mit der Angst zu tun.« Der Kapitän hatte Kopf und Schultern ins Freie geschoben und versuchte mit seinen Blicken den Nebel zu durchdringen. Auch mein Gefährte starrte besorgt der unsichtbaren Gefahr entgegen. Dann ging alles sehr schnell. Der Nebel teilte sich und der Bug eines Dampfschiffes tauchte auf. Ich konnte dessen Lotsenhaus erkennen, aus dem ein Mann lehnte. Er trug einen weißen Bart und eine blaue Uniform und wirkte beängstigend kühl und gefasst. Als ob er den genauen Zeitpunkt des Zusammenpralls abschätzen wollte, musterte er uns völlig ruhig und blieb unbeeindruckt von dem wütenden Geschrei unseres Lotsen.
»Halten Sie sich irgendwo fest!«, brüllte der Matrose mir zu. Doch die beiden Schiffe stießen zusammen, bevor ich seinem Rat folgen konnte. Wir mussten mittschiffs getroffen worden sein, denn ich konnte von meinem Standort aus nichts erkennen. Die Martinez legte sich hart auf die Seite, Holz krachte und zerbarst. Ich stürzte auf das nasse Deck, hörte Frauen kreischen, dass mir das Blut in den Adern gefror.
Dann fielen mir die Schwimmwesten ein, die in der Kajüte aufbewahrt wurden, doch in der Tür kamen mir Männer und Frauen in wilder Panik entgegen, sodass ich zurückgedrängt wurde. Was während der nächsten Minuten passierte, weiß ich nicht mehr, aber ich erinnere mich deutlich daran, dass ich die Schwimmwesten von den Gestellen zerrte, worauf der rotgesichtige Matrose hysterische Frauen damit versorgte. Durch das Leck in der Seite des Schiffs quoll grauer Nebel herein und überall fanden sich Spuren einer panischen Flucht. Das Geschrei der Frauen zerrte an meinen Nerven und trieb mich an Deck.
Dort versuchten Männer die Boote zu Wasser zu lassen, aber die Taue ließen sich nur schwer lösen. Nichts funktionierte! Ein Boot mit Frauen und Kindern lief voll Wasser und kenterte. Ein anderes berührte mit einem Ende schon fast das Wasser, während das andere noch oben an einer Talje festhing.
Von dem fremden Dampfer, der die Katastrophe verursacht hatte, fehlte jede Spur.
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