„Herrn Green", sagte Klara. „Wann ist er ge- kommen?" fragte Karl wie in einer Ahnung befangen. „Vor einem Augenblick. Habt Ihr denn sein Automobil nicht vor dem Eueren gehört?" Karl sah zu Pollunder auf, um zu erfahren, wie er die Sache beurteile, aber der hatte die Hände in den Hosentaschen und stampfe bloß etwas stärker im Gehn. „Es nützt nichts nur knapp au- ßerhalb Newyorks zu wohnen, von Störungen bleibt man nicht verschont. Wir werden unsern Wohnsitz un- bedingt noch weiter verlegen müssen. Und sollte ich die halbe Nacht durchfahren müssen ehe ich nachhause komme." Sie blieben an der Freitreppe stehn. „Aber Herr Green war doch schon sehr lange nicht hier", sagte Klara, die offenbar mit ihrem Vater gänzlich einverstan- den war, ihn aber über sich heraus beruhigen wollte. „Warum kommt er dann gerade heute abend", sagte Pol- lunder und die Rede rollte schon wütend über die wul- stige Unterlippe, die als loses schweres Fleisch leicht in große Bewegung kam. „Allerdings!" sagte Klara. „Viel- leicht wird er bald wieder weggehn", bemerkte Karl und staunte selbst über das Einverständnis, in welchem er sich mit diesen noch gestern ihm gänzlich fremden Leu- ten befand. „Oh nein", sagte Klara, „er hat irgend ein großes Geschäf für Papa, dessen Besprechung wahr- scheinlich lange dauern wird, denn er hat mir schon im Spaß gedroht, daß ich wenn ich eine höfliche Hauswirtin sein will, bis zum Morgen werde zuhören müssen." Also auch das noch. Dann bleibt er über Nacht", rief Pollunder, als sei damit endlich das Schlimmste erreicht. Ich hätte wahrhafig Lust", sagte er und wurde freund- licher durch den neuen Gedanken, „ich hätte wahrhafig Lust, Sie Herr Roßmann wieder ins Automobil zu neh- men und zu Ihrem Onkel zurückzubringen. Der heutige Abend ist schon von vornherein gestört und wer weiß wann Sie uns nächstens Ihr Herr Onkel wieder überläßt. Bringe ich Sie aber heute schon wieder zurück, so wird er Sie uns nächstens doch nicht verweigern können." Und er faßte Karl schon bei der Hand, um seinen Plan auszuführen. Aber Karl rührte sich nicht und Klara bat, ihn hierzulassen, denn zumindestens sie und Karl wür- den von Herrn Green nicht im geringsten gestört wer- den können und schließlich merkte auch Pollunder, daß selbst sein Entschluß nicht der festeste war. Über- dies – und dies war vielleicht das Entscheidende – hörte man plötzlich Herrn Green vom obersten Treppenauf- satz in den Garten hinunterrufen: „Wo bleibt ihr denn?" „Kommt", sagte Pollunder und bog auf die Freitreppe ein. Hinter ihm giengen Karl und Klara, die einander jetzt im Licht studierten. „Die roten Lippen die sie hat", sagte sich Karl und dachte an die Lippen des Herrn Pollunder und wie schön sie sich in der Tochter verwan- delt hatten. „Nach dem Nachtmahl", so sagte sie, „wer- den wir wenn es Ihnen recht ist gleich in meine Zimmer gehn, damit wir wenigstens diesen Herrn Green los sind, wenn schon Papa sich mit ihm beschäfigen muß. Und Sie werden dann so freundlich sein mir Klavier vorzu- spielen, denn Papa hat schon erzählt, wie gut Sie das treffen, ich aber bin leider ganz unfähig Musik auszu- üben und rühre mein Klavier nicht an, so sehr ich die Musik eigentlich liebe." Mit dem Vorschlag Klaras war Karl ganz einverstanden, wenn er auch gern Herrn Pol- lunder mit in ihre Gesellschaf hätte ziehen wollen. Vor der riesigen Gestalt Greens – an Pollunders Größe hatte sich Karl eben schon gewöhnt – die sich vor ihnen, wie sie die Stufen hinaufstiegen, langsam entwickelte, wich allerdings von Karl jede Hoffnung, diesem Manne den Herrn Pollunder heute abend irgendwie zu entlocken.

   Herr Green empfieng sie sehr eilig, als sei vieles einzu- holen, nahm Herrn Pollunders Arm und schob Karl und Klara vor sich in das Speisezimmer, das besonders infol- ge der Blumen auf dem Tische, die sich aus Streifen frischen Laubes halb aufrichteten, sehr festlich aussah und doppelt die Anwesenheit des störenden Herrn Green bedauern ließ. Gerade freute sich noch Karl, der beim Tische wartete, bis die andern sich setzten, daß die große Glastüre zum Garten hin offen bleiben würde, denn ein starker Duf wehte herein wie in eine Garten- laube, da machte sich gerade Herr Green unter Schnau- fen daran, diese Glastüre zuzumachen, bückte sich nach den untersten Riegeln, streckte sich nach den obersten und alles so jugendlich rasch, daß der herbeieilende Die- ner nichts mehr zu tun fand. Die ersten Worte des Herrn Green bei Tische waren Ausdrücke des Staunens dar- über, daß Karl die Erlaubnis des Onkels zu diesem Be- suche bekommen hatte. Einen gefüllten Suppenlöffel nach dem andern hob er zum Mund und erklärte rechts zu Klara, links zu Herrn Pollunder warum er so staune und wie der Onkel über Karl wache und wie die Liebe des Onkels zu Karl zu groß sei, als daß man sie noch die Liebe eines Onkels nennen könne. „Nicht genug, daß er sich hier unnötig einmischt, mischt er sich noch gleich- zeitig zwischen mich und den Onkel ein", dachte Karl und konnte keinen Schluck der goldfarbigen Suppe hin- unterbringen. Dann wollte er sich aber wieder nicht anmerken lassen, wie gestört er sich fühlte und begann die Suppe stumm in sich hineinzuschütten. Das Essen vergieng langsam wie eine Plage. Nur Herr Green und höchstens noch Klara waren lebhaf und fanden mitun- ter Gelegenheit zu einem kurzen Lachen.