Die Zeit hat die seichte Wunde beinahe vollständig vernarbt.«
»Ich habe nicht so gesessen, daß ich ihn genau betrachten konnte. Hat er die Narbe wirklich, so ist kein Zweifel möglich. Was werden Sie mit ihm thun?«
»Er muß sterben.«
Der stolze Mann sprach dies Wort so ruhig, als handle es sich um den Tod irgend eines schädlichen oder unbequemen Ungeziefers.
»Sterben? Wie?«
»Das ist ganz so Eure Sache, wie ich es damals Juan überlassen habe, sich die Klinge roth zu färben.«
»Ja, der arme Jose zauderte mir zu lange; er hat es leider büßen müssen, denn dieser vermaledeiete Miquelete gab ihm die Kugel.«
»Würdet Ihr diesen Miquelete wieder kennen?«
»Nein. Ich habe ihn ja nur in der Dunkelheit und während eines kurzen Augenblickes gesehen.«
»Er sitzt dort am Feuer.«
»Dort – am Feuer?« frug Cuchillo, der frühere Juan, indem er vor Erstaunen die Augen weit aufriß.
»Ja.«
»Welcher ist es?«
»Pepe Dormillon, der ›zündende Blitz.‹ In Elanchovi hieß er Pepe der Schläfer; Dormillon ist die französische Bezeichnung ganz desselben Wortes, und auch sein Aeußeres kann nicht trügen. Es ist genau der riesige Karabinier, welcher nach Ceuta verurtheilt wurde, dem es aber auf eine ganz unbegreifliche Weise gelungen ist, zu entkommen.«
»Und Sie irren sich nicht?«
»Ganz unmöglich.«
»Welch ein außerordentliches Zusammentreffen! Was ist zu thun?«
»Wir müssen uns seiner unbedingt entledigen.«
»Das wird schwer gehen. Die beiden Riesen sind fürchterliche Menschen. Wer in dunkler Nacht dem Tiger nachläuft, um ihn durch das rechte Auge zu treffen, dem ist nicht leicht beizukommen.«
»List ist oft mehr werth, als die größeste Körperstärke. Ich werde mir die Sache reiflich überlegen, muß aber nun zurück, weil unsere doppelte Abwesenheit leicht auffallen kann.«
Er trat zum Lagerplatze zurück und nahm an einer Stelle Platz, wo das Licht des Feuers sein Gesicht nicht erreichen konnte.
Die beiden fremden Jäger lagen seitwärts eng neben einander. Sie waren abgehärteter als die Mexikaner, konnten die Wärme recht gut entbehren und hatten sich daher diesen Ort ausgesucht. Als die Andern schliefen, waren sie noch immer wach.
»Warum willst Du, daß wir so bald aufbrechen, Pepe?«
»Santa Lauretta, das ist eine ganz außerordentliche Geschichte! Weißt Du, wer dieser Don Estevan de Arechiza ist?«
»Ja.«
»Nun, wer?«
»Don Estevan de Arechiza.«
»Ja, allerdings; das weiß Jeder, der an diesen Namen glaubt; ich aber glaube nicht an ihn und weiß noch Etwas mehr.«
»Was?«
»Daß es jener Don Antonio de Mediana ist, der Deinen kleinen Fabian raubte, seine Mutter ermordete und mich dafür auf den Thunfischfang schicken wollte.«
Hätte Pepe ihm nicht mit der Hand ein Zeichen gegeben, sich zu beherrschen, so wäre Bois-Rosé vor Erstaunen aufgesprungen. Er schwieg eine ganze Weile; das Gehörte war wirklich so außerordentlich, daß er es erst gehörig verarbeiten mußte, ehe er es unternahm, eine Aeußerung zu thun.
»Kannst Du das beschwören, Pepe?« frug er endlich.
»Mit tausend Eiden.«
»Aber es gibt Aehnlichkeiten.«
»Die aber nicht so groß sind, wie diese sein müßte. Pepe der Schläfer hat ein ausgezeichnetes Auge, und ein Gesicht, welches er unter solchen Umständen gesehen hat, vergißt er nimmermehr.«
»Gut, ich glaube Dir. Doch sag, was der Graf de Mediana hier in Sonora will?«
»Ich weiß es nicht; wir werden es aber erfahren.«
»Natürlich, wenn Du es gern erfahren willst!«
»Bois-Rosé!«
»Was?«
»Darf ich Dich Etwas fragen?«
»Gern.«
»Wir sind so viele Jahre bei einander gewesen.«
»Und haben uns nie verlassen.«
»Richtig! Nie, in keiner Gefahr, in keiner Noth und Sorge, in keiner Angelegenheit. Aber jetzt habe ich eine Angelegenheit – – –«
»In welcher ich Dich auch nicht verlassen werde.«
»Ists wahr?«
»Ich sage es, und da ist es wahr! Oder habe ich Dir jemals die geringste Lüge gesagt?«
»Niemals. Aber die jetzige Angelegenheit ist schwierig. Ich muß wissen, was der Graf hier will.«
»Ganz recht.«
»Ich muß ihn bestrafen für den Mord, den Kindesraub und die falsche Anklage gegen mich.«
»Ganz recht.«
»Und, weißt Du, hier dieser Ring an meinem Finger ist eigentlich Schuld, daß dieses Verbrechen geschehen konnte. Ich habe ihn aufgehoben zum Zeichen, daß ich eine schwere Sünde wieder gutzumachen habe. Willst Du mir helfen?«
»Versteht sich, mein alter, treuer Pepe!«
»Auch wenn ich die Goldexpedition Jahre lang unter Kampf und Noth verfolgen muß?«
»Auch dann, und nicht nur Deinetwegen, sondern auch um meines kleinen Fabian willen, den ich aus dem Kahne gefischt, auf mein Schiff genommen und dann nach drei Jahren wieder verloren habe. Pepe, ich habe in der Welt kein Menschenkind so lieb gehabt, wie den Jungen, und hier diese meine rechte Hand ließe ich mir abhauen, wenn ich ihn wiederfinden könnte. Der Graf hat ihm seine Mutter gemordet und ihn auf dem Meere dem Verderben preisgegeben; ich werde ein weniges zusammenrechnen mit diesem Don Estevan de Arechiza!«
Das Gespräch war beendet; die beiden Männer hüllten sich fester in ihre Decken und versuchten, zu schlafen. – Als die Andern am nächsten Morgen erwachten, waren Bois-Rosé und Pepe Dermillon verschwunden. Niemand wunderte sich darüber; der schweigsame Jäger und Savannero hält sich nicht verpflichtet, Jedem, mit dem er einmal am Lagerfeuer saß, Rechenschaft über sein Thun und Lassen abzulegen.
Die Pferde wurden getränkt, die nöthige Anzahl von ihnen aufgesattelt, und dann ging es wie im Sturme der Hazienda del Venado zu. Don Estevan ritt immer voran; er liebte es nicht, mehr mit den Seinen zu verkehren, als unumgänglich nöthig war. Cuchillo hielt sich meist zu Tiburcio, dem er eine auffällige Freundschaft und Zuneigung an den Tag zu legen suchte. Der Rastreador nahm dies äußerlich mit dankbarer Freundlichkeit hin, wandte aber im Umgange mit dem verdächtigen Menschen eine doppelte Vorsicht an.
Er hatte heut, ehe sie la Poza verließen, die Entdeckung gemacht, daß Cuchillo hinkte, und bemerkte nun während des scharfen Rittes, daß das Pferd desselben zuweilen stolperte, zwei Beobachtungen, welche es ihm beinahe außer allem Zweifel stellten, daß dieser Mann der Mörder seines Pflegevaters sei. Nun war er auch überzeugt, daß die Bonanza, welcher die Expedition galt, keine andere sei als diejenige, zu welcher ihm die sterbende Mutter den Weg so genau beschrieben hatte, daß er das Goldthal gar nicht fehlen konnte. Er beschloß im Stillen, sich der Expedition anzuschließen, um den Mörder zu entlarven und sein Recht auf die von Marco Arrellanos entdeckte Bonanza geltend zu machen.
Zunächst aber freute er sich auf sein Zusammentreffen mit Rosarita, dem »Stern von Sonora,« der auch ihm geleuchtet hatte da draußen in der Savanne. Ob er ihm wohl auch später noch leuchten werde? Er versank in süße Grübeleien. Die Vorsehung hat dem Menschen nicht erlaubt, in die Zukunft zu blicken, ihm aber für diese Gabe etwas weit Besseres verliehen, die Hoffnung, welche Jedem lacht, ganz besonders aber der Jugend zugethan ist, welche das größte Recht besitzt, von der Zukunft nur Glück und Freude zu erwarten. – –
III
Der letzte Mediana
Es war gegen Abend.
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