Die Lippen waren zu schmal, das ganze Gesicht war zu schmal. ›Wenn sie nicht so viel braunrotes Haar über der Stirn hätte und dazu den weißen Teint...‹ Auch bereitete es ihm Genugtuung, daß der Nagel des Fingers, den er beleckt hatte, nicht ganz sauber gewesen war.

Herr Göppel kam mit seinen drei Schwestern. Eine von ihnen hatte Mann und Kinder mit. Der Vater und die Tanten umarmten und küßten Agnes. Sie taten es mit dringlicher Innigkeit und hatten dabei behutsame Mienen. Das junge Mädchen war schlanker und größer als sie alle und blickte ein wenig zerstreut auf die hinab, die eben an ihren schmächtigen Schultern hing. Nur ihrem Vater erwiderte sie langsam und ernst seinen Kuß. Diederich sah dem zu und sah in der Sonne die hellblauen Adern, überzogen von roten Haaren, ihre Schläfe kreuzen.

Er mußte eine der Tanten ins Eßzimmer führen. Der Mecklenburger hatte Agnes' Arm in den seinen gehängt. Um den langen Familientisch raschelten die seidenen Sonntagskleider. Die Gehröcke wurden über den Knien zusammengelegt. Man räusperte sich, die Herren rieben die Hände. Dann kam die Suppe.

Diederich saß von Agnes weit weg und konnte sie nicht sehen, wenn er sich nicht vorbeugte — was er sorgfältig vermied. Da seine Nachbarin ihn in Ruhe ließ, aß er große Mengen Kalbsbraten und Blumenkohl. Er hörte ausführlich das Essen besprechen und mußte bestätigen, daß es schön schmeckte. Agnes ward vor dem Salat gewarnt, ihr ward zu Rotwein geraten, und sie sollte Auskunft geben, ob sie heute morgen Gummischuhe angehabt habe. Herr Göppel erzählte, Diederich zugewendet, daß er und seine Schwestern vorhin in der Friedrichstraße, weiß Gott, auseinandergekommen seien und sich erst im Omnibus wiedergefunden hätten. »So was kann Ihnen in Netzig auch nicht passieren«, rief er voll Stolz über den Tisch. Mahlmann und Agnes sprachen von einem Konzert. Sie wollte bestimmt hin, ihr Papa werde es schon erlauben. Herr Göppel machte zärtliche Einwände, und der Chor der Tanten begleitete sie. Agnes müsse früh schlafen gehen und bald in gute Luft hinaus; sie habe sich im Winter überanstrengt. Sie bestritt es. »Ihr laßt mich niemals aus dem Hause. Ihr seid schrecklich.«

Diederich nahm innerlich Partei für sie. Er hatte eine Wallung von Heldentum: er hätte machen wollen, daß sie alles dürfte, daß sie glücklich war und es ihm dankte... Da fragte Herr Göppel ihn, ob er in das Konzert wolle. »Ich weiß nicht«, sagte er verächtlich und sah Agnes an, die sich vorbeugte. »Was ist das für eins? Ich gehe nur in Konzerte, wo ich Bier trinken kann.«

»Sehr vernünftig«, sagte der Schwager des Herrn Göppel.

Agnes hatte sich zurückgezogen, und Diederich bereute seinen Ausspruch.

Aber die Creme, auf die alle gespannt waren, blieb aus. Herr Göppel riet seiner Tochter, einmal nachzusehen.