Ja war denn Karl zu einem Ringkampf eingeladen worden, so daß es für ihn beschämend gewesen wäre, von einem Mädchen geworfen zu werden, das wahrscheinlich den größten Teil ihres Lebens mit dem Lernen von Ring- kämpferkniffen verbracht hatte. Am Ende hatte sie gar von Mack Unterricht bekommen. Mochte sie ihm nur alles erzählen, der war sicher einsichtig, das wußte Karl, trotzdem er niemals Gelegenheit gehabt hatte, das im einzelnen zu erfahren. Karl wußte aber auch, daß wenn Mack ihn unterrichten würde, er noch viel größere Fort- schritte als Klara machen würde; dann käme er eines Tages wieder hierher, höchstwahrscheinlich uneingela- den, untersuchte natürlich zuerst die Örtlichkeit, deren genaue Kenntnis ein großer Vorteil Klaras gewesen war, packte dann diese gleiche Klara und klopfe mit ihr das gleiche Kanapee aus, auf das sie ihn heute geworfen hatte.

  Jetzt handelte es sich nur darum den Weg zum Saal zurückzufinden, wo er ja wahrscheinlich auch seinen Hut in der ersten Zerstreutheit auf einen unpassenden Platz gelegt hatte. Die Kerze wollte er natürlich mitneh- men, aber selbst bei Licht war es nicht leicht sich auszu- kennen. Er wußte z. B. nicht einmal, ob dieses Zimmer in der gleichen Ebene, wie der Saal gelegen war. Klara hatte ihn auf dem Herweg immer so gezogen, daß er sich gar nicht hatte umsehn können, Herr Green und die Leuchter tragenden Diener hatten ihm auch zu denken gegeben, kurz, er wußte jetzt tatsächlich nicht einmal ob sie eine oder zwei oder vielleicht gar keine Treppe passiert hatten. Nach der Aussicht zu schließen lag das Zimmer ziemlich hoch und er suchte sich deshalb einzubilden, daß sie über Treppen gekommen waren, aber schon zum Hauseingang hatte man ja über Treppen steigen müssen, warum konnte nicht auch diese Seite des Hauses erhöht sein. Aber wenn wenigstens auf dem Gang irgendwo ein Lichtschein aus einer Tür zu sehen oder eine Stimme aus der Ferne auch noch so leise zu hören gewesen wäre.

  Seine Taschenuhr, ein Geschenk des Onkels zeigte elf Uhr, er nahm die Kerze und gieng auf den Gang hinaus. Die Tür ließ er offen, um für den Fall daß sein Suchen vergeblich wäre, wenigstens sein Zimmer wiederzufin- den und danach für den äußersten Notfall die Tür zu Klaras Zimmer. Zur Sicherheit, damit sich die Türe nicht von selbst schließe, verstellte er sie mit einem Sessel. Auf dem Gange zeigte sich der Übelstand, daß gegen Karl – er gieng natürlich von Klaras Türe weg nach links zu – ein Lufzug strich, der zwar ganz schwach war, aber immer- hin leicht die Kerze hätte auslöschen können, so daß Karl die Flamme mit der Hand schützen und überdies öfers stehen bleiben mußte, damit die niedergedrückte Flamme sich erhole. Es war ein langsames Vorwärts- kommen und der Weg schien dadurch doppelt lang. Karl war schon an großen Strecken der Wände vorüberge- kommen, die gänzlich ohne Türen waren, man konnte sich nicht vorstellen was dahinter war. Dann kam wieder Tür an Tür, er versuchte mehrere zu öffnen, sie waren versperrt und die Räume offenbar unbewohnt. Es war eine Raumverschwendung sondergleichen und Karl dachte an die östlichen Newyorker Quartiere, die ihm der Onkel zu zeigen versprochen hatte, wo angeblich in einem kleinen Zimmer mehrere Familien wohnten und das Heim einer Familie in einem Zimmerwinkel bestand, in dem sich die Kinder um ihre Eltern scharten. Und hier standen so viele Zimmer leer und waren nur dazu da, um hohl zu klingen, wenn man an die Türe schlug. Herr Pollunder schien Karl irregeführt zu sein von fal- schen Freunden, und vernarrt in seine Tochter und da- durch verdorben. Der Onkel hatte ihn sicher richtig be- urteilt und nur sein Grundsatz, auf die Menschenbeur- teilung Karls keinen Einfluß zu nehmen, war schuld an diesem Besuch und an diesen Wanderungen auf den Gängen. Karl wollte das morgen dem Onkel ohne wei- ters sagen, denn nach seinem Grundsatz würde der On- kel auch das Urteil des Neffen über ihn gerne und ruhig anhören. Überdies war dieser Grundsatz vielleicht das einzige, was Karl an seinem Onkel nicht gefiel und selbst dieses Nichtgefallen war nicht unbedingt.

   Plötzlich hörte die Wand an der einen Gangseite auf und ein eiskaltes marmornes Geländer trat an ihre Stelle. Karl stellte die Kerze neben sich und beugte sich vor- sichtig hinüber. Dunkle Leere wehte ihm entgegen. Wenn das die Haupthalle des Hauses war – im Schimmer der Kerze erschien ein Stück einer gewölbeartig geführ- ten Decke – warum war man nicht durch diese Halle eingetreten? Wozu diente nur dieser große tiefe Raum? Man stand ja hier oben wie auf der Gallerie einer Kirche. Karl bedauerte fast, nicht bis morgen in diesem Hause bleiben zu können, er hätte gern bei Tageslicht von Herrn Pollunder sich überall herumführen und über al- les unterrichten lassen.

   Das Geländer war übrigens nicht lang und bald wurde Karl wieder vom geschlossenen Gang aufgenommen. Bei einer plötzlichen Wendung des Ganges stieß Karl mit ganzer Wucht an die Mauer und nur die ununterbroche- ne Sorgfalt mit der er die Kerze krampfaf hielt, be- wahrte sie glücklicherweise vor dem Fallen und Auslö- schen. Da der Gang kein Ende nehmen wollte, nirgends ein Fenster einen Ausblick gab, weder in der Höhe noch in der Tiefe sich etwas rührte, dachte Karl schon daran, er gehe immerfort im gleichen Kreisgang in der Runde und hofe schon, die offene Türe seines Zimmers viel- leicht wieder zu finden, aber weder sie noch das Gelän- der kehrte wieder. Bis jetzt hatte sich Karl von lautem Rufen zurückgehalten, denn er wollte in einem fremden Haus zu so später Stunde keinen Lärm machen, aber jetzt sah er ein, daß es in diesem unbeleuchteten Hause kein Unrecht war und machte sich gerade daran, nach beiden Seiten des Ganges ein lautes Halloh zu schreien, als er in der Richtung aus der er gekommen war, ein kleines sich näherndes Licht bemerkte.