So oft ein Feuer auskommt, so ist in allen Städten, wo dieser Mißbrauch noch stattfindet, immer die hölzerne Treppe das allergrößte Unheil. Sie leitet das Feuer nicht nur in alle Stockwerke, sondern macht auch oft die Rettung der Menschen unmöglich. Da ich nun gewiß wußte, daß binnen Kurzem hier oder in der Nachbarschaft Feuer auskommen würde, so habe ich mit vieler Mühe und saurem Schweiß diese elende, verderbliche Treppe mit eignen Händen weggebrochen, um das Unglück und den Schaden so viel als möglich zu mildern. Und darum hatte ich sogar auf Ihren Dank gerechnet.
So? rief Emmerich hinauf; wäre ich länger ausgeblieben, so hätte mir der saubre Herr wohl aus eben den spitzigen Gründen mein ganzes Haus verbraucht. Verbraucht! Als wenn man Häuser so verbrauchen dürfte! Aber wart', Patron! – Ist die Polizei da? fragte er den wiederkehrenden Ulrich.
Wir legen, rief Heinrich hinab, eine große, steinerne Treppe, und Ihr Palais, geehrter Mann, gewinnt dadurch ebenso sehr, wie die Stadt und der Staat.
Mit der Windbeutelei soll es bald zu Ende sein, antwortete Emmerich und wendete sich sogleich an den Führer, der mit verschiedenen Gehülfen der Polizei herbeigekommen war.
Mein Herr Inspektor, sagte er, sich zu diesem wendend, haben Sie je von dergleichen Attentat gehört? Mir aus meinem Hause die große, schöne Treppe wegzubrechen und sie als Klafterholz im Ofen während meiner Abwesenheit zu verbrennen!
Das wird in die Stadtchronik kommen, erwiderte der Anführer trotzig, und der saubere Patron, der Treppenräuber, in das Zuchthaus oder auf die Festung. Das ist schlimmer als Einbruch! Den Schaden muß er außerdem noch ersetzen. Kommen Sie nur herunter, Herr Missetäter!
Niemals, sagte Heinrich; wohl hat der Engländer ein Recht, sein Haus ein Kastell zu nennen, und meines hier ist ganz unzugänglich und unüberwindlich; denn ich habe die Zugbrücke aufgezogen.
Dem läßt sich abhelfen! rief der Anführer. Leute, schafft 'mal eine große Feuerleiter herbei; so steigt ihr dann hinauf und schleppt, wenn er sich wehren sollte, den Verbrecher mit Stricken gebunden herunter, um ihn seiner Strafe zu überliefern.
Jetzt hatte sich das Haus unten schon mit Leuten aus der Nachbarschaft gefüllt; Männer, Weiber und Kinder hatte der Tumult herbeigelockt, und viele Neugierige standen auf der Gasse, um zu erforschen, was hier vorgehe, und zu sehen, was aus dem Handel sich ergeben werde. Clara hatte sich an das Fenster gesetzt und war verlegen, doch hatte sie ihre Fassung behalten, da sie sah, daß ihr Gatte so heiter blieb und sich die Sache nur wenig anfechten ließ. Doch begriff sie nicht, wie es endigen werde. Heinrich aber kam jetzt einen Augenblick zu ihr herein, um sie zu trösten und etwas aus der Stube zu holen. Er sagte: Clara, schau', wir sind jetzt eben so eingeschlossen wie unser Götz in seinem Jaxthausen; der widerwärtige Trompeter hat mich auch schon aufgefordert, mich auf Gnade und Ungnade zu ergeben, und ich werde ihm jetzt Antwort sagen, aber bescheidentlich, nicht wie mein großes Vorbild von damals. Clara lächelte ihm freundlich zu und sagte nur die wenigen Worte: Dein Schicksal ist das meinige; ich glaube aber doch, daß, wenn mein Vater mich jetzt sähe, er mir verzeihen würde.
Heinrich ging wieder hinaus, und als er sah, daß man wirklich eine Leiter herbeischleppen wollte, sagte er mit feierlichem Ton: Meine Herren, bedenken Sie, was Sie tun, ich bin seit Wochen schon auf Alles, auf das Äußerste gefaßt, ich werde mich nicht gefangen geben, sondern mich bis auf den letzten Blutstropfen verteidigen. Hier bringe ich zwei Doppelflinten, beide scharf geladen, und noch mehr, diese alte Kanone, ein gefährliches Feldstück voller Kartätschen und gehacktem Blei, zerstoßenem Glas und derlei Ingredienzen. Pulver, Kugeln, Kartätschen, Blei, alles Nötige ist im Zimmer aufgehäuft; während ich schieße, ladet meine tapfere Frau, die als Jägerin wohl damit umzugehen weiß, die Stücke aufs Neue, und so rücken Sie denn an, wenn Sie Blut vergießen wollen.
Das ist ja ein Erzsakermenter, sagte der Polizeianführer, ein solcher resoluter Verbrecher ist mir seit lange nicht vor die Augen gekommen. Wie mag er nur aussehen; denn man kann in diesem dunkeln Neste keinen Stich sehen.
Heinrich hatte zwei Stäbe und einen alten Stiefel auf den Boden niedergelegt, die ihm für Kanone und Doppelflinten gelten mußten. Der Polizeimann winkte, daß sich die Leiter wieder entfernen solle; hier ist wohl der beste Rat, Herr Emmerich, setzte er dann hinzu, daß wir den ungeratenen Abällino aushungern; so muß er sich uns ergeben.
Weit gefehlt! rief Heinrich mit heiterer Stimme hinab; auf Monate sind wir mit getrocknetem Obst, Pflaumen, Birnen, Äpfel und Schiffszwieback versehen; der Winter ist ziemlich vorüber, und sollte es uns an Holz gebrechen, so ist oben noch die Bodenkammer; da finden sich alte Türen, überflüssige Dielen, selbst vom Dachstuhle kann gewiß manches als entbehrlich losgebrochen werden.
Hören Sie den Heidenkerl! rief Emmerich; erst reißt er mir unten mein Haus ein, nun will er sich auch noch oben an das Dach machen.
Es ist über die Beispiele, sagte der Polizeiwächter. Viele von den Neugierigen freuten sich über Heinrich's Entschlossenheit, weil sie dem geizigen Hausbesitzer dieses Ärgernis gönnten. Sollen wir das Militär kommen lassen, auch mit geladenen Flinten?
Nein! Herr Inspektor, um des Himmels willen nicht; darüber würde mir am Ende mein Häuschen in Grund und Boden geschossen und ich hätte das leere Nachsehen, wenn wir den Rebellen auch endlich bezwungen hätten.
Richtig, sagte Heinrich, und haben Sie nebenher vergessen, was seit vielen Jahren in allen Zeitungen steht? Der erste Kanonenschuß, er falle, wo er wolle, wird ganz Europa in Aufruhr setzen. Wollen Sie nun, Herr Polizeimann, die ungeheure Verantwortung auf sich nehmen, daß aus dieser Hütte, der engsten und finstersten Gasse der kleinen Vorstadt, die ungeheure europäische Revolution sich herauswickeln soll? Was würde die Nachwelt von Ihnen denken? Wie könnten Sie diesen Leichtsinn vor Gott und Ihrem Könige verantworten? Und doch sehen Sie hier schon die geladene Kanone liegen, welche die Umwandlung des ganzen Jahrhunderts herbeiführen kann.
Er ist ein Demagog und Carbonari, sagte der Polizeianführer, das hört man nun wohl an seinen Reden. Er steckt in den verbotenen Gesellschaften und rechnet in seiner Frechheit auf auswärtige Hülfe. Möglich, daß unter diesem lärmenden und gaffenden Haufen schon viele seiner Gesellen verkleidet lauern, die nur auf unsern Angriff warten, um uns dann mit ihrem Mordgewehr in den Rücken zu fallen.
Als diese Müßiggänger erlauschten, daß die Polizei sich vor ihnen fürchte, erhoben sie in ihrer Schadenfreude ein lautes Geschrei, die Verwirrung vermehrte sich und Heinrich rief seiner Gattin zu: Bleibe heiter, wir gewinnen Zeit und können gewiß kapitulieren, wenn nicht vielleicht gar ein Sickingen kommt, uns zu erlösen.
Der König, der König! hörte man jetzt von der Straße her das laute Geschrei. Alles sprang zurück und durcheinander; denn eine glänzende Equipage suchte sich in der engen Gasse Bahn zu machen. Livreebedienten in betreßten Kleidern standen hinten auf, ein glänzender, geschickter Kutscher lenkte die Rosse und aus dem Wagen stieg ein prächtig gekleideter Herr mit Orden und Stern.
Wohnt hier nicht ein Herr Brand? fragte der vornehme Mann; und was hat dieser Auflauf zu bedeuten?
Sie wollen da drin, Ew. Durchlaucht, sagte ein kleiner Krämer, eine neue Revolution anfangen und die Polizei ist dahintergekommen; es wird auch gleich ein Regiment von der Garde einrücken, weil sich die Rebellen nicht ergeben wollen.
Es ist halt eine Sekte, Exzellenz, rief ein Obsthöker; sie wollen als gottlos und überflüssig alle Treppen abschaffen.
Nein, nein! schrie eine Frau dazwischen, er soll vom heiligen Sanct Simon abstammen, der Empörer; alles Holz, sagt er, und alles Eigentum soll gemeinschaftlich sein, und die Feuerleiter haben sie schon geholt, um ihn gefangen zu nehmen.
Es war dem Fremden schwer, in die Tür des Hauses zu gelangen, obgleich ihm Alles Platz machen wollte. Der alte Emmerich trat ihm entgegen und berichtete auf Nachfrage mit vieler Höflichkeit die Lage der Dinge, und wie man noch nicht einig sei, auf welche Weise man des großen Verbrechers habhaft werden könne. Der Fremde schritt jetzt tiefer in den dunklen Hausflur hinein und rief mit lauter Stimme: Wohnt denn hier wirklich ein Herr Brand?
Ja wohl, sagte Heinrich; wer ist da unten Neues, der nach mir fragt?
Die Leiter her! sagte der Fremde, daß ich hinaufsteigen kann.
Das werde ich Jedem unmöglich machen, rief Heinrich; es hat kein Fremder hier oben bei mir etwas zu suchen und keiner soll mich molestieren.
Wenn ich aber den Chaucer wiederbringe? rief der Fremde, die Ausgabe von Caxton, mit dem beschriebenen Blatt des Herrn Brand?
Himmel! rief dieser, ich mache Platz, der gute Engel, der Fremde, mag heraufkommen. – Clara! rief er seiner Frau fröhlich, aber mit einer Träne entgegen, unser Sickingen ist wirklich angelangt!
Der Fremde sprach mit dem Wirt und beruhigte ihn völlig, die Polizei ward entlassen und belohnt, am schwersten aber war es, das aufgeregte Volk zu entfernen; doch als endlich auch dies gelungen war, schleppte Ulrich die große Leiter herbei und der vornehme Unbekannte stieg allein zur Wohnung des Freundes hinauf.
Lächelnd sah sich der Fremde im kleinen Zimmer um, begrüßte höflich die Frau und stürzte dann dem seltsam bewegten Heinrich in die Arme. Dieser konnte nur das eine Wort: Mein Andreas! hervorbringen. Clara sah nun ein, daß dieser rettende Engel jener Jugendfreund, der vielbesprochene Vandelmeer sei.
Sie erholten sich von der Freude, von der Überraschung.
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