Jetzt arbeitet sie viel auswärts, um uns bedienen, um nur bei uns bleiben zu können. –

So werde ich also nun doch meinen Chaucer, von Caxton gedruckt, verstoßen und das schimpfliche Gebot des knausernden Buchhändlers annehmen müssen. Das Wort »verstoßen« hat mich immer besonders gerührt, wenn geringere Frauen es brauchten, indem sie in der Not gute oder geliebte Kleider versetzen oder verkaufen mußten. Es klingt fast wie von Kindern. – Verstoßen! – Wie Lear Cordelien, so ich meinen Chaucer. – Hat aber Clara nicht ihr einziges gutes Kleid, noch jenes von der Flucht her, längst verkauft? Schon unterwegs! – Ja, Christine ist doch mehr wert, als der Chaucer, und sie muß auch vom Ertrage etwas erhalten. Nur wird sie es nicht nehmen wollen.

Caliban, der den trunkenen Stefano, noch mehr aber dessen wohlschmeckenden Wein bewundert, kniet vor den Trunkenbold hin, sagt flehend und mit aufgehobenen Händen: »Bitte, sei mein Gott!«

Darüber lachen wir; und viele Beamte, viele Besternte und Vornehme lachen mit, die zum elenden Minister, oder zum trunkenen Fürsten oder zur widerwärtigen Maitresse eben so flehend sagen: Bitte, sei mein Gott! – Ich weiß meine Verehrung, meinen Glauben, das Bedürfnis, Etwas anzubeten, nirgend anzubringen: mir fehlt ein Gott, an den ich glauben könnte, dem ich dienen, dem ich mein Herz widmen möchte, völlig; sei du es, denn – du hast guten Wein, und der wird hoffentlich vorhalten.

Wir lachen über den Caliban und seinen Sklavensinn, weil hier, wie bei Shakespear immer, im Komischen verhüllt eine unendliche, eine schlagende Wahrheit ausgesprochen wird; weil wir diese, durch welche Tausende vor unsrer Phantasie in Calibans verwandelt worden, sogleich fühlen, darum lachen wir über diese bedeutsamen Worte.

Bitte, sei mein Gott! hat auch die alte Christine in ihrem stillen, ehrlichen Herzen, ohne es auszusprechen, zu Clara gesagt; aber nicht wie Caliban oder jene Weltmenschen, um Wein und Würden zu erhalten: – sondern, damit Clara ihr die Erlaubnis gebe, zu entbehren, zu hungern und zu dürsten und bis in die Nacht hinein für sie zu arbeiten.

Es braucht wohl für einen Leser, wie ich einer bin, nicht gesagt zu werden, daß hier einiger Unterschied stattfindet.

 

 

Eine Rührung hatte an diesem Tage die Lesung unterbrochen, eine Rührung, die um so gewaltiger wurde, als jetzt die alte, runzelvolle, halbkranke, von elenden Kleidern bedeckte Amme hereintrat, um zu melden, daß sie in dieser Nacht nicht im Kämmerchen unten schlafen, daß sie aber morgen früh dennoch den dürftigen Einkauf besorgen werde. Clara begleitete sie hinaus und sprach noch draußen mit ihr, und Heinrich schlug mit der Hand auf den Tisch und rief in Tränen: Warum arbeite ich denn nicht auch als Tagelöhner? Ich bin ja bis jetzt noch gesund und kräftig. Aber nein, ich darf es nicht; denn dadurch erst würde sie sich elend fühlen; auch sie würde erwerben wollen, sich abquälen, allenthalben Hilfe suchen, und wir hätten uns Beide für unglücklich erklärt. Auch würde man uns dann gewiß entdecken. Und leben wir doch, sind wir doch glücklich!

Clara kam ganz heiter zurück, und das schlechte Mittagsmahl wurde von den Zufriedenen wieder als ein köstliches verzehrt. Nun fühlten wir doch, sagte Clara nach Tische, gar keine Not, wenn unser Holzvorrat nicht völlig zu Ende wäre, und Christine weiß auch keinen Rat zu schaffen.

Liebe Frau, sagte Heinrich ganz ernsthaft, wir leben in einem zivilisierten Jahrhundert, in einem wohlregierten Lande, nicht unter Heiden und Menschenfressern; es muß ja doch Mittel und Wege geben. Befänden wir uns in einer Wildnis, so würde ich natürlich, wie Robinson Crusoe, einige Bäume fällen. Wer weiß, ob sich nicht Wald da findet, wo man ihn am wenigsten vermutet; kam doch auch zum Macbeth Birnams Wald hin, freilich um ihn zu verderben. Indessen sind ja auch zuweilen Inseln plötzlich aus dem Meere aufgetaucht; mitten unter Klüften und wilden Steinen wächst auch wohl ein Palmbaum, der Dornstrauch rauft Schafen und Lämmern die Wolle aus, wenn sie ihm zu nahe kommen, der Hänfling aber trägt diese Flocken zu Nest, um seinen zarten Jungen ein warmes Bett daraus zu machen.

Clara schlief diesmal länger als gewöhnlich, und als sie erwachte, verwunderte sie sich darüber, daß es schon heller Tag war, und noch mehr, daß sie den Gemahl nicht an ihrer Seite fand. Wie aber erstaunte sie erst, als sie ein lautes, kreischendes Geräusch vernahm, das so klang, wie wenn eine Säge hartes, widerspenstiges Holz zerschneidet. Schnell kleidete sie sich an, um dem sonderbaren Ereignis auf den Grund zu kommen. Mein Heinrich, rief sie eintretend, was machst du da? Ich zersäge das Holz für unsern Ofen, versetzte er keuchend, indem er von der Arbeit aufsah und der Frau ein ganz rotes Gesicht entgegenhielt.

Erst sage mir nur, wie in aller Welt du zu der Säge kommst, und gar zu dem ungeheuern Block dieses schönen Holzes? Du weißt, sagte Heinrich, wie vier, fünf Stufen zu einem kleinen Boden von hier führen, der leer steht. Nun, in einem Verschlage sah ich neulich, durch das Schlüsselloch guckend, eine Holzsäge und ein Beil, die wohl dem alten Hauswirt, oder wer weiß wem sonst gehören mögen. Man achtet auf den Gang der Weltgeschichte, und so merkte ich mir diese Utensilien. Heut Morgen nun, als du noch so angenehm schliefst, ging ich in stockdichter Finsternis dort hinauf, sprengte die dünne, elende Tür, die kaum mit einem kleinen, jämmerlichen Riegel versperrt war, und holte mir diese beiden Mordinstrumente herunter. Nun aber, da ich die Gelegenheit unsers Hauses ganz genau kenne, hob ich dieses lange, dicke, gewichtige Geländer unsrer Treppe, nicht ohne Mühe und Anstrengung und mit Hilfe des Beiles, aus seinen Fugen und brachte den langen und schweren Balken, der unsre ganze Stube ausfüllt, hierher. Sieh nur, geliebte Clara, welche soliden, trefflichen Menschen unsre Vorfahren waren. Betrachte diese eichene Masse vom allerschönsten und körnigsten Holze, so glatt poliert und gefirnißt. Das wird uns ein ganz andres Feuer geben, als unser bisheriges elendes Kiefern- und Weidengeflecht.

Aber, Heinrich, rief Clara und schlug die Hände zusammen – das Haus verderben!

Kein Mensch kommt zu uns, sagte Heinrich, wir kennen unsre Treppe und gehen selber nicht einmal auf und ab, also ist sie höchstens für unsre alte Christine da, die sich doch unendlich verwundern würde, wenn man zu ihr sagen wollte: Sieh, altes Kind, es soll einer der schönsten Eichenstämme im ganzen Forst, mannsdick, gefällt werden, vom Zimmermann und nachher vom Tischler kunstreich bearbeitet, damit du, Alte, die Stufen hinaufgehend, dich auf diesen herrlichen Eichenstamm stützen kannst. Sie müßte ja laut auflachen, die Christine. Nein, ein solches Treppengeländer ist wieder eine von des Lebens ganz unnützen Überflüssigkeiten; der Wald ist zu uns gekommen, da er gemerkt hat, daß wir ihn so höchst notwendig brauchten. Ich bin ein Zauberer; nur einige Hiebe mit diesem magischen Beil, und es ergab sich dieser herrliche Stamm in meine Macht. Das kommt Alles von der Zivilisation; hätte man hier immer, wie in vielen alten Hütten, an einem Strick oder an einem Stück Eisen, wie in Palästen, sich hinaufhelfen müssen, so konnte diese meine Spekulation nicht eintreten, und ich hätte andre Hilfsmittel suchen und erfinden müssen.

Als Clara ihr Erstaunen überwunden hatte, mußte sie laut und heftig lachen; dann sagte sie: Da es aber einmal geschehen ist, so will ich dir wenigstens bei deiner Holzhauerarbeit helfen, sowie ich es ehemals oft auf den Straßen gesehen habe.

Man legte den Baum auf zwei Stühle, die an den Enden des Zimmers standen, weil es seine Länge so erforderte. Nun sägten Beide, um den Zwischenraum zu vermindern, den Block in der Mitte durch.